Smart Sensing Systems
Innovative Anwendungen und Technologien für intelligente Sensorsysteme
Leistungsfähige Sensortechnologien sind in vielen Forschungs- und Entwicklungsbereichen sehr gefragt: ob in der Umweltanalytik, der Pharmazie, der Psychologie und Biomedizin, beim autonomen Fahren oder der Automatisierung industrieller Prozesse. An der Universität Ulm forschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler über die Fakultäts- und Fachbereichsgrenzen hinweg an innovativen messtechnischen Lösungen. Dabei geht es zum einen um die innovative Erschließung neuer Anwendungsfelder, zum anderen um den Einsatz neuartiger Materialien und Technologien.
Was ist Sensorik?
Sensorik bedeutet im Prinzip nichts anderes als die Erfassung, Signalisierung und Digitalisierung eines sich verändernden Zustandes. Dabei geht es entweder um die Feststellung bestimmter Objektmerkmale oder um die Identifikation spezieller Stoffe - wie chemischer Substanzen oder Biomoleküle. Nicht-elektrische Messgrößen - wie physikalische oder chemische Eigenschaften - werden bei diesem Vorgang in elektrische Signale umgewandelt, die über die entsprechenden Datenverarbeitungssysteme erfasst, ausgewertet und weitergeleitet werden. Im übertragenen Sinn wird der Begriff „Sensorik“ in der Psychoinformatik verwendet, wenn beispielsweise digitale Spuren – wie sie bei der Nutzung mobiler Endgeräte entstehen – eingesetzt werden, um psychologische, soziale oder biomedizinische Aspekte menschlichen Verhaltens zu erfassen.
Fördermittel
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)
Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF)
EU-Förderung (CACTOS, POLCA, MYCOSPEC u.a.)
Carl-Zeiss-Stiftung
Landesstiftung BW
Volkswagenstiftung
Kooperationen
Institut für Lasertechnologie (ILM)
Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
mit verschiedenen Unternehmen, u.a. Airbus, Bosch, Daimler, Siemens, Sony
Kontakt
Prof. Dr.-Ing. Maurits Ortmanns, Institut für Mikroelektronik
Institut für Elektronische Bauelemente und Schaltungen
Prof. Dr.-Ing. Hermann Schumacher, Prof. Dr.-Ing. Steffen Strehle
Institut für Mikroelektronik
Prof. Dr.-Ing. Maurits Ortmanns, Prof. Dr. Albrecht Rothermel
Institut für Mikrowellentechnik
Prof. Dr.-Ing. Christian Waldschmidt, Prof. Dr.-Ing. Christian Damm
Institut für Mess-, Regel- und Mikrotechnik
Prof. Dr.-Ing. Klaus Dietmayer, Prof. Dr.-Ing. Kurt Graichen
Institut für Mikro- und Nanomaterialien
Prof. Dr. Hans-Jörg Fecht, Prof. Dr. Ulrich Herr, Prof. PhD Carl Krill
Institut für Nachrichtentechnik
Prof. Dr.-Ing. Martin Bossert, Prof. Dr. Dr. Wolfgang Minker, Prof. Dr. Robert Fischer
Institut für Optoelektronik
Prof. Dr. Ferdinand Scholz, Prof. Dr. Peter Unger
Institut für Organisation und Management von Informationssystemen
Prof. Dr.-Ing. Stefan Wesner
Institut für Datenbanken und Informationssysteme
Prof. Dr. Manfred Reichert
Institut für Eingebettete Systeme/Echtzeitsysteme
Prof. Dr.-Ing. Frank Slomka, Prof. Dr. Michael Glaß
Institut für Medieninformatik
Prof. Dr. Timo Ropinski, Prof. Dr. Enrico Rukzio, Prof. Dr.-Ing. Michael Weber
Institut für Neuroinformatik
Prof. Dr. Dr. Daniel Alexander Braun, Prof. Dr. Heiko Neumann
Institut für Verteilte Systeme
Prof. Dr. Frank Kargl, Prof. Dr. Franz Hauck
Abteilung Angewandte Kognitionspsychologie
Prof. Dr. Marc Ernst
Abteilung für Klinische Psychologie und Psychotherapie
Prof. Dr. Harald Baumeister
Institut für Analytische und Bioanalytische Chemie
Prof. Dr. Boris Mizaikoff
Abteilung Molekulare Psychologie
Prof. Dr. Christian Montag
Institut für Biomedizinische Technik
Prof. Dr. Walter Karlen
Die Ulmer Forschung in diesem Bereich überschreitet Fachbereichs- und Fakultätsgrenzen
Für die Leistungsfähigkeit eines sensorischen Systems ist einerseits die generelle Detektionstechnologie entscheidend, welche die Sensitivität und Selektivität des Sensors grundlegend bestimmt. Andererseits spielt auch die Konstruktionsweise und Leistungsfähigkeit der Datenverarbeitungssysteme eine wesentliche Rolle, also das übergreifende System, in das die eigentliche Sensortechnik eingebettet ist. Deshalb forschen an der Universität Ulm Expertinnen und Experten aus Ingenieurwissenschaften, Naturwissenschaften und Informatik gemeinsam an der Entwicklung innovativer und leistungsfähiger Sensor-Systeme.
