Molekulare Mechanismen der Alterung

Wie können wir gesund altern?

Die „ewige Jugend“ ist verlockend, aber erschreckend ist für den Menschen die Vorstellung von der Gebrechlichkeit des Alters oder einem langen Leiden. Für die Lebenswissenschaften ist der alternde Mensch eine doppelte Herausforderung: Einerseits gilt es, grundlegende Alterungsprozesse auf molekularbiologischer Ebene zu klären. Andererseits sucht die Forschung nach effektiven Therapien oder Präventionsmöglichkeiten für altersbedingte Erkrankungen wie Diabetes, Osteoporose, Arthritis oder Krebs.

Alterung an Schnittstellen – Arbeit in einem eigenen Sonderforschungsbereich

Seit Ende 2021 wollen Ulmer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler innerhalb des Sonderforschungsbereichs (SFB 1506) "Aging at Interfaces" interdisziplinär an den „Stellschrauben des Alterns“ drehen, um nicht nur ein langes, sondern auch ein gesundes Leben zu ermöglichen. Im Zentrum der Forschung stehen Schnittstellen auf der zellulären und molekularen Ebene, die Einfluss auf den Alterungsprozess von Geweben, Organen und des Gesamtorganismus haben. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) fördert den SFB für zunächst vier Jahre mit rund 11 Millionen Euro.

"Wir sind überzeugt, dass sich der Alterungsprozess an solchen Schnittstellen regulieren lässt. Bereits kleine Veränderungen haben womöglich große Auswirkungen: Beispielsweise könnten sich sowohl Nervenfehlfunktionen als auch Schwächen des Immunsystems durch zielgerichtete molekulare Veränderungen auf einen Schlag bessern", erläutert Professor Hartmut Geiger, Sprecher des Sonderforschungsbereichs an der Uni Ulm.
Deshalb konzentrieren sich die 18 SFB-Teilprojekte nicht auf einzelne Krankheitsbilder, sondern auf die "Schrittmacher" des Alterungsprozesses: Schnittstellen des Nervensystems, der Immunantwort und von Organ-Systemen. Kommt es an solchen Schnittstellen zu Störungen, haben typische Erkrankungen leichtes Spiel. Auf der anderen Seite bieten diese "Stellschrauben" ungeahnte Chancen: Wird an ihnen gedreht, können gleich mehrere Alterserscheinungen positiv beeinflusst werden.

Mikroskop und Hände in einem blauen Hygienehandschuh

Regeneration und Stammzelltherapie

Einfach ausgedrückt geht es bei der Alterung um das Wechselspiel von Regeneration und Degeneration. Hierbei spielen Stammzellen eine Schlüsselrolle, da sie mit ihrem regenerativen Potenzial in der Lage sind, Schäden an Geweben und Organen teilweise zu kompensieren – oder im besten Falle sogar zu heilen. Doch je älter Stammzellen sind, desto schwächer wird ihre „heilende“ Kraft. Durch die Verjüngung von Stammzellen wollen Ulmer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler deren Reparatur-Potenzial erhalten. Dass der Alterungsprozess für blutbildende Stammzellen des Knochenmarks umkehrbar ist, haben Forschende um Professor Hartmut Geiger im Ulmer Institut für Molekulare Medizin schon bewiesen.

Von Langlebigkeitsgenen und systembiologischen Ansätzen

Die Regeneration als auch die Degeneration von Zellen, Geweben und Organen wird über genetisch determinierte molekulare Mechanismen gesteuert. Mittlerweile ist eine ganze Reihe von Langlebigkeitsgenen bekannt. Zugleich kennt man zahlreiche Faktoren, die Alterungsprozesse beschleunigen oder altersassoziierte Krankheiten wie Krebs auslösen. Auch hier setzt die Ulmer Alternsforschung an. Nicht zuletzt mit systembiologischen Ansätzen, die Erkenntnisse aus dem Labor mit mathematischen Konzepten verbinden und rechnergestützt verarbeiten.

Forschungsziel: gesund altern

Das Alter ist ein bedeutender Risikofaktor für die Gesundheit. Das heißt, obwohl Altern an sich keine Krankheit ist, treten mit zunehmendem Alter bestimmte Leiden häufiger auf. Diese Erkrankungen sind eine Folge der erhöhten Störanfälligkeit des Organismus. Forschungsziel ist es daher auch, durch die Prävention und Therapie von Alterskrankheiten nicht nur die Lebensspanne zu verlängern, sondern dem Menschen ein möglichst „gesundes Älterwerden“ zu ermöglichen.

Typische altersassoziierte Krankheiten sind die klassischen neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer und Parkinson, Herz-Kreislauferkrankungen und Erkrankungen am Bewegungsapparat wie Osteoporose oder Arthrose. Hinzu kommen Erkrankungen des Fett- und des Zuckerstoffwechsels (Adipositas und Diabetes Mellitus Typ II) sowie Krebs. In Ulm forschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Medizin und Naturwissenschaften gemeinsam zu den Ursachen dieser doch diversen Alterskrankheiten mit dem Ziel, Grundlagenwissen in die klinische Praxis zu übertragen.

