12 Die Frucht
Frucht ist eine Blüte im Zustand der Samenreife (Knoll 1939: 136). Diese Definition ist deshalb sinnvoll, da an der Fruchtbildung nicht nur der Fruchtknoten selbst, sondern oftmals auch noch andere Teile der Blüte mit beteiligt sind.
Die im Folgenden angegebenen Fruchtformen stellen nur einen Teil der möglichen Formen dar. Eine etwas eingehendere Darstellung, wobei besonders auf die jeweiligen Diasporen Wert gelegt ist, kann dem am Ende des Kapitels beigefügten Schema entnommen werden.
12.1 Entstehung von Same und Frucht
12.1.1 Der männliche Gametophyt
Archespor jedes Pollensackes (= Mikrosporangium) besteht aus einer großen Anzahl von Pollenmutterzellen (= Mikrosporenmutterzellen), die unter Reduktionsteilung jeweils eine Pollentetrade (= Mikrosporentetrade) bilden. Aus jeder Pollenzelle entwickelt sich noch vor der Öffnung der Anthere das stark reduzierte Mikroprothallium, das bei den Angiospermen zunächst auf zwei Zellen reduziert ist, nämlich der größeren, siphonogenen Zelle (= Pollenschlauchzelle; = vegetative Zelle) und der kleineren, antheridialen Zellen (= generative Zelle). Meist erst beim späteren Auswachsen des Pollenschlauches nach der Bestäubung wandert die generative Zelle in den Pollenschlauch und teilt sich in die beiden Spermakerne. Die Anzahl der Zellen bei der Bestäubung - zwei oder drei - ist ein systematisch verwendbares Merkmal.
(Tafelzeichnung) Pollenmutterzelle, Reduktionsteilung, Pollen, Entwicklung des Gametophyten mit vegetativer Pollenschlauchzelle und generativer Zelle, Spermazellen
12.1.2 Samenanlage und weiblicher Gametophyt
Samenanlage besteht aus dem zentralen Nucellus („Kern") und den diesen umschließenden Integumenten. Die Integumente lassen eine Öffnung frei, die sog. Mikropyle. Der Stiel der Samenanlage wird als Funikulus bezeichnet.
Im Nucellus (= Megasporangium) wird durch Reduktionsteilung einer Embryosackmutterzelle eine Tetrade von haploiden Embryosackzellen (= Megasporen) gebildet, von denen aber in der Regel 3 zugrundegehen. Die einzige verbleibende, primäre Embryosackzelle entwickelt sich zum Embryosack (= Megaprothallium). Sie wächst stark heran und teilt sich in 3 freien Kernteilungen in insgesamt 8 Kerne. Je drei umgeben sich an den schmalen Enden des Embryosackes mit einer Membran. Der der Mikropyle zugewandte Eiapparat besteht aus der Eizelle und den beiden Synergiden, am gegenüberliegenden Pol liegen die drei Antipoden. Die beiden zentral gelegenen sog. Polkerne verschmelzen zum diploiden sekundären Embryosackkern. Von dieser Entwicklung, dem sog. Polygonum-Typ der Embryosackentwicklung, gibt es allerdings zahlreiche Abweichungen.
Die Angiospermen haben eine sog. doppelte Befruchtung. Von den beiden im Pollenschlauch befindlichen Spermakernen verschmilzt einer mit der Eizelle zur Zygote. Der andere verschmilzt mit der sekundären Embryosackzelle zum triploiden Endospermkern.
12‑1 Lebenszyklus der Angiospermen |
(Tafelzeichnung) Bau der Samenanlage, Entwicklung des Embryosackes, Befruchtung
12.1.3 Der Same
Der fertige Same besteht aus Embryo, Nährgewebe und Samenschale (= Testa).
