10 Morphologie der Blütenstände
Als Blütenstand oder Infloreszenz bezeichnet man die der Blütenbildung dienenden Verzweigungssysteme einer Pflanze.
- Beblätterung
Die Beblätterung der Infloreszenzen ist typischerweise bracteos (= hochblattartig). Ist sie laubblattartig, so bezeichnet man die Infloreszenz als frondos.
- Vorhandensein einer Endblüte
Die Hauptachse der Infloreszenz kann mit einer (Terminal-) Blüte abschließen (geschlossene Infloreszenz) oder aber "blind" enden (= offene Infloreszenz). Das Vorhandensein oder Fehlen der Endblüte kann für größere Verwandtschaftskreise typisch sein. So besitzen etwa die Caryophyllaceae, Borraginaceae und Solanaceae geschlossene und die Brassicaceae und Scrophulariaceae offene Blütenstände.
- Art der Verzweigung
Die Infloreszenzen sind insgesamt als monopodiale Systeme angesehen. Die Verzweigung der seitlichen Teilblütenstände ist unterschiedlich. Sie kann ihrerseits monopodial (= razemös) oder sympodial (= cymös) sein.
10.1 Einfache Infloreszenzen
Einfache Infloreszenzen haben nur Seitenzweige ersten Grades.
10.1.1 Traube (Botrys)
Der einfachste Typ einer einfachen Infloreszenz ist die Traube. Sie besitzt typischerweise keine Endblüte, ist also eine offene Infloreszenz. Jede Seitenblüte ist hier deutlich gestielt.
□ Fuchsia sp.; Infloreszenz: frondose Traube
□ Chamaenerium angustifolium; Infloreszenz: brakteose Traube
□ Ribes rubrum; Infloreszenz: brakteose Traube
□ Erophila verna, Reduktion der Tragblätter im Blütenstand
□ Muscari comosum; Blütenstand
Ist eine Endblüte vorhanden, so spricht man dann von einer geschlossenen Traube (Botryoid).
□ Berberis vulgaris; fruchtend
Bei der Doldentraube ist die Infloreszenzachse gestaucht, so dass die Seitenblüten doldenartig angeordnet sind.
□ Iberis umbellatus; Blütenstand: Doldentraube
□ Ornithogalum umbellatum; Infloreszenz
10.1.2 Ähre (Spica)
Eine Ähre liegt dann vor, wenn die seitlichen Blüten ungestielt sind.
□ Plantago media; Blütenstand: Ähre
Ist hier eine Endblüte vorhanden, so nennt man den Blütenstand eine geschlossene Ähre (Stachyoid).
10.1.3 Kolben (Spadix)
Ein Kolben besitzt die Grundmerkmale einer Ähre, nur ist die Hauptachse hier stark verdickt.
□ Anthurium sp.; Blütenstand: Spadix
10.1.4 Dolde (Umbella od. Sciadium)
Bei der Dolde ist die Infloreszenzhauptachse gestaucht, so dass die Seitenäste fast von einem Punkt auszugehen scheinen.
□ Malus domestica; Blütenstand
□ Primula veris; blühend
Ist eine Endblüte vorhanden, so spricht man von einem Sciadioid.
□ Chelidonium majus; blühend
10.1.5 Köpfchen (Capitulum od. Cephalium)
Ist die Blütenstandsachse wie beim Kolben verdickt und bleibt zudem gestaucht, so resultiert ein Köpfchen. An der Basis ist der Blütenstand oft von gedrängt stehenden Hochblättern, dem Hüllkelch (= Involukrum) umgeben.
□ Helianthus annuus; Köpfchen ohne Endblüte
10.2 Komplexe Infloreszenzen
Bei den Komplexen Infloreszenzen geht die Verzweigung über den ersten Grad hinaus. Die genannten Verzweigungen wiederholen sich an den Seitenzweigen.
10.2.1 Partialinfloreszenzen razemös
(a) Doppeltraube
□ Melilotus altissima; blühend
□ Trifolium medium; köpfchenartige Doppeltraube
(b) Doppelähre
□ Lolium multiflorum; Blütenstand
(c) Doppeldolde
□ Libanotis pyrenaica; Blütenstand
(d) Doppelköpfchen
□ Echinops sphaerocephala; kugeliger Blütenstand aus einblütigen Köpfchen
(e) Rispe (Panicula)
Bei der Rispe verzweigen sich die Seitenäste ihrerseits wiederum razemös, wobei im typischen Fall der Verzweigungsgrad von unten nach oben abnimmt. Eine Endblüte ist typischerweise vorhanden.
□ Sambucus racemosa; Blütenstand
Ordnen sich die Blüten wie bei einer Dolde in eine flach gewölbte Ebene ein, so spricht man von einer Schirmrispe (Corymbus).
