Mathematik für Naturwissenschaft und Technik

Viele moderne Entwicklungen in Naturwissenschaft und Technik sind ohne die Entwicklung und Verwendung geeigneter mathematischer Methoden und Modelle nicht denkbar. Letztere bilden den Gegenstand dieses Forschungsschwerpunkts. Im Rahmen einer Vielzahl von interdisziplinären Kooperationen, insbesondere auch mit der Industrie, werden vielfältige Modellierungs- und Optimierungsfragen mit analytisch-numerischem, stochastischem und diskretem Hintergrund bearbeitet.

In vielen Fällen können naturwissenschaftliche und technische Vorgänge und Phänomene mit Hilfe eines geeigneten mathematischen Modells beschrieben werden. So lassen sich beispielsweise Diffusionsvorgänge und Strömungen von Flüssigkeiten durch partielle Differentialgleichungen modellieren. In der Biologie führen wichtige Fragestellungen auf Systeme gewöhnlicher Differentialgleichungen, z.B. die Modellierung des zeitlichen Verlaufs einer Virusinfektion.

In den Instituten für Analysis und Angewandte Analysis werden solche mathematischen Modelle (vor allem Differentialgleichungen) näher untersucht, wobei man sich vor allem für die zugrunde liegenden Prinzipien interessiert, sodass die Erkenntnisse auch auf andere Modelle übertragen werden können. Wichtige Fragestellungen sind die Existenz, Eindeutigkeit und Regularität von Lösungen sowie deren qualitative Eigenschaften (z.B. das Langzeitverhalten). Dabei werden u.a. Hilfsmittel aus der Funktionalanalysis, Variationsrechnung, Differentialgeometrie und der Theorie der partiellen Differentialgleichungen verwendet. Beispielsweise werden in einem Projekt die Eigenschaften des Dirichlet-zu-Neumann-Operators erforscht, der eine zentrale Rolle bei der elektrischen Impedanz-Tomographie spielt. Intensiv untersucht werden auch nichtlokale Differentialgleichungen, die beispielsweise bei der Modellierung von anomalen Diffusionsvorgängen und Prozessen mit Gedächtnis auftreten. Ein weiteres wichtiges Problem besteht im Auffinden von Zuständen optimaler Energie, da diese von der Natur bevorzugt werden. Ein Beispiel einer solchen Fragestellung ist die mathematische Herleitung der optimalen Form einer Blutzelle, bei der sie möglichst viel Sauerstoff transportieren kann.
Oft folgt die Natur ihren Gesetzen nicht genau, es gibt immer Raum für Zufall und kleine Abweichungen von der gegebenen Gesetzmäßigkeit, die man in der Physik und in den Ingenieurwissenschaften "Rauschen" nennt. Die Stochastik befasst sich mit der Modellierung und statistischen Auswertung dieser zufälligen Vorgänge. Dabei sind die Anwendungen der Stochastik in den Naturwissenschaften und der Technik sehr zahlreich. Beispielsweise werden am Institut für Stochastik Modelle der stochastischen Geometrie erforscht, die poröse Medien aller Art, aber auch raue Oberflächen nachbilden, um das Design virtueller Materialien zu ermöglichen. Die Anwendungen reichen von Brennstoffzellenforschung, Materialwissenschaften, Medizin, Telekommunikationsindustrie bis zu Bodenkunde, Verkehrsanalysen, GIS-Systemen und Klimaforschung. Dort werden zufällige Mengen, Graphen, Felder und stochastische Prozesse verwendet, um die Essenz dieser Phänomene nachzubilden.
Biostatistik und mathematische Statistik sind die Forschungsschwerpunkte des Instituts für Statistik, mit Anwendungen vor allem in den Lebenswissenschaften. Ein drängendes Problem in der öffentlichen Gesundheitsversorgung ist die Zunahme gegenüber den gängigen Antibiotika resistenter Keime und dadurch hervorgerufene Krankenhausinfektionen. Die Arbeitsgruppe des Instituts entwickelt innovative statistische Methoden zur Erforschung und Bekämpfung dieser Resistenzen. In Zusammenarbeit mit akademischen und Industriepartnern werden diese Methoden in klinischen Studien eingesetzt (s. z.B. www.combacte.com). Zusammen mit dem Pharmakovigilanz- und Beratungszentrum für Embryonaltoxikologie entwickelt und wendet das Institut statistische Methodik mit dem Ziel einer erhöhten Arzneimittelsicherheit in der Schwangerschaft an (s. a. www.embryotox.de). In einem weiteren Schwerpunkt werden innovative Lösungsansätze für die statistische Analyse multivariater und hochdimensionaler Daten, die beispielsweise bei kognitiven Erkrankungen im Rahmen von EEG oder SPECT Messungen anfallen, kreiert und weiterentwickelt.

