Grenzen unserer Erkenntnis


In der klassischen Mechanik wird der Zustand eines physikalischen Systems durch Funktionen festgelegt. Die Grundgrößen wie Ort und Impuls sind dort voneinander unabhängig und es kommt nicht auf ihre Messung an. Wenn der Zustand eines abgeschlossenen Systems zu einem Zeitpunkt vollständig bekannt ist, kann auch sein früheres und späteres Verhalten bestimmt werden. Die Vergangenheit und die Zukunft sind somit determiniert. Für jeden Vorgang gibt es eine Ursache, d. h., das Geschehen ist kausal bedingt.

Wie weit gelten Determinismus und Kausalität in der Quantenmechanik?

In der Quantenmechanik charakterisiert die Wellenfunktion den Zustand eines Mikrosystems. Der Zusammenhang zwischen der Wellenfunktion und den messbaren Objekteigenschaften ist rein statistischer Natur. Wollen etwas über den Zustand des Systems aussagen, müssen wir es einem Messprozess unterwerfen.

Dazu lässt sich das Doppelspaltexperiment hervorragend verwenden. Sowohl im Experiment mit Elektronen oder Photonen, als auch mit makroskopischen Kugeln haben wir die Resultate statistisch ausgewertet. In beiden Fällen konnten wir nur von der Wahrscheinlichkeit sprechen, dass ein Objekt an einer bestimmten Stelle ankommt. Allerdings wäre es nach Newton möglich, bald nach dem Abschuss einer Kugel ihre weitere Bahn zu berechnen. Es war auch immer eindeutig, welchen Spalt die Kugel genommen hat.

Wie könnten wir feststellen, durch welchen Spalt ein Quantenobjekt hindurchgeht?

Für diesen Zweck veränderte Richard Feynman den experimentellen Aufbau des ursprünglichen Doppelspaltversuchs auf folgende Weise:


Gedankenversuch von Feynman

Elektronen werden direkt nach dem Doppelspalt mit Licht bestrahlt. Photonen prallen an Elektronen ab und werden von Detektoren als einzelne "Blitze" registriert. Der Streuwinkel eines Photons lässt sich nach der Comptonschen Streuformel mit der Differenz der neuen und der alten Wellenlängen berechnen:


Mit dem Streuwinkel und der Lage des registrierten Photons können wir den Ort des Elektrons direkt nach dem Spalt bestimmen. Somit wird eindeutig, durch welchen der beiden Spalte das Elektron hindurchgetreten ist. Falls nur ein Spalt geöffnet ist, erhalten wir dieselbe Elektronenverteilung wie früher, als wir den Versuch noch nicht mit Licht beobachteten. Anders als früher verhalten sich Elektronen, wenn wir beide Spalte öffnen: Zu unserer Verwunderung erscheint kein Interferenzmuster auf dem Schirm, sondern ein Überlagerungsbild wie beim Doppelspaltversuch mit Kugeln.


Was passiert mit den Elektronen nach der Beobachtung mit Licht?

Wenn Licht auf Materie fällt, zeigt es auch seinen Teilchencharakter: Die Lichtquanten prallen an Materieobjekten ab. Die reflektierten und teils gestreuten Photonen werden von unseren Augen oder Detektoren erfasst. So können wir die Lage der Gegenstände sehen. Ein makroskopisches Objekt kann durch Kollisionen mit Photonen kaum in seiner Bahn gestört werden. Solche kleinen Stöße sind aber stark genug, um die Bewegung der Elektronen zu beeinflussen. Die Streuung der Elektronen hinter dem Spalt wird so unregelmässig, dass das Interferenzbild vollständig verwischt wird. Wir wissen jetzt zwar genau, aus welchem Spalt ein Elektron gekommen war, doch wird die Aussage über sein weiteres Verhalten noch unbestimmter.

Messprozess in der Quantenmechanik:
Im Unterschied zur klassischen Physik verändern Messungen im allgemeinen den Zustand der Quantenobjekte.