(Tafelzeichnung) Samen, Samenschale (= Testa), Perisperm, Endosperm, Embryo mit Speicherkotyledonen oder Speicherhypokotyl, Differenzierung der Fruchtknotenwand zur Fruchtwand
Als Nährgewebe können unterschiedliche Gewebe des Samens dienen. Das sog. primäre Endosperm kommt bei den Gymnospermen vor. Es entspricht dem Prothallium und ist ein schon vor der Befruchtung entstandenes, haploides Nährgewebe. Die Angiospermen besitzen demgegenüber ein erst nach der doppelten Befruchtung entstehendes, sekundäres Endosperm. Seine Zellen sind also triploid.
Bei einigen Pflanzen kann auch Nucellusgewebe als Nährgewebe differenziert sein. Ein solches Gewebe wird als Perisperm bezeichnet. Es kommt z.B. vor beim Pfeffer (Piper nigrum, Piperaceae).
Auch Teile des Embryos können der Stoffspeicherung dienen. So bilden z.B. die Fabaceae Speicherkotyledonen aus, und bei der Paranuss (Bertholletia excelsa, Lecythidaceae) entspricht das Speichergewebe dem Hypokotyl.
□ Arachis hypogaea (Erdnuss, Fabaceae); Embryo mit Speicherkotyledonen
□ Bertholletia excelsa (Paranuss, Lecythidaceae); Nuss
12.2 (Einzel-) Früchte
Einzelfrüchte entstehen aus coenokarpen (verwachsenblättrigen) oder apokarp-unikarpellaten Gynoeceen.
12.2.1 Spring- und Streufrüchte
Öffnen sich die Früchte zur Reifezeit und werden allein die Samen ausgebreitet, so werden sie als Spring- oder Streufrüchte bezeichnet.
(a) Balg
Der Balg ist eine Einblattfrucht, die sich an der Karpell-Bauchnaht öffnet. Häufiger sind Bälge allerdings in Sammelfrüchten, nur in wenigen Fällen findet man sie auch einzeln, so z.B. beim Rittersporn (Consolida regalis, Ranunculaceae).
□ Consolida regalis (Feld-Rittersporn, Ranunculaceae); Frucht
(b) Hülse
Im Gegensatz zum Balg öffnet sich die Hülse an der Bauch- und der Rückennaht der Karpelle. Der deutsche Name "Hülsenfrüchtler" deutet auf diesen Fruchttyp bei den Fabaceae hin.
□ Pisum sativum (Erbse, Fabaceae); Hülse
(c) Kapsel
Kapseln sind (meist trockene), sich öffnende Mehrblattfrüchte. Sie werden nach ihrer Öffnungsart benannt und eingeteilt.
- Spaltkapsel
Eine Spaltkapsel öffnet sich mit einem oder mehreren längs verlaufenden Öffnungslinien (= Dehiszenzlinien). Diese Öffnungslinien können sich an der Bauchseite der einzelnen Karpelle (= ventrizid), an der Rückenseite der Karpelle (= dorsizid, = fachspaltig), senkrecht zu vorhandenen Septen (= septifrag, = scheidewandbrüchig) oder "in" den Septen (= septizid, = scheidewandspaltig) befinden. Kombinationen dieser Öffnungsweisen sind möglich.
Eine rein ventrizide Öffnung der Karpelle kann nur bei solchen coenokarpen Fruchtknoten zu einer Samenausstreuung führen, deren Karpelle einen mehr oder weniger deutlichen apokarpen Abschnitt besitzen. Bei der Pimpernuss (Staphylaea) ist dieser Bereich relativ kurz, beim Diptam (Dictamnus albus) sogar grösser als der basale, fertile, coenokarpe Teil.
□ Staphylaea; Frucht
□ Diptamnus albus; Frucht
Die Öffnung wird als septizid bezeichnet, wenn die Längstrennung in den Septen bzw. bei coeno-parakarpen Fruchtknoten an den Verwachsungsnähten erfolgt (z.B. bei Orchidaceae). Bei ausschließlich septizider Trennung der Karpelle ergibt sich bei rein coenokarpen Früchten nur dann eine Öffnung, wenn diese wenigstens einen kleinen apikalen parakarpen Abschnitt besitzen (z.B. Agrostemma githago, Caryophyllaceae).
□ Agrostemma githago; Frucht
□ Cerastium arvense (Acker-Hornkraut, Caryophyllaceae); geschlossene Frucht
□ Cerastium arvense (Acker-Hornkraut, Caryophyllaceae); geöffnete Frucht
Funktionell am einfachsten, wenn auch phylogenetisch abgeleitet erfolgt die Öffnung der Karpelle lokulizid, also auf den Karpellaußenflächen (z.B. bei Tulipa).
Septifrage Kapseln haben eine Spaltung in den Septen quer zur Vereinigungsfläche der Karpelle. Eine Öffnung erfolgt nur in Verbindung mit einer Septizidie oder eine Lokulizidie. Septizid-septifrag sind die Kapseln der Herbstzeitlose (Colchicum autumnale, Colchicaceae), septifrag-lokulizid die von Iris oder Aesculus.
□ Iris pseudacorus; blühend
□ Iris pseudacorus; Frucht
□ Iris foetidissima; Frucht
□ Colchicum autumnale (Herbst-Zeitlose, Colchicaceae); geöffnete Frucht
- Fensterkapsel
Die Schote ist eine Sonderform der Kapsel. Hier lösen sich Teile der Karpellflächen von einem Rahmen (= Replum) aus den vereinigten Karpellrändern und ihren Plazenten. Man kann diese Fruchtform auch als Fensterkapsel bezeichnen.
□ Capsella bursa-pastoris (Hirtentäschel, Brassicaceae); Schötchen (= "Fensterkapsel")
- Porenkapsel
Bei der Porenkapsel wird keine ausgedehnte Dehiszenzlinie gebildet sondern nur einige begrenzte Poren (z.B. bei Papaver).
□ Papaver sp. (Mohn, Papaveraceae); Porenkapsel
- Deckelkapsel
Bei einer Deckelkapsel verläuft die Dehiszenzlinie auf dem Umfang und in sich selbst zurück (z.B. bei Anagallis arvensis, Plantago)
□ Anagallis arvensis; Deckelkapsel
□ Plantago lanceolata; Deckelkapsel
12.2.2 Schließfrüchte
Die Schließfrüchte entlassen die Samen nicht, sondern sie werden als Ganzes ausgebreitet. Die Fruchtwand (das Perikarp) kann unterschiedlich differenziert sein und zeigt im "typischen" Falle eine histologische Gliederung in Endo-, Meso- und Exokarp (innere, mittlere, äußere Fruchtwandschicht).
(a) Beeren
Bei der Beere ist das Perikarp vollständig fleischig-saftig.
Bei vielen Beeren ist die äußere Schicht allerdings lederig fest. Man bezeichnet solche Früchte dann als Panzerbeeren. Beispiele hierfür sind etwa Gurke, Kürbis, Apfelsine (und andere Citrus-Arten; die Frucht wird auch als Hesperidium bezeichnet) und die Banane (! aus unterständigem Gynoeceum).
□ Capsicum annuum; Beere
□ Lycopersicon lycopersicum; Beere
□ Viscum album; unterständige Beere
□ Musa paradisiaca; unterständige Beere
Eine Sonderform stellt die sog. „Apfelfrucht" dar. Sie geht aus einem halbunterständigen Gynoeceum hervor, bei welchem die Karpelle untereinander frei, aber an ihrer Dorsalseite mit der Blütenachse verwachsen sind. Das Fruchtfleisch des Apfels geht aus diesem Achsengewebe hervor, das die pergamentartigen balgähnlichen, sich aber nicht öffnenden Karpelle vollständig einschließt.
□ Malus sylvestris; Frucht [Rauh, W. 1950: 227]
(b) Steinfrüchte
Die Steinfrüchte besitzen ein fleischiges (oder bei Cocos nucifera faseriges) Mesokarp und ein sklerifiziertes ("steiniges") Endokarp. Die Früchte besitzen üblicherweise einen einzelnen Samen (z.B. bei Prunus), beim Hollunder (Sambicus nigra, Caprifoliaceae) sind es dagegen mehrere Samen.
□ Prunus sp.; Steinfrucht
□ Sambucus nigra: Steinfrucht mit mehreren Samen
□ Cocos nucifera; Steinfrucht, Mesokarp faserig
(c) Nuss
Bei den Nüssen schließlich ist das Perikarp vollständig sklerenchymatisch. Die Frucht enthält in der Regel einen einzigen Samen.
Bei einigen Pflanzenfamilien haben die "Nüsse" eine besondere Bezeichnung erhalten. Die aus einem oberständigen Gynoeceum gebildeten Fürchte der Poaceae werden als Caryopse, die aus unterständigen Gynoeceen gebildeten Früchte der Asteraceae und Valerianaceae als Achäne bezeichnet. Es sei im Übrigen darauf hingewiesen, dass die "typische" Nuss der Haselnuss (Corylus avellana) ebenfalls unterständig ist.
□ Corylus avellana; Nuss
□ Zea mays; Früchte
□ Taraxacum officinale; Früchte
12.2.3 Zerfallfrüchte (Spalt- und Bruchfrüchte)
Nussartigen Schließfrüchte können auch in einzelne Ausbreitungseinheiten (= Diasporen) zerfallen, die dann jeweils meist einen einzigen Samen enthalten.
(a) Spaltfrüchte
Spaltfrüchte (z.B. von Acer, Anthriscus oder Malva) spalten sich an der Karpellnaht längs in einzelne Diasporen auf.
□ Acer campestre; Frucht
□ Anthriscus sylvestris; Frucht
□ Malva sp.; Frucht
(b) Bruchfrüchte
Die Bruchfrüchte brechen dagegen quer in einzelne einsamige Diasporen.
□ Hedysarum hedysaroides (Alpen-Süßklee, Fabaceae); Frucht
12.3 Sammelfrüchte
Sammelfrüchte entwickeln sich aus apokarpen Gynoeceum mit mehreren Karpellen. Die Perikarpdifferenzierung entspricht der der Einzelfrüchte.
Bei den Sammelbalgfrüchten sind die einzelnen Teilfrüchte als Balg ausgebildet.
□ Caltha palustris; Sammelbalg
Die Sammelnussfrucht besteht aus einzelnen "Nüsschen". Diese sitzen bei der Erdbeere (Fragaria vesca) einem fleischigen Blütenboden auf. Bei der Rose sind die einzelnen Früchte urnenförmig von Achsengewebe umhüllt.
□ Fragaria vesca; Sammelnussfrucht
□ Rosa sp.; Hagebutte aufgeschnitten
Sammelsteinfrüchte bestehen aus einzelnen Steinfrüchten.
□ Rubus idaeus (Himbeere, Rosaceae); Sammelsteinfrucht
12.4 Fruchtstand
Die Früchte eines Blütenstandes bilden eine Einheit. Sie werden als Ganzes ausgebreitet.
Bei der Ananas (Ananas comosum, Bromeliaceae) handelt es sich um einen "Beerenfruchtstand" mit unterständigen Gynoeceen. Achse und Brakteen (Deckblätter) sind in die Bildung des fleischigen Gewebes mit einbezogen.
□ Ananas comosum; Beerenfruchtstand [Rauh 1950: 229]
Bei der Feige (Ficus carica, Moraceae) ist die Blütenstandsachse urnenförmig gestaltet, die einzelnen Früchte entwickeln sich zu Steinfrüchten.
□ Ficus carica; Steinfruchtstand
Bei der Maulbeere (Morus sp. Moraceae) werden die in zwei zweizähligen Wirteln angeordneten Perigonblätter (Blütenhüllblätter) zur Fruchtzeit fleischig und umgeben die einzelnen Steinfrüchte. Die Früchte eines Blütenstandes bleiben zusammen.
□ Morus sp. (Moraceae); Steinfruchtstand
Kurzinfo
- BIO.0001.003
Allgemeine Botanik - Dr. Jürgen R. Hoppe
- Vorlesung
- 2 SWS
Notizen / Zeichnungen: