50 Jahre zwischen Poesie und Wider­stand

Konstantin Wecker über Intensität

Die diesjährigen Ulmer Denkanstöße standen unter dem Motto „Intensität“ – und kaum ein deutschsprachiger Künstler lebt so intensiv wie der Liedermacher Konstantin Wecker. In seiner über 50-jährigen Karriere hat Wecker Höhenflüge und Abstürze erlebt: Er füllte Konzerthallen und war kokainsüchtig. Heute, mit über 70 Jahren, tourt Wecker weiter durch die Republik, er schreibt Bücher und engagiert sich politisch – wofür der bekennende „Anarcho“ immer wieder angefeindet wird. Nach seiner Lesung bei den Denkanstößen hat Konstantin Wecker im uui-Gespräch von ewigen Augenblicken erzählt und erklärt, warum er manchmal zu wütend für Liebeslieder ist.

Herr Wecker, die Ulmer Denkanstöße stehen unter dem Motto „Intensität“ und Sie leben so intensiv wie Wenige. Was hat Sie bereits in jungen Jahren dazu gebracht, aus dem behüteten Elternhaus auszubrechen?

Wecker: „Eigentlich habe ich mich mit meinen Eltern gut verstanden. Mein Vater war zwar Jahrgang 1914 aber antiautoritär, die Mutter streng aber fürsorglich. Beide waren politisch engagierte Antifaschisten. 1968 musste ich also im Grunde genommen nicht gegen die Eltern rebellieren, sondern gegen die anderen. Ich bin früh ausgerissen – nicht vor den Eltern, sondern vor dem Schulsystem. Im Gymnasium hatte ich zu 90 Prozent Nazis als Lehrer: Mir war das System zu starr – und das ist es teilweise heute noch. Dann kam der erste Blödsinn und ich wurde mit 19 Jahren inhaftiert. Das war womöglich eine der intensivsten Erfahrungen: Ich habe Freiheit im Knast erfahren – denn Freiheit liegt tief im Inneren verborgen. Anschließend habe ich brav studiert – aber nie abgeschlossen."

 

In den 1970er-Jahren haben Sie dann gejobbt und sind als Musiker auf Kleinkunstbühnen aufzutreten.

„Genau, ab 1968 habe ich als Musiker angefangen und suchte nach immer neuen Erfahrungen – auch in Drogen. Da war eine Sehnsucht nach dem Rausch, eine mystische Sehnsucht. Wie Gottfried Benn in seinem Gedicht ,O Nacht‘ schreibt: ,Ich muss, ich muss im Überschwange noch einmal vorm Vergängnis blüh’n‘.“

Ihr erstes erfolgreiches Album heißt „Genug ist nicht genug“. Ist das Ihre Lebensphilosophie?

„Eigentlich hatte ich nie das Gefühl, eine Lebensphilosophie zu haben. Vielmehr lasse ich mich von der Poesie treiben – und zum Teil auch von meinen eigenen Texten. Dass ein Lied womöglich zu meinem Leben passt, fällt mir oft erst später auf. Gedichte passieren mir immer. Plötzlich weiß ich etwas über mich, das ich zuvor nur geahnt habe: Vor 15 Jahren habe ich ein Lied über Schwermut geschrieben und zum ersten Mal entdeckt, dass ich ein schwermütiger Mensch bin.

,Genug ist nicht genug‘ ist auch ein Zitat des Dichters Conrad Ferdinand Mayer – bei Goethe und Benn findet sich Ähnliches. Ich habe mich bei meinen Texten immer inspirieren lassen und mich teils hemmungslos bei anderen bedient. Es gibt keinen Grund, Gutes nicht zu klauen. Aber ich gebe diese Entlehnungen auch immer zu!“

Bereits Ende der 70er-Jahre wandten Sie sich mit der Ballade „Willy“ gegen rechts. Was würde Ihr Freund Willy, der in Ihrem Lied von Neonazis erschlagen wird, zum heutigen Deutschland sagen?

„Ich habe den Willy in den folgenden Jahrzehnten ganz oft wieder aufgegriffen. In fast zwölf Versionen spreche ich ihn an:,Du kannst dir nicht vorstellen, Willy, was hier zurzeit los ist‘. Auch dieses Lied ist mir vor 40 Jahren passiert: Ich habe es geschrieben und gemerkt, dass es politisch ist. Daraufhin habe ich den Willy meinen Musikern vorgespielt und gesagt: 'Das interessiert doch niemanden' – doch dann hat das Lied die Leute angesprochen, obwohl der Text auf bayerisch ist. Inzwischen findet ihr den Willy 2019 auf YouTube. Da geht es um die heutige politische Situation.“

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Konstantin Wecker beim Auftritt im Ulmer Stadthaus

Ihr Repertoire reicht von Liebesliedern bis hin zum politischen Protest. Warum bewegen Sie sich künstlerisch zwischen diesen Extremen?

„Am liebsten würde ich nur Liebeslieder schreiben. Aber manchmal werde ich einfach so wütend, dass das nicht mehr geht. Musikalisch habe ich mich auf vielen Ebenen bewegt. Gerade bei der Komposition von Filmmusik, wo ich mit so tollen Regisseuren wie Margarethe von Trotta und Helmut Dietl zusammenarbeiten durfte, muss man sich in ganz verschiedene Sphären hineindenken.

Letztes Jahr habe ich bei der Weltenbrand-Tournee mit zwölf Kammermusikern aus neun Nationen zusammengearbeitet – das war atemberaubend, mir ging das Herz auf. Ich finde es immer spannend, zwischen den Stilen zu springen. Übrigens vertone ich immer meine Texte – für mich ist der Text das Entscheidende.“

Noch heute werden Sie in den sozialen Medien zum Beispiel für Ihr Engagement für Geflüchtete beschimpft. Was treibt Sie an, sich weiter musikalisch und literarisch für Ihre Werte einzusetzen? Glauben Sie, dass Sie mit Ihren Protestsongs und Auftritten etwas bewegen konnten?

„Es darf nicht so aussehen, als hätte ich nur die Weltrettung im Kopf gehabt – ich habe auch viel Blödsinn gemacht. Was mich gehalten hat, sind die Poesie und das Klavierspiel – das ist eine Art Meditation für mich. Gerade in den letzten Jahren kommen viele Leute zu mir, die sagen, ich hätte ihr Leben mit meinen Liedern beeinflusst und sie zum Umdenken gebracht. Unter anderem schrieb mir ein älterer Herr: ,Eigentlich wollte ich den lieben Gott einen guten Mann sein lassen, denn gegen den Wahnsinn heute kann man eh nichts mehr machen. Aber jetzt war ich in Ihrem Konzert und verspreche, dass ich mich weiter engagiere.‘

Das ist, was Kunst kann! Ich muss nicht immer mit meinem Publikum einer Meinung sein, aber ich kann bei den Menschen etwas bewirken. Da haben Lieder eine andere Kraft als ein politischer Vortrag, weil Musik dabei ist.“

Im Laufe Ihrer Karriere haben Sie immer wieder Schlagzeilen aufgrund Ihres Drogenkonsums gemacht, den Sie auch literarisch verarbeitet haben. Haben Sie Ihre intensive Lebensführung nach Ihren Abstürzen bereut?

„Ganz generell finde ich es völlig falsch, Süchtige zu kriminalisieren und sie einzusperren – denn dem ganzen Wahn kann man nur mit einer Freistellung aller Drogen begegnen. Mich hat der Knast damals allerdings gerettet! Aber ich hatte auch Glück: Ich war gut aufgehoben und hatte draußen Menschen, die sich um mich sorgten.

Ich sehe es als philosophisches Paradoxon, das ich auch in meiner Biographie beschreibe: Natürlich könnte es sein, dass ich mir ohne Drogen vieles erspart hätte – auch viel Leerlauf, denn es ist nicht immer eine hehre Erfahrung mit den Drogen. Selbstverständlich sage ich heute, nach allem was ich durchgemacht habe, dass ich es nicht wieder tun würde. Aber ich weiß ja nicht, welche Erfahrungen ich gemacht hätte und zu welchen Ansichten ich ohne Drogen gekommen wäre. Es ist nicht so, dass ich hier sitze und sage: So wie ich jetzt bin, ist es gut, ich musste diese Erfahrungen machen. Vielleicht wäre ich ohne Drogen ja ganz anders. Darüber zu sinnieren ist müßig.“

Was verschafft Ihnen heute noch intensive Erlebnisse und den Kick? Immerhin stehen Sie seit über 50 Jahren auf der Bühne?

„Auf der Bühne zu stehen ist immer noch so zauberhaft wie früher. Wenn es mir schlecht geht, ist das mit dem ersten Lied wie weggeblasen. Auf der Bühne erlebe ich diese ewigen Augenblicke.

Es gibt keine Zeit. Wir lassen uns viel zu oft von unseren Gedanken in die Vergangenheit und Zukunft versetzen. Unser Verstand verhindert, dass wir einfach im Augenblick sind. Und das ist es, was uns oft fertig macht! Auf der Bühne, muss ich sagen, hat man dieses Gedanken sehr selten!“

Von
Exzessen
und
magischen
Momenten

Sehnsucht nach Intensität

Der dritte und aufgrund der Corona-Pandemie letzte Präsenztag der Ulmer Denkanstöße stand unter dem Motto „Sehnsucht nach Intensität“.
Neben einem Vortrag des Philosophie-Professors Franz Josef Wetz über lustvolle Exzesse als Gegenmittel für Gewalt und Terror berichtete der Magier Florian Zimmer über seine unglaubliche Karriere („Mehr Glück als Verstand“). 1983 in Ulm geboren, gilt der gelernte Bankkaufmann heute als einer der erfolgreichsten Zauberer und Illusionisten weltweit. Er trat privat vor Michael Jackson auf, wurde 2005 Europameister der Magie und erhielt den „Golden Lion Award“ von Siegfried und Roy. Zimmer ist für seine spektakulären Stunts bekannt: Auf dem Ulmer Münsterplatz entkam der gefesselte Magier aus einer brennenden Holzkiste, über der ein Monstertruck schwebte. Zugegeben – seine Tricks bei den Ulmer Denkanstößen waren etwas weniger nervenaufreibend. Dafür berichtete Florian Zimmer, wie er intensive Erlebnisse für sein Publikum schafft. Er setzt bewusst auf das Erleben im Hier und Jetzt und betont: „Im Staunen liegt die größte Intensität.“

Der Ulmer Magier Florian Zimmer berichtete von intensiven Momenten seiner Karriere

Vor der traditionellen Diskussionsrunde mit dem ehemaligen SWP-Lokalchef Hans-Uli Thierer begab sich Liedermacher und Autor Konstantin Wecker bei seiner Lesung „Auf die Suche nach dem Wunderbaren.“ Fündig wurde der Komponist, Autor und bekennende Anarcho in der Poesie. Denn Poesie ist für ihn Widerstand und ein probates Mittel gegen den bedingungslosen Gehorsam sowie ein Anker in einer materialistischen, sinnentleerten Welt. Wecker plädierte dafür, den eigenen Verstand nicht einzusetzen, um das Ego aufzublasen und die Welt zu zerstören, sondern für das Wunderbare – die Poesie. Als Träumer wünschte er sich eine tanzende Menschheit, die sich am Glück anderer ohne Neid erfreue. In dieser Welt dürften nicht die wichtigsten Berufe, etwa in der Alten- und Krankenpflege, am schlechtesten bezahlt werden, und die schädlichsten am besten. Insofern erhofft sich der Künstler „eine zärtliche Revolution des Geistes“ und er betonte, dass die Poesie helfen könne, den Weg dorthin zu entdecken.

Konstantin Wecker erreichte sein Publikum zudem durch A-cappella-Gesangseinlagen. Ein Lied über Hans und Sophie Scholl („Ihr habt geschrien, wo alle schwiegen“) widmete er deren verstorbener Schwester Elisabeth Hartnagel.

Diskussionsrunde: Sehnsucht nach Intensität

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Texte: Annika Bingmann

Fotos: Thomas Karsten, Roland Pohl, Annika Bingmann