Das Projekt "Serious Games – Kompetenzförderung durch adaptive Systeme" wird im Rahmen des Programms zur Stärkung von Forschungsstrukturen an Universitäten 2012 von der  Carl-Zeiss-Stiftung gefördert.

Die Förderung von Kompetenzen ist ein wichtiges Ziel, welches alle Lebensphasen von Menschen berührt. Neben der klassischen Ausbildung durch Lehrende gewinnt computer-basierte bzw. -unterstütze Kompetenzförderung zunehmend an Bedeutung. Allerdings reicht es nicht aus, die traditionellen Methoden direkt auf den Computer als neues Medium zu transferieren, ohne die zusätzlichen Möglichkeiten auszuschöpfen. Dies kann nur in multidisziplinären Teams geleistet werden. Herangehensweisen aus technischen Disziplinen sollten ergänzt werden durch sozial- und verhaltenswissenschaftliche Fundierung. Mit der Begründung der sogenannten Serious Games ergeben sich neuartige synergetische Chancen an der Schnittstelle zwischen einer naturwissenschaftlich geprägten Psychologie und der Informatik sowie den Ingenieurwissenschaften.

Serious Games (ernsthafte Spiele) gehen auf Clark C. Abt zurück und wurden von ihm 1968 mit Simulationen realer Situationen zu Zwecken des Kompetenzerwerbs verbunden. Heute versteht man unter Serious Games computer-basierte ernsthafte Spiele, die den spielerischen Umgang mit dem Informations- oder Ausbildungsgegenstand beinhalten. Mit den heutigen multimedialen Möglichkeiten von Computern, der Leistungsfähigkeit von Smart Phones, neuartiger Peripheriegeräte wie Wii oder Kinect und mit der allgegenwärtigen Verfügbarkeit des Internets erfahren Serious Games gerade eine beginnende Blütezeit. Die Anwendungsfelder sind dabei besonders vielfältig und umfassen sämtliche Bildungsbereiche in allen Lebensabschnitten sowie die Gesundheitsförderung, Training spezieller Fähigkeiten und andere assistive Aufgaben. Serious Games sind computerbasierte Systeme, die dem Nutzer mithilfe spielerischer Interaktionsformen für sein zukünftiges Verhalten oder Erleben relevante Inhalte vermitteln. Im Fokus steht dabei nicht das Spiel, sondern die Kompetenzförderung und der Kompetenzerwerb, vermittelt durch die realitätsnahe Repräsentation einer wirklichen Situation. Meist geschieht dies mit dem Ziel der Kompetenzförderung, manchmal auch nur zur Wissensvermittlung oder zur Einstellungsbildung. In Abgrenzung zum E-Learning werden spielerische Szenarien verwendet, die die Authentizität des Erlebten intensivieren.

Spielen kann kognitive, emotionale, perzeptive, attentive und motorische Funktionen erfordern und fördern. Das Spiel kann also aus psychologischer Sicht quasi als Mikrokosmos psychischer Prozesse angesehen werden. Andererseits ist die technische Realisierung von Serious Games eine große Herausforderung an eine Reihe von Disziplinen der Informatik. Die Forschungsrichtung des Projekts zielt auf die Grundlagenforschung zu Serious Games vorwiegend aus psychologischer Sicht. Serious Games stellen ein neuartiges Genre dar, welches seinen eigentlichen Zweck der Kompetenzförderung, der Meinungsbildung oder des Wissenserwerbs mit und durch Elemente eines Spiels vermittelt. Serious Games nutzen damit die Schnittstelle zwischen Unterhaltungs- und Computertechnologien und Anwendungen im institutionellen Bereich und im Bildungssektor. Serious Games werden in der Medizin und im Gesundheitswesen, beim Militär, in der Bildung und insbesondere Weiterbildung, in Firmen zur Mitarbeiterausbildung und -schulung sowie vermehrt auch im politischen oder gesellschaftlichen Raum zur Meinungsbildung eingesetzt (Michael & Chen 2006)1.  

 

Die Projektgruppe

An dem Projekt beteiligt sind die folgenden Personen und Einrichtungen:

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Wissenschaftliche Zielsetzungen

Von wissenschaftlicher Seite werden bisher vorwiegend Fragen der Nutzung und didaktischen Gestaltung oder der realitätsgetreuen technischen Gestaltung und Umsetzung der Systeme untersucht. Dabei stehen in der Regel entweder geisteswissenschaftliche oder rein technische Fragen im Vordergrund. Ziel der Ulmer Forschungsgruppe soll hingegen sein, die Mechanismen der Adaptivität und Interaktivität bezogen auf die Abstimmung menschlicher und technischer Informationsverarbeitungsprozesse zu optimieren. 