Während sich Forschende aus Ingenieurwissenschaften, Chemie und Physik um die Realisierung und Weiterentwicklung von Detektions- und Signalverarbeitungsverfahren kümmern, widmen sich Spezialistinnen und Spezialisten aus der Informatik den Herausforderungen bei der Datenintegration und -verarbeitung. Denn die enormen Mengen an Echtzeitdaten, die komplexe Sensorsysteme produzieren, müssen zeitnah ausgewertet und an bestimmte Endgeräte weitergeleitet werden. Die Lebenswissenschaften haben in diesem Forschungsbereich ebenfalls ihren Platz. In der Biologie, Medizin und Psychologie werden vielversprechende medizinische Anwendungsmöglichkeiten und wissenschaftlich ergiebige Einsatzgebiete sondiert.

Nanotechnologien und Quanteneffekte für Biosensoren
Mit Hochdruck arbeiten Ulmer Forschende an intelligenten Lösungen für neue biomedizinische Herausforderungen. Enormes Innovationspotential für die Entwicklung von Biosensoren verspricht die Nutzung besonderer physikalischer Effekte und Eigenschaften wie der Quantenmechanik. Ob beim hochsensiblen Diamantsensor oder der damit verbundenen Quantenmikroskopie: Molekulare Prozesse lassen sich damit in lebenden Zellen auf atomarer Ebene sichtbar machen. Vielversprechend ist auch die Miniaturisierung von Sensorsystemen durch die Verwendung von innovativen Nanomaterialien und -technologien. Davon profitieren insbesondere Anwendungen in der Biomedizin. So arbeitet ein Forscherteam an der Entwicklung halbleiterbasierter, optisch ausgelesener Miniatursensoren für eine patientennahe Labordiagnostik. Damit könnten sowohl Gase als auch Biomoleküle detektiert und die Messergebnisse per Funk an den Patienten oder sogar direkt an den Arzt weitergeleitet werden.
Zum Nachweis von Spurengasen in der Atemluft haben Ulmer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ein spezielles Verfahren (µbreath) entwickelt, mit dem sich mehrere Gase gleichzeitig infrarotspektroskopisch nachweisen lassen. Damit sollen molekulare Fingerabdrücke gefunden werden, die als Biomarker auf bestimmte Krankheiten hinweisen. Eine andere biomedizinische Anwendung haben intelligente Chips für neurotechnologische Implantate. Diese miniaturisierten elektronischen Bauelemente können beispielsweise als Retina-Implantate eingesetzt werden, um die Sehkraft von Menschen mit Sehbehinderungen zu verstärken. Sie funktionieren aber auch als biochemische Stressmesser sowie als stimulierende Neuromodulatoren für Hirn-Computer-Schnittstellen.
Alltagspraktische Anwendungen für Ulmer Entwicklungen gibt es im Bereich Umweltanalytik und Lebensmittelsicherheit. So wurde in der Chemie ein portables Analysegerät (Mycospec) entwickelt, mit dem sich Schimmelpilzgifte auf Lebensmitteln messen lassen, und zwar vor Ort im Geschäft oder direkt beim Hersteller. Die Forschenden setzen dabei auf eine modifizierbare, Quantenlaser-basierte Spektroskopie-Technologie.
Von der industriellen Fertigung bis zur Doktorandenausbildung
Ulmer Forschende arbeiten zudem an Verfahren zur Massenproduktion von maßgeschneiderten Nanosensoren. Damit soll es möglich werden, Sensoren, die mit Hilfe von halbleitenden Nanodrähten detaillierte Einblicke in die Zellen geben, kostengünstig und in großer Stückzahl zu fertigen. Die Sensorentwicklung ist zudem Gegenstand der interdisziplinären Doktorandenausbildung. Im Graduiertenkolleg PULMOSENS erforschen Expertinnen und Experten aus Medizin, Naturwissenschaften und Ingenieurwissenschaften gemeinsam die Funktion von Lungengewebe. Dabei setzen sie auf innovative sensorische Methoden, um die im Lungenepithel ablaufenden Prozesse zu untersuchen und sichtbar zu machen.

Intelligente Hochleistungssensorsysteme für die Automatisierung und Robotik
Technische Anwendungen von intelligenten Sensortechnologien sind insbesondere dort gefragt, wo es um die Überwachung, Regelung und Steuerung automatisierter Abläufe geht, beispielsweise in der industriellen Massenproduktion. Die Automatisierung wirtschaftlicher Wertschöpfungsprozesse im Kontext von Industrie 4.0 ist ohne Hochleistungsmesstechnik nicht realisierbar. Dabei kommen beispielsweise laserbasierte optoelektronische Detektionsverfahren zum Einsatz oder auch radarbasierte Hochfrequenz-Sensor- und Kommunikationssysteme (Radar). Zahlreiche Institute forschen an der Universität Ulm auf diesem Gebiet.
