Auf der Suche nach den Batterien der Zukunft

Im Bild zu sehen sind so genannte Swagelok®-Zellen, die in einen Batteriezyklierer eingesetzt wurden, um Leistungs-, Zyklen- und Alterungstests unter definierten thermischen Randbedingungen durchzuführen
Im Bild zu sehen sind so genannte Swagelok®-Zellen, die in einen Batteriezyklierer eingesetzt wurden, um Leistungs-, Zyklen- und Alterungstests unter definierten thermischen Randbedingungen durchzuführen

Der Wettlauf um die Vorreiterschaft in der E-Mobilität ist voll im Gange. Gut im Rennen: US-amerikanische und chinesische Hersteller. Aber auch deutsche Automobilbauer haben gute Aussichten auf eine Spitzenposition. Entscheidend für den Erfolg ist hier nicht zuletzt die Entwicklung effizienter Batteriesysteme. Die elektrochemische Energiespeicherung
und -wandlung spielt dabei als Schlüsseltechnologie eine wesentliche Rolle. Und auch für die erfolgreiche Umsetzung der Energiewende werden Hochleistungsspeicher gebraucht.

Ulmer Batterieforscher leisten hier sowohl in der Grundlagenforschung als auch im Technologietransfer einen wichtigen Beitrag, um diese doppelte Herausforderung erfolgreich zu bewältigen. Auf der Suche nach den Batterien der Zukunft, die nicht nur deutlich leistungsfähiger und kompakter werden sollen, sondern dazu noch sicherer und umweltfreundlicher, kooperieren Naturwissenschaftler eng mit Experten, die die neuen Energie-Technologien in die industrielle Anwendung bringen. Damit decken die zentralen
Ulmer Akteure die gesamte Wertschöpfungskette in der Batterie- und  Brennstoffzellenforschung ab. Mit der Entwicklung leistungsstarker stationärer Energiespeicher und -wandler treiben die Batterieforscher zugleich die Energiewende
voran.

An der Universität Ulm und am Helmholtz-Institut Ulm für Elektrochemische Energiespeicherung (HIU) wird Grundlagenforschung auf höchstem Niveau zur Entwicklung hocheffizienter Batterien und Brennstoffzellen betrieben. Dort testen und untersuchen die Wissenschaftler beispielsweise unterschiedliche Materialkombinationen auf ihre Energiedichte, Lebensdauer und Leistung. Im Fokus der Wissenschaftler stehen dabei die elementaren Grundprozesse, wie sie bei der Umwandlung von chemischer in elektrische Energie in Batterie- und Brennstoffzellen auf atomarer und molekularer Ebene ablaufen.

Wurde in den 90er-Jahren an vielen Unis und Forschungseinrichtungen in Deutschland die
Elektrochemie und die Galvanik als „altmodisch“ aufgegeben, hat man an der Universität
Ulm an diesem Bereich weiter festgehalten. Was für ein Glücksfall, dass sich die damals Verantwortlichen diesem Trend verweigert haben! So wurde in einer der letzten deutschen Bastionen der elektrochemischen Forschung der Grundstein gelegt für heutige wissenschaftliche Erfolge, die sowohl national als auch international große Beachtung finden. Mit Professor Dieter Kolb forschte und lehrte an der Uni Ulm von 1990 bis zu seinem Tod im Jahr 2011 einer der weltweit führenden Elektrochemiker. Mit seiner experimentellen Forschung zur grundlegenden Elektrochemie gehörte Kolb später zu den Wegbereitern

In der Ulmer Wissenschaftsstadt gibt es bereits zahlreiche E-Tankstellen. Im Bild: der Füllstutzen einer Anlage des ZSW
In der Ulmer Wissenschaftsstadt gibt es bereits zahlreiche E-Tankstellen. Im Bild: der Füllstutzen einer Anlage des ZSW.

einer Renaissance dieses Faches, das mit der Energiewende und der aufkommenden Elektromobilität auch in Europa wieder zur Blüte kommen sollte. Schließlich wurde am Standort Ulm sowohl der Technologietransfer im Bereich Batterieforschung und regenerative Energien nachhaltig gestärkt als auch die elektrochemische  Grundlagenforschung massiv ausgebaut. Meilensteine hierfür waren 1988 die Gründung des Zentrums für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (ZSW) sowie 2011 die Entstehung des Helmholtz-Instituts Ulm für elektrochemische Energiespeicherung (HIU), das vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und der Universität Ulm gemeinsam mit weiteren Partnern betrieben wird. Heute forschen zahlreiche Wissenschaftler der Universität mit ihren Teams nicht nur an ihren Instituten in der Uni, sondern auch in den Laboren von ZSW und HIU.