□ Sambucus nigra; Blütenstand
□ Schirmrispe und Spirre [Weberling 1981: 111]
Bei der Spirre (Anagramm von Rispe, Anthela) sind die Förderungsverhältnisse umgekehrt; hier übergipfeln die weiter unten inserierenden Seitenzweige die weiter oben liegenden.
□ Filipendula ulmaria; blühend
10.2.2 Partialinfloreszenzen cymös: Thyrsus
Eine größere Vielfalt zeigen die Infloreszenzen mit cymösen Partialinfloreszenzen (= Cymen). Sie werden allesamt als Thyrsus bezeichnet.
- Dichasium
Die einzelnen Formen der Thyrsen unterscheiden sich in der Verzweigung der seitlichen Cymen. Bei den Dikotyledonen kann die Verzweigung aus den meist transversal angeordneten, in Zweizahl vorhandenen Vorblättern erfolgen. Sind beide Vorblätter fertil, so bezeichnet man die betreffende Cyme als Dichasium.
□ Melandrium rubrum; Blütenstand männlich
- Monochasium
Ist nur jeweils ein Vorblatt fertil, so resultiert ein Monochasium.
* Wickel (Cincinnus)
Bei einer Wickel ist abwechselnd das rechte und das linke Vorblatt fertil, es resultiert eine "zickzack"-förmige Anordnung der Blüten.
□ Myosotis sp.; Blütenstand
□ Silene sp., Wickeltendenz im Blütenstand
* Schraubel (Bostryx)
Bei der Schraubel ist immer das Vorblatt derselben Seite fertil, so dass die konsekutiven Sympodialglieder "schrauben"-förmig angeordnet sind.
□ Hypericum perforatum; Blütenstand
Bei der Doppelwickel und der Doppelschraubel setzt die monochasiale Verzweigung erst nach einer ersten Verzweigung aus beiden vorhandenen Vorblättern ein (Beispiele: Scrophulariaceae, Boraginaceae).
* Fächel (Rhipidium)
Bei den Monokotyledonen ist typischerweise nur ein (adossiertes) Vorblatt vorhanden. Die Cymen sind hier also stets monochasial verzweigt. Erfolgt die Sympodienbildung jeweils aus der Achsel dieses Vorblattes, so resultiert eine Fächel (Beispiel: Iris)
* Sichel (Drepanium)
Bei einer Sichel verzweigen sich die Seitenachsen jeweils erst aus der Achsel des auf das Vorblatt folgenden Hochblattes.
□ Juncus tenuis; Blütenstand
- Sonderformen
* Cymoid
Eine Sonderform der Thyrsen sind die Cymoide. Sie werden so genannt, weil hier der gesamte Blütenstand den Aufbau einer Cyme zeigt indem hier nur jeweils ein oder zwei Partialinfloreszenzen unterhalb der Terminalblüte ausgebildet werden.
□ Cymoid [Weberling 1981: 117]
* Doppelthyrsen
Der thyrsische Bau des Haupttriebes wird von einigen, basalen Seitentrieben wiederholt.
□ Salvia pratensis; Blütenstand
* Scheindolden (Doldenthyrsen)
Bei Scheindolden sind die Blüten trotz zugrundeliegendem Thyrsus „doldig“ angeordnet.
□ Solanum tuberosum; Blütenstand
□ Sparmannia africana; Blütenstand
□ Holosteum humbellatum; Blütenstand
10.3 Pseudanthien
Bei den Pseudanthien, Scheinblüten oder "Blumen" handelt es sich um Infloreszenzen, die so stark modifiziert sind, dass sie ihrerseits aussehen wie eine Einzelblüte. Ihnen liegt in den jeweiligen Pflanzenfamilien ein unterschiedlicher Grundbauplan zugrunde.
Die Köpfchen der Compositen sind entstanden aus Ähren ohne Endblüte.
□ Taraxacum officinale; Köpfchen
Bei den Pseudanthien der Sterndolde (Astrantia sp., Apiaceae) sind es Dolden.
□ Astrantia sp.; Blütenstand
Die Kolbenförmigen Blütenstände der Dipsacaceae (Kardengewächse) sind entstanden aus Thyrsen ohne Endblüte.
□ Dipsacus laciniatus; Blütenstand
Die "Cyathien" genannten Pseudanthien z.B. der Gattung Euphorbia sind dagegen aus Thyrsen mit einer (weiblichen) Endblüte.
□ Euphorbia pulcherrima; blühend
□ Euphorbia amygdaloides; blühend
□ Schema eines Cyathiums der Euphorbia-Arten [Hoppe, J. 1982: 1]
Kurzinfo
- BIO.0001.003
Allgemeine Botanik - Dr. Jürgen R. Hoppe
- Vorlesung
- 2 SWS
Notizen / Zeichnungen: