4 Morphologie des Blattes
Das Blatt ist das zweite sog. Grundorgan des Kormus. Die Achse hatten wir in Hinblick auf die Funktionen von Transport, Stütze und Speicher behandelt. Die wichtigste Aufgabe des Blattes ist demgegenüber die Photosynthese.
Entsprechend ihrer phylogenetischen Entstehung unterscheidet man Mikrophylle und Makrophylle. Die Mikrophylle der Lycopodiatae, Psilotatae, Equisetatae sind wahrscheinlich als Emergenzen oder sog. Enationen (Enationstheorie) entstanden. Die sog. Makrophylle der Farne (Filicatae) und Samenpflanzen kann man sich nach der Telomtheorie durch Planation und Verwachsung von einfachen Gabelästen ("Raumwedel") entstanden vorstellen.
□ Enationstheorie [Foster, A.S., Gifford, E.M.jr. 1974: 3‑9; Enationstheorie]
□ Rhapis vinifera (Arecaceae); Blatt
□ Telomtheorie [Foster, A.S., Gifford, E.M.jr. 1974: 3‑14; Telomtheorie]
4.1 Terminologie
4.1.1 Gliederung
Ein typisches (Laub-) Blatt der Dikotyledonen zeigt früh in seiner Entwicklung eine Gliederung in einen schmalen Endteil, das sog. Oberblatt, und eine breitere Basis, das sog. Unterblatt. Im ausgewachsenen Zustand besteht dann das Oberblatt aus dem Blattstiel (Petiolus) und der Spreite (Lamina), bzw. bei gefiederten Blättern aus der Rhachis (Fiederachse) und den Fiederblättchen (Foliola). Das Unterblatt bildet den Blattgrund aus, der eine Scheide bilden kann und dem seitlich Nebenblätter (Stipeln) aufsitzen können.
Die der Achse zugewandte Seite des Blattes bezeichnen wir als seine adaxiale, ventrale oder seine Oberseite, die der Achse abgewandte Seite entsprechend als abaxiale, dorsale oder Unterseite.
(Tafelzeichnung) Bau des einfachen Laubblattes
Die Blätter haben nicht am gesamten Spross bzgl. in jedem Alter der Pflanzen die gleiche Form und Größe. Vielmehr folgen in der Ontogenie der Pflanze verschiedene typische Blattformen aufeinander.
(a) Kotyledonen (Keimblätter)
Die ersten an der Pflanze gebildeten Blätter sind die Keimblätter oder Kotyledonen. Sie sind meist stark reduziert. Wenn sie der Nährstoffspeicherung dienen, bleiben sie klein und entfalten sich nicht (Vicia faba, Fabaceae). Sie können aber auch flächig entwickelt sein und assimilieren (Ricinus communis, Euphorbiaceae).
□ Ricinus communis; ausgebreitete epigäische Keimblätter [Rauh 1959: 9]
□ Vicia faba; kleine hypogäische Keimblätter [Rauh 1959: 21]
(b) Niederblätter (Kataphylle)
Niederblätter oder Kataphylle sind alle reduzierten, schuppenförmigen Blattorgane am vegetativen Teil der Achse.
Am Hauptspross können sie auf die Kotyledonen zwischen den Keimblättern und den Laubblättern folgen (Vicia faba). Besonders treten sie an allen unterirdischen Achsen wie Ausläufern, Rhizomen oder Ausläuferknollen auf. Bei jeder Verzweigung werden von der Seitenachse zunächst ein oder zwei sog. Vorblätter oder Prophylle gebildet. Das eine Vorblatt der Monokotyledonen steht adaxial oder adossiert, die beiden Vorblätter der Dikotyledonen in transversaler Stellung. Die Knospenschuppen oder Tegmente stellen ebenfalls Niederblätter dar.
(Tafelzeichnung) transversale und adossierte Vorblätter
□ Malus baccata; Knospenschuppen und Laubblätter an Seitenzweigen [Strasburger 1978: 206]
(c) Laubblätter
Auf die Kotyledonen folgen am Spross die Laubblätter. Die ersten Laubblätter oder Primärblätter sind häufig im Vergleich zu den später gebildeten sog. Folgeblättern in ihrer Spreitenentwicklung etwas reduziert.
□ Helleborus foetidus (Stinkende Nießwurz, Ranunculaceae); Habitus
□ Helleborus foetidus, Blattfolge [Strasburger 1978: 207]
(d) Hochblätter (Hypsophylle)
Im Infloreszenz- und Blütenbereich werden die Blätter wiederum in ihrer Größe verringert und ihrer Form vereinfacht. Man bezeichnet sie als Hochblätter oder Hypsophylle.
4.1.2 Blattformen
Nach der Form bzw. Unterteilung der Spreite kann man mehrere Blattformen unterscheiden.
Einfache Blätter haben eine einfache, also ungeteilte Spreite.