Oft sind die Modellgleichungen so komplex, dass Lösungsformeln nicht zur Verfügung stehen. Ziel der Numerischen Mathematik ist es, mathematische Berechnungsmethoden für Computersimulationen zu konstruieren, die es ermöglichen, eine möglichst gute Näherung schnell und verlässlich zu bestimmen. Aufgrund der hohen Komplexität vieler Natur- und technischer Prozesse spielen Numerische Mathematik und Wissenschaftliches Rechnen neben klassischem Experiment und Theorie durch die Simulation als „dritte Säule“ der wissenschaftlichen Methodik eine immer bedeutendere Rolle in nahezu allen Bereichen von Wissenschaft und Technik. Das Wissenschaftliche Rechnen beinhaltet zusätzlich noch die Modellierung der realen komplexen Prozesse sowie die Umsetzung der Berechnungsmethoden auf modernen Hoch- und Höchstleistungsrechnern. Im Institut für Numerische Mathematik werden u.a. numerische Verfahren zur Behandlung von partiellen Differentialgleichungen (Finite-Elemente-Methode, Randelementmethode) erforscht, wobei sowohl theoretische Fragestellungen (Adaptivität, Konvergenzaussagen, Optimalität) wie auch die effiziente Realisierung solcher Methoden untersucht werden. Da die Komplexität der Probleme stärker als die Leistungsfähigkeit der Computer wächst (insbesondere in der Multiphysik sowie bei parametrischen und hochdimensionalen Problemen), ist eine Modellreduktion zwingend erforderlich. Entsprechende Methoden wie die Reduzierte Basis Methode und Projektionen auf invariante Mannigfaltigkeiten stellen Optionen dar, diesen Ansprüchen mit hocheffizienter Modellsimulation und -optimierung zu entsprechen.

Viele von uns verwenden fast täglich automatische Routenplaner. Vielleicht suchen wir die beste Urlaubsroute oder wir wollen einfach nur den Weg zu einer neuen Bekanntschaft finden. Wie aber findet das Navigationssystem den Weg? Die zugrunde liegende Software löst ein diskretes Optimierungsproblem: Aus einer enorm großen Anzahl von möglichen Routen vermag sie mit den Methoden der kombinatorischen Optimierung eine (fast) kürzeste Route ermitteln und das in wenigen Millisekunden.  Am Institut für Optimierung und Operations Research werden u.a. solche diskreten Optimierungsprobleme untersucht. Sie treten ganz natürlich in einer Reihe weiterer Bereiche auf: im Chip Design, in der Erstellung von Fahrplänen oder auch in der Steuerung der automatischen Abwicklung von Containern in modernen Containerterminals.
Digitalisierung und Internet haben auch zu neuen mathematischen Herausforderungen geführt. Wie kann die Sicherheit der Datenübertragung im Internet gewährleistet werden? Wie können digitale Daten fehlerfrei übertragen oder gespeichert werden? Dies sind wichtige Probleme, für deren Lösung Methoden der Kryptographie und Codierungstheorie von großer Bedeutung sind. Letztere stellen wichtige Anwendungen der Algorithmischen Zahlentheorie und Arithmetischen Geometrie dar. Abstrakte Fragestellungen aus den letztgenannten Gebieten stehen im Mittelpunkt der Forschung am Institut für Reine Mathematik.

Projektbeispiele