Besondere Herausforderungen stellen zudem Anwendungsgebiete wie das autonome Fahren oder Fliegen dar, für das Unmengen hochgenauer Daten in Echtzeit verarbeitet werden müssen. Ulmer Forschende aus Ingenieurwissenschaften und Informatik haben dafür intelligente Hochleistungssensor- und Datenverarbeitungssysteme entwickelt, die in der Lage sind, in hochautomatisierten Fahrzeugen sowie in selbstnavigierenden Drohnen Entfernungen, Abstände und Geschwindigkeiten zuverlässig und robust zu erfassen. Auch für die Gestenerkennung im Bereich Mensch-Maschine-Interaktion oder das Aufspüren von Personenminen werden in Ulm "Smart Sensing"-Technologien genutzt.
Die menschliche Wahrnehmung als Vorbild
In Zukunft sollen außerdem kompostierbare und kostengünstige Sensorsysteme hergestellt werden können, die insbesondere in der medizinischen Diagnostik und Umweltanalytik wertvolle Dienste leisten könnten – und das Ganze umweltfreundlich und ressourcenschonend. Um Energie und Aufwand bei der Informationsverarbeitung zu sparen, arbeiten Ulmer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler schon jetzt mit natürlichen Materialien und biologischen Vorbildern. So wird in den Ingenieurwissenschaften der Uni bereits zu Bauelementen aus Chitosan geforscht, das unter anderem aus Insektenpanzern gewonnen werden kann. Andere Forschende nehmen sich die menschliche Wahrnehmung für eine effektive Signalverarbeitung zum Vorbild. Denn eines der besten und effektivsten Sensorsysteme in puncto Datenintegration ist noch immer der Mensch.

„Mobile Sensing“ und „Digital Phenotyping“
Das Smartphone beeinflusst nicht nur unseren Alltag, es ist auch für die Wissenschaft in den letzten Jahren zu einer ergiebigen Erkenntnisquelle geworden. Die Art und Weise, wie der Einzelne das Gerät nutzt, hinterlässt eine Vielfalt an digitalen Spuren, die Auskunft geben über soziale Interaktionen und individuelle Verhaltensweisen, Vorlieben und Befindlichkeiten. Neue Ansätze aus der Psychologie und den Verhaltenswissenschaften – wie das „Mobile Sensing“ und „Digital Phenotyping“ – machen es heute möglich, aus diesen Nutzerspuren Erkenntnisse über bio-psycho-soziale Aspekte zu gewinnen. Der Begriff „Mobile Sensing“ oder auch „Smart Sensing“ bezeichnet dabei nichts anderes als die technische Gewinnung von Daten über die Nutzung von Smart Devices wie Smartphones oder Smartwatches. Unter „Digital Phenotyping“ versteht man dagegen eine methodologische Vorgehensweise, bei der aus der Kombination bestimmter Daten übergreifende „Phänotypen“ konstruiert werden.
Smartphones erfassen Aktivitäts-, Bewegungs- und Interaktionsdaten, sie sammeln Bild- und Toninformationen aus der Gesichts- und Spracherkennung, dazu kommen unerschöpfliche Informationen aus der Kommunikation und Mediennutzung. Biosensoren in Smartwatches beschaffen zusätzlich noch umfangreiche Gesundheitsdaten. Mit Methoden aus der Psychoinformatik, mittels „Mobile Sensing“ lassen sich umfassende Rückschlüsse auf die Persönlichkeit und Befindlichkeit der Nutzenden ziehen, wie ein digitaler Fingerabdruck, auch als „Digital Phenotyping“ bezeichnet. Dazu kommen Informationen zum Gesundheitszustand oder zu Krankheitsverläufen, die insbesondere für Gesundheits- und Lebenswissenschaften interessant sind, beispielsweise für die Diagnostik, Prognose und Therapie von Krankheiten. Weil fundamentale Persönlichkeitsrechte des Menschen berührt sind, bedarf es umfassender und differenzierter ethisch-rechtlicher Beurteilungen.
An der Universität Ulm werden solche psychoinformatischen Ansätze beispielsweise in der Depressions- und Angststörung oder auch der (Computerspiel-)Suchtforschung eingesetzt, um herauszufinden, welche Verhaltensweisen und Nutzungseigenschaften statistisch mit besonderen Risiken verbunden sind. Auf diese Weise lassen sich beispielsweise sowohl Resilienz- als auch Anfälligkeitstypen für unterschiedliche (bio-)medizinische oder psychologische Phänomene finden.
Fotos: Elvira Eberhardt und Heiko Grandel