Die Formen der geteilten Blätter haben demgegenüber eine in einzelne Blättchen aufgeteilte Spreite. Sitzen diese Blättchen an einer langgestreckten Fiederspindel oder Rhachis, so werden die Blätter als gefiedert (pinnat) bezeichnet. Die Fiederung ist paarig (= ohne Endfieder) oder unpaarig (= mit Endfieder), einfach oder mehrfach (= "gefiederte Fiedern"). Bei den gefingerten oder digitaten Blättern (z.B. Aesculus hippocastanum) gehen die Fiedern nahezu von einem Punkt aus, und bei den fußförmigen oder pedaten Blättern (z.B. Helleborus foetidus) sitzen sie einer quasi transversal gestreckten Rhachis auf. Schildförmige oder peltate Blätter besitzen eine mehr oder weniger runde Spreite, an deren Unterseite der Blattstiel zu entspringen scheint (z.B. Tropaeolum majus, Kapuzinerkresse). Als schlauchförmig oder ascidiat bezeichnet man ein Blatt, bei dem auf dem Blattstiel eine tütenförmige oder lang schlauchförmige Spreite aufsitzt.
□ Blattformen [Rauh 1950: 94]
□ Peucedanum officinale; Habitus
□ Aesculus hippocastanum; gefingertes Blatt
□ Schefflera actinophylla (Araliaceae); Blätter
□ Tropaeolum majus (Kapuzinerkresse); Blätter
□ Nepenthes sp.; Kannenblatt
4.1.3 Anisophyllie
Unter Anisophyllie versteht man die Ausbildung ungleich großer, aber sonst gleichgestalteter Laubblätter an ein und derselben ausgewachsenen Pflanze.
Induziert (= modifikatorisch), also durch äußere Einflüsse bewirkt, ist eine solche Anisophyllie bei dorsiventralen Achsen, wo die Blätter der Ober- und Unterseite unterschiedliche Größe haben können.
Erblich fixiert oder habituell ist die Ungleichheit der Blätter z.B. bei den Moosfarnen (Selaginella). Bei den Arten der Gattung Selaginella werden an jedem Knoten ein kleineres, sog. Oberblatt und ein großes, sog. Unterblatt ausgebildet.
□ Acer platanoides (Spitz-Ahorn) [Strasburger 1978: 204]
4.1.4 Heterophyllie
Heterophyllie ist die Ausbildung ungleich gestalteter Blätter an ein und demselben Spross.
Induziert ist die Heterophyllie z.B. bei solchen Wasserpflanzen (z.B. Ranunculus peltatus), bei denen unterschiedliche Schwimm- bzw. Wasserblätter ausgebildet werden.
Eine habituelle Heterophyllie findet man z.B. beim Leberblümchen Heparica nobilis, wo an den plagiotrop wachsenden Achsen abwechselnd kleine Niederblätter und normale Laubblätter gebildet werden. Ein weiteres Beispiel ist Salvinia natans, die an jedem Knoten zwei flächige Schwimmblätter und ein ins Wasser ragendes, zerschlitztes Wasserblatt entwickelt.
□ Ranunculus peltatus; Schwimm- und Wasserblätter. Hepatica nobilis; Beblätterung [Strasburger 1978: 205]
□ Salvinia natans; Heterophyllie
4.2 Blattstellung
Die Blätter sind an der Achse nicht zufällig verteilt, sondern sie folgen hierbei jeweils einer gewissen Symmetrie.
Zwei Regeln kann man bzgl. der Verteilung der Blätter an der Achse bzw. am Knoten angeben, nach denen sich die Pflanzen in ihrer Beblätterung richten: die Äquidistanzregel, nach der die Blätter immer eine gleichmäßige Verteilung auf dem Knoten zeigen und die Alternanzregel, nach der die Blätter benachbarter Knoten miteinander alternieren.
4.2.1 wirtelig und gegenständig
Stehen an einem Knoten an der Sprossachse mehr als ein Blatt, so liegt eine wirtelige (oder bei zwei Blättern am Knoten gegenständige) Blattstellung vor.
Entsprechend der Anzahl der Blätter kann man die Wirtel als polymer (mit vielen Blättern; z.B. Hippuris vulgaris) oder trimer (mit drei Blättern; z.B. Juniperus communis) bezeichnen. Bei Pflanzen mit "dimeren" Wirteln stehen die Blätter aufeinanderfolgender Wirtel nach der Alternanzregel "auf Lücke". Diese Blattstellung wird daher allgemein als kreuzgegenständig oder dekussiert bezeichnet. Die Blätter stehen hierbei in vier sog. Geradzeilen oder Orthostichen.
