»Wir stellen sicher, dass alle Impfstoffe halten, was sie versprechen«

Alumna der Uni Ulm kämpft in den USA gegen Corona

Drosten, Streeck und Kekulé. In der Corona-Pandemie sind Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf einmal bekannt wie Popstars. Auch der Mikrobiologin Dr. Marion Gruber wurde als Gesprächspartnerin zum weltweiten Wettlauf um die ersten Corona-Impfstoffzulassungen ungeahnte Aufmerksamkeit zuteil. Denn bei der amerikanischen Nahrungs- und Arzneimittelzulassungsbehörde (Food & Drug Administration – FDA) fällt die Genehmigung von Impfstoffen in den USA in ihren Zuständigkeitsbereich. Damit ist Gruber eine der wichtigsten und mächtigsten Personen im Kampf gegen Corona. Eine Karriere, die Ende der 1970-er Jahre beim Biologiestudium an der Uni Ulm gar nicht so geplant war.

Pünktlich um 7:00 Uhr morgens Ostküsten-Ortszeit grüßt Dr. Marion Gruber zum Online-Interview aus dem Computer-Screen. Sie hat sogar Bilder und Fotos für das Gespräch über ihre Ulmer Zeit vorbereitet. Selbst das alte Studienbuch von 1978/79 ist zur Hand. »Schon komisch, was so die Zeit überdauert«, wundert sich Marion Gruber und blättert durch die Eintragungen.

»Wir waren damals in Ulm nur rund 100 Biologie-Studierende und kannten uns alle. Die Atmosphäre an der erst zehn Jahre alten Uni war sehr familiär«, erinnert sich die Norddeutsche, die die Zentrale Vergabestelle für Studienplätze damals von Hohenlockstedt in Schleswig-Holstein ins rund 700 Kilometer entfernte Ulm verschickte. Denn hier bekam sie einen Studienplatz für Biologie und konzentrierte sich im Studium frühzeitig auf die Mikrobiologie. Abseits der Uni lernte die Norddeutsche Schifahren in den Alpen und als Untermieterin im dörflichen Jungingen etwas Schwäbisch. »Als mich meine Vermieterin bat, die Wäsche doch auf die ›Bühne‹ zu hängen, war ich sehr ratlos«, so Gruber, die im Interview nahtlos vom Deutschen ins Englische und zurück wechselt.

Auslandserfahrung im »Wilden Westen«

Denn nach dem Studium in Ulm und der Promotion in Kiel nahm die junge Biologin Mitte der 1980-er Jahre eine Post-Doc-Stelle in den Vereinigten Staaten an, genauer gesagt in Oklahoma. »Ich habe aber schnell gemerkt, dass ich im Mittleren Westen nicht heimisch werden würde. Die ältesten Gebäude dort waren nur rund 50 Jahre alt! Also habe ich mich an die amerikanische Ostküste orientiert, die mir als Europäerin kulturell viel näher liegt«, erzählt Marion Gruber. Als sie dann ihren späteren Ehemann traf, einen Amerikaner, stand der Entschluss fest, in den USA zu bleiben.

Seit über 25 Jahren arbeitet die promovierte Biologin nun bei der FDA in Silver Spring, Maryland, nicht weit entfernt von der Hauptstadt Washington, D.C. Dort ist Marion Gruber inzwischen Direktorin der Abteilung für Impfstoff-Forschung und Begutachtung. Somit ist sie zuständig für die Zulassung und Kontrolle von Vakzinen in den gesamten USA. Darüber hinaus beaufsichtigt die Biologin die Forschung im Zusammenhang mit der Entwicklung, Herstellung und Prüfung von Impfstoffen. Damit neue Vakzine zugelassen werden können, muss der Nutzen deutlich größer sein als eventuelle Risiken. Die FDA beruft sich bei der Zulassung auf die Daten der Herstellerfirmen, nimmt aber auch eigene Analysen vor.

Im Kampf gegen Corona

Haupteingang der Food and Drug Administration in den USA

»Corona hat unsere Abteilung ganz schön gefordert«, gibt Dr. Gruber zu, die seit einem Jahr Tag für Tag im Homeoffice verbringt. Von hier aus leisten die Deutsche und ihre Mitarbeitenden ihren Teil im Kampf gegen das neuartige Coronavirus. Sie prüfen, wie sicher und wirksam ein Impfstoff ist und welche Nebenwirkungen auftreten können. Auch Abstimmungen mit anderen Behörden und Regierungsvertretern sind an der Tagesordnung. Ebenso ist Grubers Expertise international gefragt.

