Zukunft der betrieblichen Altersvorsorge: Wissenschaftler tagten mit Vertretern der Wirtschaft

Ulm University

Am 23. November fand in der Villa Eberhardt eine Konferenz zur Zukunft der betrieblichen Altersvorsorge statt. Das Thema war so aktuell wie vielseitig wie folgender Bericht zeigt.

Von der Lösbarkeit partieller Differentialgleichungen bis hin zu aktuellen Gesetzesvorlagen

Die Altersvorsorge ist zweifellos eines der wichtigen gesellschaftlichen Themen unserer Zeit. Das klassische 3-Säulen-Konzept bestehend aus privater Vorsorge, betrieblicher Altersvorsorge sowie gesetzlicher Rentenversicherung bröckelt, da letztere aufgrund der demographischen Veränderungen ihren Zweck nicht länger zu erfüllen im Stande ist. Hinzu kommt eine inzwischen langanhaltende Niedrigzinsphase. Diese und weitere Faktoren stellen die betriebliche Altersvorsorge vor neue Herausforderungen.

Aktuelle Fragestellungen

Welche Rollen sollen die Sozialpartner künftig in der betrieblichen Altersvorsorge spielen? Ist die Zielrente eine Lösung der Probleme? Und welche Rahmenbedingungen muss der Staat verändern, um insbesondere in mittelständischen Unternehmen adäquate zukunftsfähige Modelle der betrieblichen Altersvorsorge zu ermöglichen?

Um diese und weitere Fragen sowie Lösungsansätze zu diskutieren, veranstaltete die Fakultät für Mathematik und Wirtschaftswissenschaften der Universität Ulm in Zusammenarbeit mit der Stiftung WiMa Ulm die Konferenz. Ein breites Spektrum an Teilnehmern bestehend aus Wissenschaftlern aus dem In- und Ausland, Arbeitgebern und Gewerkschaften, Finanzdienstleistern, Vertretern der Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersversorgung e.V. (aba) sowie Beratern kamen zu einem regen Gedankenaustausch zusammen. Dadurch konnte ein inhaltlicher Bogen von der Lösbarkeit partieller Differentialgleichungen bis zu ganz aktuellen Gesetzesvorlagen geschlagen werden. Alles verbunden mit der Frage, welche Schlüsse hinsichtlich der optimalen Ausgestaltung der betrieblichen Altersvorsorge zu ziehen seien.

Wie sorgen junge Menschen vor?

Den Auftakt machte dabei Heribert Karch (Vorstandsvorsitzender aba) mit einem Vortrag über das Vorsorgeverhalten junger Menschen; er thematisierte hierin insbesondere die bestehende Unkenntnis vieler junger Menschen über Altersvorsorge sowie deren Vertrauen auf den Staat, sie vor Altersarmut zu bewahren. Passend dazu wurde in dem sich anschließenden wissenschaftlichen Block zunächst über zwei verschiedene Pensionssicherungsmechanismen sowie optimale regulatorische Regeln referiert. Zu beachten ist hierbei insbesondere, dass sich die optimalen regulatorischen Schwellenwerte sehr stark je nach Wahl des Risikomaßes unterscheiden und die gleichzeitige Anwendung mehrerer Mechanismen eine lockerere Gestaltung des regulatorischen Rahmens ermöglicht – zwei für die praktische Anwendung wichtigeErkenntnisse.

Mehr Risiken eingehen, zum Beispiel durch Anlage in Aktien?

In einem größeren Kontext wurde die Frage diskutiert, ob man riskanter (d.h. mehr in Aktien) investieren sollte, je jünger man ist. Dies ist aus wissenschaftlicher Sicht grundsätzlich der Fall, es sei denn, die Entwicklung von Aktienmarkt und Einkommen des Individuums sind zum Beispiel zu stark korreliert.

Modelle für eine betriebliche Altersvorsorge

Im Anschluss wurde über Zukunftsmodelle der betrieblichen Altersvorsorge debattiert. Ein solches bildet zum Beispiel das Zielrentensystem. Hierbei sollen hohe Renditen durch Verzicht auf Garantien und eine freiere Kapitalanlage, d.h. ohne quantitative Anlagevorschriften, erzielt werden. Die Schwierigkeiten bestehen dabei vor allem im Finden einer optimalen Anlagestrategie sowie adäquater Sicherheitsmechanismen und der generationengerechten Ausgestaltung des Zielrentensystems. So wurde beispielsweise vorgeschlagen, dass Fehlbeträge verteilt werden, indem man zunächst vorangegangene Leistungserhöhungen zurücknimmt, aber auch auf den Grund der Entstehung eines solchen Fehlbetrages achtet und diesen entsprechend berücksichtigt. In der anschließenden Diskussion wurden wiederholt die Wichtigkeit der Sozialpartnerschaft bei der Ausgestaltung der betrieblichen Altersvorsorge sowie die Rolle des Gesetzgebers hervorgehoben.

Bilanzierung betrieblicher Altersvorsorge

Da Bewertung und Bilanzierung im Rahmen von betrieblicher Altersvorsorge eine große Rolle spielen, wurde der hier bestehende Bedarf an Reformen und möglichen Optionen dafür ebenfalls erörtert. Ein zentraler Punkt ist hierbei die Reform der Vorschriften für den Rechnungszins. Wichtige Grund- und Vorfragen sind, ob Rückstellungen (und dann auch Verbindlichkeiten) überhaupt abgezinst werden sollten und, wenn ja, wie diese Abzinsungssätze bemessen und geglättet werden müssten? Eine zukunftsorientierte Glättung scheint hier eine sinnvolle Lösung zu sein. Zudem wurde über die Kosten des § 6a EStG in seiner aktuell gültigen Form, seine konzeptionellen Schwächen sowie dessen eventuelle Verfassungswidrigkeit debattiert. Diskussionsteilnehmer vertraten hierbei die Auffassung, dass der in Rede stehende Paragraph in der Tat veraltet sei.

Förderung für mittelständische Unternehmen?

Sehr intensiv wurde auch die staatliche Förderung der betrieblichen Altersvorsorge in mittelständischen Unternehmen diskutiert. Zentral ist hier ein gemeinsamer Referentenentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales sowie des Bundesministeriums der Finanzen. Den Sozialpartnern soll die Möglichkeit für reine Beitragszusagen auf tariflicher Grundlage eingeräumt werden. Darüber hinaus sind ein neues steuerliches Fördermodell spezifisch für Geringverdiener („BAV-Förderbetrag“) sowie eine Verbesserung der betrieblichen Riester-Förderung für diese vorgesehen.

An diesem Gesetzentwurf ist positiv hervorgehoben worden, dass dieser ein zusätzliches Angebot schafft und gleichzeitig das bestehende 3-Säulen-Modell erhalten bleiben soll. Zudem wird die Versorgungszusage mit der Kapitalanlage (Zielrente) verknüpft. Kritisiert wurde unter anderem, dass dem Arbeitgeber noch keine Möglichkeit gegeben wird, eine angemessene betriebliche Altersvorsorge innerhalb eines einzigen Durchführungsweges steuerlich sinnvoll zu verwirklichen, mit anderen Worten: Die steuerinduzierte Komplexität bleibt bestehen.

Die Universität Ulm ist die einzige Universität in Deutschland mit einer gemeinsamen Fakultät für Mathematik und Wirtschaftswissenschaften unter Einschluss der Fachgebiete Wirtschafts- und Steuerrecht. Dieser Dreiklang bestehend aus Mathematikern, Wirtschaftswissenschaftlern und Juristen ermöglicht es, Themen wie die betriebliche Altersvorsorge aus allen relevanten Perspektiven zu beleuchten und wichtige Grundlagen und Anwendungsfragen zu erforschen. Dabei wird ein reger Gedanken- und Erfahrungsaustausch mit Praktikern betrieben, sodass am Standort Ulm genau das relevante Know-how zusammenkommt. Mehr Informationen rund um den interdisziplinären Schwerpunkt Altersvorsorge und weitere Themen aus dem Bereich der Versicherungswissenschaften können unter www.uni-ulm.de/mawi/ivw gefunden und Anfragen an mawi.ivw@uni-ulm.de gerichtet werden.

Prof. An Chen
Prof. Heribert Anzinger