Da uns das Ausmaß der Einwirkung der Messapparatur nicht bekannt ist, können wir es auch nicht wie in der klassischen Physik kompensieren. (Bei elektrischen Messungen wird z. B. der Widerstand von Instrumenten berücksichtigt.)
Die Messergebnisse liefern also keine "objektiven" Aussagen über eine "reale Wirklichkeit" der Quantenobjekte. Nach Werner Heisenberg vermitteln die Naturwissenschaften uns nicht ein Bild der Natur selbst, sondern ein Bild unserer Kenntnis von der Natur.

Vor der Registrierung existiert nach Heisenberg kein teilchenhaftes Mikroobjekt, das sich auf einem bestimmten Weg von der Quelle zum Detektor bewegt, sondern ein quantenphysikalischer Zustand 12(x), der zwei Möglichkeiten 1(x) und 2(x) enthält, dass bei einer Messung entweder hinter Spalt 1 oder hinter Spalt 2 ein Detektor anspricht:

12(x) = 1(x) + 2(x) (9.1)

Erst im Moment der Messung ändert sich die Zustandsfunktion. Eine der beiden Möglichkeiten wird realisiert. Es kommt zum Zusammenbruch der Zustandsfunktion, genannt auch Kollaps der Wellenfunktion:

12(x)  1(x) + 2(x) ,  sondern entweder  12(x) = 1(x)  oder  12(x) = 2(x) (9.2)

Anhand anderer Experimente könnten wir jedoch auf den ersten Blick behaupten, dass auch Quantenobjekte sich auf definierten Bahnen bewegen. Die Spuren von Elektronen in einer Blasenkammer deuten z. B. auf zurückgelegte Elektronenbahnen hin.

Versuchen wir experimentell, Elektronen oder Photonen auf eine bestimmte Bahn zu bringen. Dazu lassen wir sie wieder durch einen Einzelspalt hindurchtreten. Um einen möglichst exakten Weg nach dem Spalt zu erhalten, müssten wir die Spaltöffnung auf den Durchmesser des Teilchens beschränken. Wir wissen aber: Sehr kleine Öffnungen verursachen Beugungserscheinungen. Die Teilchen würden nun weit auseinander laufen. Wir könnten nicht vorhersagen, auf welchem Punkt des Leuchtschirms ein bestimmtes Teilchen ankommen wird. Die Beugung verschwindet erst dann, wenn wir die Öffnung viel größer machen als die de-Broglie-Wellenlänge der Teilchen:

Ein Strahl der Quantenobjekte ist also nie eine beliebig dünne Linie, sondern hat eine Dicke von mindestens einigen de-Broglie-Wellenlängen. Darum sind auch die Elektronenspuren in der Blasenkammer keine Bahnen im klassischen Sinne.

Je genauer wir den Anfangsort eines Quantenobjektes festlegen, desto ungewisser können wir seine weitere Bahn voraussagen.

Ein Quantenobjekt wird durch Beugung von der ursprünglichen Richtung abgelenkt, was bedeutet: Die Richtung seines Impulses wird verändert. Diesen Zusammenhang hat Heisenberg (1926) als Orts-Impuls-Unschärferelation mathematisch erfasst:



Ein Bündel von Elektronen oder Photonen trifft senkrecht zur x-Achse auf den Spalt der Breite d. In diesem Augenblick ist die x-Koordinate der Quantenobjekte bis auf die Unschärfe x = d bekannt. Machen wir den Spalt enger und dadurch die Ortsangabe präziser, d. h. x kleiner, dann wird das Bündel nach dem Spalt weiter aufgefächert. Die Streuung und damit die Unsicherheit der Impulsangabe px wächst. Dabei ändert sich nur der Impuls-Vektor, nicht aber sein Betrag p, weil die Wellenlänge bei der Beugung erhalten bleibt ( p = h/). Es gilt:

px = p sin (9.3)