Fragestellungen zu Serious Games aus psychologischer Perspektive finden sich vor allem im kognitiven Bereich in Bezug auf optimale Informationsverarbeitungsprozesse. Hierzu werden Prozesse der Aufmerksamkeitsausrichtung, der Wahrnehmung sowie Gedächtnisprozesse analysiert. Die geförderte Professur spezifiziert diese Verarbeitungsschritte in Bezug auf komplexe Erkenntnis-, Entscheidungs- und Problemlöseprozesse sowie Fragen zur Aufrechterhaltung der Aktivierung (des sog. Flow-Erlebens). Die gesamte Verarbeitung wird neben kognitiven Faktoren auch vom momentanen affektiven oder motivationalen Zustand sowie der sozialen Situation, innerhalb der das "ernste" Spiel stattfindet, beeinflusst. Im Rahmen der Serious Games-Forschung sollte zudem das Wissen um neuromodulatorische Systeme und neuroplastische Prozesse genutzt werden, die Grundlage für jegliche Lern- und Gedächtnisprozesse sind, um eine maximale Effektivität der Programme im Hinblick auf ein zu erreichendes Ziel (wie bspw. die Steigerung der kindlichen Sprachkompetenz) zu erzielen, was gerade die "Ernsthaftigkeit" dieser Spiele ausmacht.

Neben den prozessbezogenen Phänomenen sind aus psychologischer Sicht vor allem die Eigenschaften des Nutzers von zentraler Bedeutung, wobei neben kognitiven Merkmalen wie Gedächtniskapazität und Intelligenz emotional-motivationale Faktoren wie bspw. Spaß relevant sind. Diese Eingangsparameter sowie die prozessbegleitend relevanten Variablen sollten während der Spielsituation kontinuierlich erfasst werden, um Programmkomponenten optimal anpassen zu können (Adaptivität des Spiels). So könnte ein abklingendes Flow-Erleben beispielsweise erkannt und durch das Steigern oder Reduzieren der Anforderungen in Bezug auf die vorhandenen Kapazitäten des Nutzers ausbalanciert werden. Die Optimierung des Systems mit Bezug zum Nutzer muss zudem mithilfe standardisierbarer Verfahren evaluiert werden. Die Evaluation sollte sich dabei nicht nur auf den Kompetenzzuwachs sondern wiederum auch emotional-motivationale Variablen (Spaßerleben, Sicherheitsempfinden, Einschätzung der Vertrauenswürdigkeit) als Output-Variablen einbeziehen.

Auf Seiten der Informatik und Ingenieurwissenschaften finden die psychologischen Problemstellungen ihr technisches Pendant und bieten Grundlagen zur Modellbildung an. Serious Games sind hoch interaktive Systeme, die sich einerseits an ihre Nutzer, andererseits in ihrer Spiellogik dynamisch anpassen. Die Adaptivität zum Nutzer erfolgt auf der Basis von Nutzermodellen in die bisher erworbenes Können und Expertise ebenso einfließen wie Alter, Geschlecht, Rolle sowie kognitive Belastung, Emotionalität oder Persönlichkeitsprofil und Vorlieben. Diese Informationen lassen ein System dann in verschiedenen Ein- und Ausgabemodalitäten (visuell, auditiv, haptisch) mit dem Nutzer multimodal und adaptiv interagieren. Gerade die visuelle Ausgabe stellt hohe Anforderungen an die Realitätstreue, um die Immersivität des Nutzers im Serious Game zu bestärken. Hiermit sind klassische Problemstellungen der Computergrafik als Teil der Medieninformatik angesprochen. Die Logik des Spiels benötigt adaptive Planprozesse, welche mittels Methoden der Künstlichen Intelligenz erstellt und dynamisch geändert werden können. Systempläne müssen wiederum zum Nutzer adäquat kommuniziert werden, so dass adaptives Dialogmanagement gefordert ist. Zudem muss der Schwierigkeitsgrad der Aufgaben, die im Serious Game zu bewältigen sind, angepasst werden können. Auf der sensorischen Seite benötigen Serious Games ggf. Möglichkeiten zur Analyse der Blickrichtung des Nutzers, zur Erkennung von Gesten, Posen und Mimik. Darüber hinaus trägt die Modellbildung zur Informationsverarbeitung der den psychologischen Befunden zugrunde liegenden neuronalen Mechanismen die Möglichkeit, gezielt empirische Befunde zu bewerten, Modelle für Verhaltensweisen zu entwickeln und damit wiederum weitergehende Fragestellungen zu motivieren. Die empirische Grundlagen- und anwendungsorientierte technische Forschung erfährt somit eine Vertiefung durch die theoretische Grundlagenforschung zu Wahrnehmungs- und Kognitionsaspekten in den Serious Games.

 


1. Michael, David; Chen, Sande (2006): Serious Games. Games that educate, train and inform. Boston, Thomson.