Andere Gruppen beschäftigen sich mit dem fortschreitenden Verlust von Körperfunktionen an sich. Im Mittelpunkt stehen altersbedingte Veränderungen des Immunsystems oder des Bindegewebes, die mit Wundheilungsstörungen einhergehen. Große Hoffnungen der Ulmer Altersforschenden ruhen auf stammzellbasierten Therapien. Ein therapeutischer Ansatz der stellvertretenden SFB-Sprecherin Professorin Karin Scharffetter-Kochanek, Ärztliche Direktorin der Klinik für Dermatologie und Allergologie, ist bereits auf dem Sprung in die Praxis: Mit sogenannten mesenchymalen Stammzellen lässt sich die verlangsamte Wund- und Knochenheilung bei älteren oder vorerkrankten Personen anregen.

Einen völlig anderen Ansatz verfolgt die Apoptose-Forschung, bei der es darum geht, die Voraussetzungen und Folgen des „programmierten“ Zelltodes zu ergründen. Denn dieses zellulare „Suizidprogramm“ schützt Regenerationsprozesse vor unkontrollierten Wachstumseffekten und hilft so unter anderem, die Entstehung von Tumoren zu verhindern.

Wie sich die Weichen für ein gesundes Leben bereits in jüngsten Jahren stellen lassen, wird an der Universität Ulm auch untersucht: Im neu eingerichteten Standort des Deutschen Zentrums für Kinder- und Jugendmedizin (DZKJ).
Der Forschungsschwerpunkt von „Ulm Child Health“ (UCH) ist die Entwicklung von Körpersystemen wie Knochen, Organen oder Nerven. Diese haben grundlegende Bedeutung für ein gesundes Erwachsenenleben und sind mit häufigen Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter assoziiert. Dafür bündeln Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der federführenden Ulmer Universitätsklinik für Kinder- und Jugendmedizin unter der Leitung des Ärztlichen Direktors und Sprecher des UCH, Professor Klaus-Michael Debatin, der Medizinischen Fakultät sowie Uni-Forschende aus Psychologie, Naturwissenschaften und Informatik ihr Wissen. Denn gesundes Altern beginnt bereits in der Kindheit. In dieser hochsensiblen Phase wird der medizinische Grundstein dafür gelegt wird, wie sich ein gesunder Mensch entwickelt – bis hinein ins hohe Alter.

Mann sitzt am Krankenbett einer jungen Patientin

Altersassoziierte Erkrankungen verstehen

In einem weiteren Sonderforschungsbereich arbeiten Forschenden in Ulm am Verständnis der altersassoziierten Erkrankung Leukämie: Im SFB 1074: Experimentelle Modelle und Klinische Translation bei Leukämien versuchen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eine Brücke zwischen Grundlagen-, translationaler und (prä-)klinischer Forschung zu schlagen. Der Schwerpunkt liegt auf der Umsetzung von Erkenntnissen über die Pathogenese der akuten myeloischen Leukämie (AML), der akuten lymphatischen Leukämie (ALL) und der chronischen lymphatischen Leukämie (CLL) in neue Therapien. Der SFB 1074 mit Sprecher Professor Hartmut Döhner, Ärztlicher Direktor der Klinik für Innere Medizin III, baut auf einem der zentralen Forschungsthemen der Universität und einer langjährigen Tradition in der Hämatologie auf.

Im Comprehensive Cancer Center Ulm (CCCU) der Uniklinik Ulm und der Medizinischen Fakultät werden Patientinnen und Patienten mit bösartigen Tumorerkrankungen auf höchstem Niveau versorgt. Die interdisziplinäre Behandlung bezieht aktuelle onkologische Forschungsergebnisse und der Möglichkeit zur Teilnahme an Studien ein. Das CCCU ist eines von 15 onkologischen Spitzenzentren in Deutschland und konnte zusammen mit Tübingen-Stuttgart einen gemeinsamen Standort „NCT-SüdWest“ des erweiterten Nationalen Centrums für Tumorerkrankungen (NCT) einwerben. Dafür entsteht neben der Inneren Medizin ein neues Patienten- und Forschungsgebäude mit rund eintausend Quadratmetern Fläche.

Seit langem ist Ulm ein Zentrum für neurologische Spitzenforschung und inzwischen auch ein Standort des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE). In dieser Tradition befassen sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität, Universitätsklinikum Ulm sowie den Universitäts- und Rehabilitationskliniken (RKU) mit selteneren, aber schwerwiegenden Nervenerkrankungen wie der Amyotrophen Lateralsklerose (ALS) oder Chorea Huntington. Ein besonderes Interesse der DZNE-Fachleute gilt Biomarkern – messbare biologische Merkmale, anhand derer sich eine Erkrankung erkennen und der Verlauf abschätzen lässt. Mit seinem klinischen Studienzentrum sowie Patientenregistern für ALS und Huntington verfügt Ulm zudem über eine herausragende Infrastruktur für die medizinische Forschung.