□ Hippuris vulgaris; Habitus
□ Hippuris vulgaris; Blattwirtel und Sproßspitze [Troll 1973: 35]
□ Juniperus communis; Habitus
□ Ajuga genevensis; Habitus
4.2.2 wechselständig
Bei der wechselständigen Beblätterung befindet sich an jedem Knoten nur ein einziges Blatt. Stehen sich die Blätter von aufeinanderfolgenden Knoten genau gegenüber, bilden sie also genau einen Winkel von 180°, so resultiert eine zweizeilige oder distiche Beblätterung (1/2 Blattstellung; Allium porrum, Ravenala madagascariensis). Bei allen anderen Winkeln der aufeinanderfolgenden Blätter ist die Blattstellung schraubig oder dispers. Die Blattstellung kann durch einen Bruch angegeben werden, bei dem der Zähler die Anzahl der Umläufe um die Achse angibt, nach denen wieder ein Blatt direkt unter einem anderen derselben Orthostichen zu stehen kommt und der Nenner, wie viele Blätter in diese Anzahl der Umläufe hineinpassen. Ein Beispiel: bei der 2/5 Blattstellung stehen 5 Blätter in zwei schraubigen Umläufen um die Achse, das 1. und das 6. Blatt stehen genau übereinander. Von der Pflanze werden anscheinend bestimmte Blattstellungen bevorzugt.
Zwischen der Blattstellung und dem sog. Divergenzwinkel, also dem Winkel, in dem zwei aufeinanderfolgende Blätter zueinander stehen, besteht folgender Zusammenhang:
1/2 180° Poaceae, Ravenala, Iris
1/3 120° Cyperaceae
2/5 144° Rosa, Corylus
3/8 135° Aster, Plantago
5/13 128° 27' Sempervivum, Pinus strobus Zapfen
" "
137° 28' 30" = Limitdivergenzwinkel
Zähler und Nenner bilden hierbei je eine sog. Fibonacci-Folge, also eine solche Folge, bei der jede Zahl die Summe der beiden vorangegangenen ist.
Insgesamt stellt diese Blattstellungsfolge die sog. Schimper-Braun'sche Hauptreihe der Blattstellung dar. Bei diesen Blattstellungen stehen die Blätter an der Achse in sog. Orthostichen (Geradzeilen), deren Anzahl dem Nenner im Blattstellungbruch entspricht.
Der Divergenzwinkel strebt in dieser Reihe dem sog. Limitdivergenzwinkel von 137° 28' 30" zu. Bei dieser Blattstellung steht theoretisch kein Blatt direkt über einem anderen, was eine ideale Ausnutzung der Sonnenbestrahlung bedeuten würde.
Im Realfall weichen die Blattstellungen meist etwas von diesen idealen Zahlen der Hauptreihe ab. Es bilden sich daher an der Achse keine Geradlinien oder Orthostichen, sondern Schrägzeilen oder Parastichen.
□ Allium porrum (Lauch); Habitus
□ Ravenala madagascariensis (Baum der Reisenden); distiche Beblätterung
□ Plantago media (Mittlerer Wegerich); Blattstellung [Strasburger 1978: 158]
□ Aeonium tabuliforme; Habitus
4.3 Blattranken
Ganz oder in Teilen umgebildet zu Ranken, können auch die Blätter der Befestigung des Sprosses an einer Unterlage dienen.
Bei Pisum sativum und Lathyrus pratensis sind es Fiederblattranken. Die Endfieder und die obersten Seitenfiedern sind hier zu Ranken umgebildet. Bei Lathyrus aphaca ist es das gesamte Oberblatt. Die Stipeln stellen hier den einzigen assimilierenden Teil des Blattes dar. Bei Gloriosa rothschildiana dient die verlängerte Blattspitze der Festheftung.
□ Lathyrus pratensis; Fiederblattranken
□ Pisum sativum und Lathyrus aphaca; Fiederblattranken und Oberblattranke [Rauh 1959: 97]
□ Gloriosa rothschildiana; Blüte
□ Gloriosa rothschildiana; Ranke
4.4 Blattdornen
Ebenso wie zu Ranken, können Blätter auch in ihren Teilen oder als Ganzes zu Blattdornen umgestaltet sein.
Bei Berberis vulgaris bildet nur der Primärspross an seiner Basis normale Laubblätter. Bei den folgenden Blättern ist in fortschreitendem Maße die Spreitenbildung unterdrückt. Die Photosynthese wird übernommen von in den Achseln der meist dreispitzigen Dornblätter stehenden, sylleptischen (im selben Jahr gebildete) Kurztrieben mit normalen Laubblättern.
Bei vielen sukkulenten Euphorbiaceae, bei Acacia und etwa bei Robinia findet man Nebenblattdornen (= Stipulardornen).
Die Blätter von Astragalus sempervirens kommt es zur Ausbildung von Rhachisdornen. Die Blätter werden zunächst als normale Fiederblätter gebildet. Später fallen die Blattfiedern ab, und die verdornende Blattrhachis bleibt erhalten.
□ Berberis vulgaris; Blattverdornung [Strasburger 1978: 222]
□ Berberis vulgaris; Blattdornen und belaubte Kurztriebe
□ Euphorbia virosa; Habitus
□ Euphorbia grandicornis; Nebenblattdornen
□ Astragalus sempervirens (Fabaceae, Tragant); Habitus mit Rhachisdornen
Kurzinfo
- BIO.0001.003
Allgemeine Botanik - Dr. Jürgen R. Hoppe
- Vorlesung
- 2 SWS
Notizen / Zeichnungen: