Wenn die Verunsicherung wächst

Ulmer Denkanstöße 2023 zu »Unsicherheit – Sicherheit«

Kriege, Klimawandel, Katastrophen – die Vielzahl an Krisen weltweit beunruhigt auch die Menschen hier. Die Verunsicherung wächst und damit das Bedürfnis nach Sicherheit. Wie gehen wir als Gesellschaft damit um? Wie können wir als Individuum damit fertig werden? Antworten auf solche Fragen gab es Anfang März im Stadthaus. Denn die diesjährigen Ulmer Denkanstöße standen ganz im Zeichen des vielschichtigen Spannungsverhältnisses zwischen Unsicherheit und Sicherheit.

»Das Unsicherheitsgefühl ist größer geworden, und das merkt man auch in der Stadt. Die Debatten sind emotionalisierter als früher«, sagte Iris Mann, Ulmer Bürgermeisterin für Kultur, Bildung und Soziales, am Eröffnungsabend. Die Kulturabteilung der Stadt Ulm gehört wie das Humboldt-Zentrum der Uni Ulm und die Stiftung Bildung und Soziales der Sparda-Bank Baden-Württemberg zu den Veranstaltern der Denkanstöße. Uni-Präsident Professor Michael Weber betonte bei der Auftaktveranstaltung, dass Wissenschaft eigentlich immer mit Unsicherheit beginnt: »Man weiß nie, wo man hinforscht und welche Erkenntnisse man gewinnen wird. Die Forschenden versuchen dann, mit ihren Forschungsergebnissen Sicherheit zu gewinnen.« Martin Hettich wies als Vorstandsvorsitzender der Sparda-Bank Baden-Württemberg darauf hin, dass die letzten drei Jahre – wegen Corona-Krise und Ukraine-Krieg – die größte Herausforderung für die Bank jemals waren.

Das Programm der Ulmer Denkanstöße ist in diesem Jahr noch jünger, weiblicher und bunter geworden. Eine personelle Änderung ergab sich durch den Leitungswechsel an der Spitze des Humboldt-Studienzentrum (HSZ), jetzt Humboldt-Zentrum (HZ). Nach der Verabschiedung der langjährigen HSZ-Geschäftsführerin und Mitbegründerin der Ulmer Denkanstöße, Professorin Renate Breuninger, hat nun die Philosophie-Professorin Rebekka Hufendiek seit Anfang des Jahres die Geschäftsführung inne.

Die 42-jährige Wissenschaftlerin hat damit auch bei den Ulmer Denkanstößen das Ruder für die Uni übernommen. Die Philosophin Hufendiek, die von der Uni Bern an die Uni Ulm gewechselt ist, stellte sich am Eröffnungsabend dem Publikum selbst als »bunten Hund« vor. Ihre Forschungsschwerpunkte reichen von der Wissenschaftstheorie bis zur Philosophischen Anthropologie. Zum Thema Sicherheit erklärte sie: »Als soziale Wesen können wir für unsere Sicherheit nie alleine sorgen, sondern sind immer auf Beziehungen zu anderen Menschen angewiesen«.

Blick auf das Publikum und die Bühne während eines Vortrags

Den Eröffnungsvortrag hielt Wolfgang Bauer. Der Journalist ist Reporter der Chefredaktion bei der ZEIT und hat zahlreiche Krisenregionen der Erde bereist. Unter dem Titel »Warum Wegsehen nicht mehr hilft« ging Bauer mit der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik scharf ins Gericht. Er kritisierte insbesondere das deutsche Engagement in Afghanistan als kostspieligen Fehlschlag. Denn es sei nicht gelungen, die Zivilgesellschaft zu stärken und einen demokratischen Wandel einzuleiten. Im Falle Syriens beklagte er wiederum das fehlende Engagement der deutschen Bundesregierung und Europas für das bürgerkriegsgeplagte Land.

Um strukturelle Krisenfaktoren, die feministische Revolte im Iran und die Gefährdung der liberalen Demokratie durch den Klimawandel ging es am Freitag in der Runde mit Nicola Popovic, Gilda Sahebi und Jonas Schaible. Das anschließende Thema beim Buchgespräch mit Agota Lavoyer: Kindesmissbrauch und sexualisierte Gewalt. Am Abend dann stand dann die Ukraine im Rampenlicht, genauer gesagt die brisante Lage von ukrainischen Kulturschaffenden. Unter der Moderation der ukrainischen Kulturmanagerin Iryna Frenkel waren Kulturamtsleiterinnen und -leiter aus Mariupol und Kherson live zugeschaltet. Im Anschluss brillierte das ukrainische Lyatoshinsky Trio mit Werken von Arvo Pärt, Felix Mendelssohn und Borys Lyatoshinsky, in kriegsbedingt alternativer Besetzung.

Man weiß nie, wo man hinforscht und welche Erkenntnisse man gewinnen wird

Am Samstag rückte schließlich die innergesellschaftliche sowie die private Ebene in den Fokus. Zu Gast waren Professor Tobias Singelnstein, Holger Marcks und Jürgen Bering. Dabei ging es um Kriminalstatistiken und das subjektive Sicherheitsempfinden, um Soziale Medien und andere Gefahren aus dem Netz sowie um die Destabilisierung der Demokratie durch Desinformation. Den Abschlussvortrag bestritt schließlich die preisgekrönte Journalistin Eva Wolfangel. Die Expertin für Cybersicherheit tauchte ein in ein Thema, das mehr und mehr an Brisanz gewinnt: Hackerangriffe auf Unternehmen, Universitäten und Behörden. Im Interview spricht sie über die Tricks der Betrüger und gibt Tipps, wie man sich schützen kann.

Unterstützung für Geflüchtete

Die Spenden in Höhe von insgesamt 5000 Euro – die Sparda-Bank hatte den ursprünglichen Betrag wieder mehr als verdoppelt – kamen in diesem Jahr dem Ulmer Verein Menschlichkeit e.V. zugute, der Geflüchtete bei der Integration unterstützt.

Zur Person

Prof. Rebekka Hufendiek auf einer Treppe

Prof. Rebekka Hufendiek ist seit Januar 2023 neue Geschäftsführerin des Humboldt-Zentrums für Philosophie und Geisteswissenschaften, früher Humboldt-Studienzentrum. Die gebürtige Bielefelderin hat an der Berliner Humboldt-Universität studiert und promoviert. Nach mehrjährigen Auslandsaufenthalten in der Schweiz und in England war sie Eccellenza-Professorin des Schweizer Nationalfonds (SNF) an der Universität Bern mit einem Schwerpunkt auf Philosophischer Anthropologie. 2022 wurde sie an die Uni Ulm berufen

Text: Andrea Weber-Tuckermann
Fotos: Daniela Stang, Volkmar Könneke/SWP