Und unser Universitätsbetrieb ist jetzt ist ein glatter Hohn auf den Grundsatz „alles unter einem Dach“. Der Bau auf dem Eselsberg ist noch eine klaffende Baugrube. So sieht er aus bei einer Teilgrundsteinlegung. Das provisorische Rektorat ist in dem ehemaligen Versicherungsgebäude Nr. 10 in der Parkstraße. Vorklinische Mediziner arbeiten schräg gegenüber in der alten urologischen Klinik, dem „Johanneum“, die Biologen in einer Etagenwohnung in der Olgastraße, wo wir Ärger bekommen wegen unserer Tiere – und Erfahrungen mit dem Prinzip der Kehrwoche – die Physiologen ähnlich in einer Parallelstraße. Die Physiker arbeiten in einem Industriegebäude namens Laumayer, mit Vorlesungen und Übungen in der Fachhochschule während deren vorlesungsfreier Zeit. Die Universitätsverwaltung zieht aus ihrer Baracke in der Bahnhofsstraße in den denkmalgeschützten mittelalterlichen „Ochsenhäuser Hof“ mit einem stimmungsvollen Saal mit Holzsäulen und Deckenbalken, aber Sitzungsräumen unter dem Dach mit unerträglicher Sommerhitze. Die Psychosomatik ist oben auf dem Kuhberg in dem denkmalgeschützten Gebäude der ehemaligen Hochschule für Gestaltung.
Im Kloster Wiblingen sind die Universitätsbibliothek, das Rechenzentrum und die Schule für nichtärztliche Heilberufe. Das Kloster ist leider trotz seiner weltberühmten Bibliothek, dem Gewicht moderner Buchreihen nicht recht gewachsen. Ähnliches gilt für das auch dort untergebrachte Rechenzentrum. Im Klosterkomplex wird auch ein Gästewohnhaus für ausländische Gastforscher eingerichtet in dem bisherigen Güllestall. (Die Gäste wissen hoffentlich nicht, was Gülle ist)
Das Schloss Reisensburg ist inzwischen renoviert und ist Gäste- und Tagungsstätte für die Universität ebenso wie in Ulm die Villa Eberhardt in der Heidenheimer Straße.
Für das Medizinstudium gibt es völlig neue Vorschriften mit eigenem Vokabular von einer Bonner Kommission, der auch Herr von Uexküll angehört. Prüfen darf nicht mehr jeder Fachmann sein Gebiet, von dem er was versteht, und wie er das gelehrt hat, sondern es gibt „Gegenstandskataloge“ und ein eigenes „Institut für medizinische Prüfungsfragen“, das uns sogar unseren Prorektor Gebert abwirbt.
Um die Lehre im Sinne dieser Vorschriften auszurichten, stellt von Uexküll ein Diplompsychologen-Ehepaar ein. Ohne eigene medizinische Ausbildung können die eigentlich nichts tun, als uns ausgiebig über die Vorlesungen zu befragen. In aller Eile gründet der Anatom Herrmann eine „Realplanungskommission“ – für das, was wir wirklich sofort brauchen: Hörsaal, Tafel, Kreide, Projektion, usw. Der Name “Realplanungskommission“ stammt sogar noch von Heilmeyer, der sich über diese ganzen modischen Umbenennungen lustig macht.
Die vorklinischen Vorlesungen für Mediziner beginnen mit 52 Studenten im November 1969 in der Parkstraße. Nach unseren Reformvorstellungen, stehen zur gleichzeitigen lebendigen Demonstration Mikroskope bereit. Aber irgendein schlauer Studienplatzbewerber findet heraus, der Raum könnte noch mehr Studienanfänger fassen. Es folgt der übliche Weg: Eltern, Rechtsanwalt, Verwaltungsgericht: Die Tische samt Mikroskopen müssen raus, und jetzt gehen (ich glaube es sind:) 65 Studenten in den Raum.
Der erste verfügbare Raum auf dem Eselsberg fasst dann als provisorischer Hörsaal mehr Studenten. Die Zahl ist mir entfallen, aber ohnehin wird sie sofort angefochten, und mitten in die Vorlesung platzt eine Kommission vom Verwaltungsgericht Sigmaringen, und es gibt unter studentischer Beteiligung eine Diskussion, ob der Raum überbesetzt und deshalb die Luft so schlecht sei, und ob es ein Unterschied ist, ob die Kommission am Anfang oder am Ende der Vorlesung kommt.
1971/72 werden nacheinander die Baustufen A und B auf dem oberen Eselsberg fertig. Jetzt ist „die Universität“ auch wirklich ein Gebäude, sogar eines, das sich sehen lassen kann. Sie ist mit 615 m Seehöhe die höchstgelegene deutsche Universität. Da die echten Gebirgsländer wie Österreich ihre Universitäten im Tal bauen und nicht auf dem Berg, gilt dies wahrscheinlich sogar noch über einen weiteren Bereich. Einmalig und reizvoll ist im Forum der freie Tiefblick hinunter auf den Grundstein mit der Höhenangabe, darüber das Werk des Japanischen Künstlers Tomitaro Nachi, eine goldene drehbare Scheibe. Farbe in das äußere Bild bringen neben dem bemalten Öltank die drei bunten Säulen von Max Bill. Sie sind, außer dem Gebäude auf dem Kuhberg, leider die letzte Verbindung mit der früheren Ulmer „Hochschule für Gestaltung.“
Auch anders kommt noch Farbe ins Bild. Die Vielfalt der nacheinander gestellten Aufgaben: Strukturmodell, klinische Maximalversorgung, Entlastungsuniversität mit möglichst vielen Studienplätzen – erinnert unsere Studenten an das Ideal der eierlegenden Wollmilchsau, und sie setzen ihr ein Denkmal. Leider stellt sich heraus, dass dieses Idealbild praktischer Zweckmäßigkeit dem Idealbild des Feinen und Zarten, dem „Dichter und seiner Muse“ deutlich distanziert gegenübersteht, um nicht zu sagen: feindselig.