Corona habe die Arbeitsweise nicht verändert, sondern beschleunigt. »Wir arbeiten genauso zuverlässig wie vor der Pandemie, sind aber nun 24 Stunden am Tag, sieben Tage in der Woche gefordert. Das geht schon an die Substanz«, erzählt Marion Gruber. »Triple work«, also die dreifache Arbeit, war in den vergangenen Monaten zu erledigen, um die Notfallzulassung der ersten Corona-Impfstoffe zu gewährleisten. Eine Zeit, die neben viel Arbeit psychisch belastend war, denn auch in Amerika herrschten Lockdown und strenge Kontaktbeschränkungen. Die erwachsenen Töchter, die in Deutschland leben und arbeiten, sind noch immer unerreichbar weit weg. »Ich habe das Glück, über einen großen Garten zu verfügen, mit meiner Schäferhündin Tessa spielen zu können und mit einem verständnisvollen Mann verheiratet zu sein«, schildert Marion Gruber ihre persönlichen Kraftquellen, die sie auftanken lassen.

Inwiefern wird die Coronavirus-Pandemie ihre Arbeit auch in Zukunft verändern? Insgesamt hofft die Mikrobiologin auf einen großen Schub bei der Entwicklung von Impfstoffen, die auf messengerRNA (mRNA) basieren. Diese synthetisch hergestellten Impfstoffe stellen eine völlig neue Klasse an Vakzinen dar, wobei lediglich der genetische Bauplan eines bestimmten Antigens injiziert wird. Mit nur kleinen Veränderungen an dieser mRNA können weitere Impfstoffe gegen SARS-CoV-2-Mutanten oder gar ganz andere Krankheiten entwickelt werden. »Wir stellen sicher, dass alle Impfstoffe halten, was sie versprechen. Ich würde jedem raten, sich gegen Corona impfen zu lassen«, so Marion Gruber.

Prägende Jahre in Ulm

Marion Gruber beim Alumni Treffen in der Uni Ulm
Dr. Marion Gruber beim Alumni-Treffen 2017

Zum Ende des transatlantischen Videotelefonats erinnert sich die erfahrene Wissenschaftlerin und Managerin noch einmal an ihre Zeit in Ulm und an die Kontakte zu ihren Kommilitoninnen und Kommilitonen, die sie bis heute pflegt. Erst 2017 besuchte Marion Gruber zum 50-jährigen Bestehen der Uni Ulm ein Alumni-Treffen und war beeindruckt, wie sich der Campus in den vergangenen Jahrzehnten entwickelt hat.

Und auch einen Rat an alle Nachwuchs-Biologinnen und -Biologen – egal ob an der Uni Ulm oder anderswo – hat sie: »Wenn Sie für das Fach brennen, dann bleiben Sie dran und hören Sie nicht auf Andere. Halten Sie immer die Augen offen, denn oft ergeben sich berufliche Möglichkeiten erst auf den zweiten Blick. Und wenn die Forschung nichts für Sie ist; auch in der Industrie und bei den Regulierungsbehörden kann man Karriere machen.« Der Lebensweg von Dr. Marion Gruber ist dafür wohl der beste Beweis.

Dr. Marion Gruber ließ sich zu Schulzeiten von einer jungen Lehrerin für Naturwissenschaften begeistern und studierte anschließend in Ulm und Kiel Biologie. An der Universität Kiel promovierte die Mikrobiologin über das Wachstum und die Differenzierung humaner B-Lymphozyten. Stellen als Post-Doktorandin führten sie vom Kieler Institut für Allgemeine Mikrobiologie zur Oklahoma Medical Research Foundation in die USA.

1989 wechselte sie zum Zentrum für Biologische Bewertung und Forschung bei der Food & Drug Administration (FDA), der US-amerikanischen Nahrungs- und Arzneimittelzulassungsbehörde. Von 1995 bis 2005 arbeitete Gruber dort als Sachbearbeiterin im Büro für Impfstoff-Forschung und Begutachtung, ab 2005 hatte sie eine Stelle als »Associate Director« für Regulationspolitik inne und stieg weiter auf zur stellvertretenden Leiterin.

Seit 2011 leitet die Biologin nun die Abteilung für Impfstoff-Forschung und Begutachtung mit rund 250 Mitarbeitenden. Dr. Gruber ist verheiratet und hat zwei erwachsene Töchter; die eine Naturwissenschaftlerin wie die Mutter, die andere folgte dem Vorbild des Vaters und wurde Wirtschaftswissenschaftlerin.

Portrait von Dr. Marion Gruber
Dr. Marion Gruber

Text: Daniela Stang

Fotos: FDA, Privat