Die Anzahl der auftreffenden Teilchen/Intensität der Welle innerhalb des Hauptmaximums übertrifft die der Nebenmaxima. Sein Bereich ist durch die Lage der ersten Minima beschränkt. Die Lage dieser Minima berechnen wir mit:

(9.4)

Da 1 , ergibt sich die folgende Ungleichung:

(9.5)

Nach Einsetzen von p = h/ erhalten wir die

Heisenbergsche Unschärferelation

(9.6)

Je kleiner die Ortsunsicherheit eines Elektrons/Photons im Spalt ist, desto größer ist seine Impulsunschärfe px hinter dem Spalt. Das Produkt der beiden Größen beträgt zu jedem Zeitpunkt mindestens h . Es ist also nicht möglich, gleichzeitig den Ort und den Impuls (somit auch die Geschwindigkeit) eines Quantenobjekts beliebig genau zu bestimmen. Allgemein gilt: Es ist nicht möglich, zwei Messgrößen eines Quantenobjekts, deren Produkt die Dimension einer Wirkung (Energie Zeit) hat, gleichzeitig und exakt zu bestimmen.


Solche klassischen physikalischen Größen wie Ort und Impuls oder Erscheinungsformen wie Wellen und Teilchen, die sich in einer Messung gegenseitig ausschließen, nannte Niels Bohr komplementär. Wir können nur einen komplementären Begriff in einer Untersuchungssituation anwenden. Dennoch brauchen wir sie beiden für ein vollständiges Bild des Systems.

Nach Bohr und Heisenberg wird ein Quantenobjekt vollständig durch die -Funktion beschrieben. Das Mikrosystem ist unaufhebbar mit der Messapparatur verknüpft. Es hat also keinen Sinn, über den Ort des unbeobachteten Quantenobjektes zu sprechen. Elektronen und Photonen existieren nicht an sich wirklich, sondern werden erst durch den Akt der Messung zur Realität.

Schrödinger und Einstein waren mit dieser Interpretation der Quantenphänomene nicht einverstanden. Um die Widersprüche aufzuzeigen, erfand Schrödinger sein berühmt gewordenes Katzenparadoxon:


Schrödinger Katze

Eine Katze wird in einen Kasten gesteckt. In diesem Kasten befindet sich ein radioaktives Element. Wenn es zerfällt, registriert dies ein Geigerzähler und lässt mit einem Hammer ein Gefäß mit Giftgas zerschlagen, so dass die Katze stirbt. Durch dieses Experiment würde das Leben der Katze von dem Zustand der radioaktiven Substanz abhängen. Radioaktiver Zerfall ist ein Zufallsereignis, wir können also so viel radioaktive Substanz einsetzen, dass sie z. B. in einer Stunde mit 50 % Wahrscheinlichkeit zerfällt. Solange wir die Katze nicht beobachten, können wir nicht sagen, ob sie noch lebt oder bereits tot ist. Die radioaktive Substanz befindet sich in einem Überlagerungszustand aus nicht zerfallen und zerfallen. Paradoxerweise müsste sich dann auch die Katze in einem Überlagerungszustand 12 aus lebend 1 und gestorben 2 befinden.


Genaue Berechnungen ergeben:
(9.7)

Erst wenn wir in den Kasten hineinschauen, kollabiert die Wellenfunktion 12 entweder zu 1 oder zu 2. Eine der beiden Möglichkeiten wird durch die Beobachtung zur Realität.


Wie könnte der "Quantenzustand" der Katze von unserem Hinsehen abhängen?

Nach Einstein und Schrödinger gibt die -Funktion nur teilweise unser Wissen über die Quantenobjekte wieder. Einstein mutmaßte, dass die Quantenobjekte mit weiteren, uns noch nicht bekannten Messgrößen zu jedem Zeitpunkt vollständig beschrieben werden könnten. Aus modernen Messungen geht jedoch hervor, dass es wahrscheinlich keine versteckten Messgrößen gibt, die mehr Informationen über den Ort der Quantenobjekte liefern, als die Wellenfunktion.