Eine besondere Stärke ist die enge Verzahnung zwischen Theorie und Experiment
„Um Energiespeicher oder -wandler verbessern zu können, muss man erst die grundlegenden Prozesse auf atomarer Ebene verstanden haben; ganz nach Max Planck, der einmal sagte ,Dem Anwenden muss das Erkennen vorausgehenʻ“, erklärt Professor Timo Jacob, Leiter des Instituts für Elektrochemie. Von besonderem Interesse für die Ulmer Batterieforscher sind dabei die Prozesse, die in der elektrochemischen Zelle beim Laden und Entladen im Grenzbereich zwischen Elektrode und Elektrolyt ablaufen. Dabei geht es beispielsweise um Fragen, wie sich katalytisch wirksame Materialien oder die Oberflächen von Elektroden durch die ablaufenden Redoxreaktionen verändern. Aufgrund der hohen Komplexität solcher Fragestellungen behelfen sich die Forscher mit einem breiten Methodenmix, ganz
nach dem Motto: Theorie trifft auf Experiment. Hier kommen rechenintensive  Computersimulationen genauso zum Einsatz wie idealisierte „Modell“-Komponenten oder Laborexperimente, bei denen technische Materialien unter realitätsnahen Reaktionsbedingungen getestet werden. „Eine besondere Stärke der Universität Ulm ist
dabei die enge Verzahnung von elektrochemischer Modellierung, bei der modernste theoretische und numerische Verfahren zum Einsatz kommen, mit der experimentellen Arbeit im Labor. In beiden Bereichen können die Wissenschaftler auf eine hervorragende Ausstattung zurückgreifen“, betont Professor Axel Groß, Leiter des Instituts für Theoretische Chemie. Zum Einsatz kommen einerseits modernste elektrochemische Laborverfahren, Hochleistungsmessund Analyse-Techniken sowie höchstauflösende
Mikroskopietechniken. Außerdem unterstützt ein Hochleistungsrechner der neuesten Generation die Wissenschaftler bei der Arbeit. So steht seit Ende 2014 ein vom Land Baden-Württemberg geförderter Supercomputer an der Universität Ulm, der zu den leistungsfähigsten weltweit gehört. JUSTUS bildet das Herzstück des sogenannten
bwForClusters für die theoretische Chemie und steht Fachwissenschaftlern des ganzen
Bundeslandes zur Verfügung. Der Hochleistungsrechner wurde speziell für die hohen Anforderungen zur Erforschung elektrochemischer Prozesse auf atomarer und molekularer Ebene konzipiert.

Batterieforschung mit Bioabfall
Neben der Optimierung bewährter Lithium-Ionen-Batterien, deren herkömmliche Varianten bezüglich ihrer Leistungsfähigkeit noch ein gewisses Potential haben, geht es den Batterieforschern auch um die Entwicklung alternativer Materialien mit ganz neuen Eigenschaften oder auch mit langfristiger Verfügbarkeit. Ein Beispiel für lithiumfreie Systeme, die zur übernächsten Generation von Batterien gehören, sind Magnesium-
Schwefel-Batterien. Hierfür wurde am HIU ein neuer Elektrolyt entwickelt, der eine bisher
unerreichte elektrochemische Stabilität und einen hohen Wirkungsgrad beim Ladungstransfer aufweist. Der Vorteil dieser Alternativen: Zur Herstellung können Standardchemikalien verwendet werden, die Produktion ist einfach. Der Elektrolyt verändert sich nicht an der Luft, und er ist lösemittelstabil. Bei der Suche nach neuartigen Materialen verwenden die Forscher sogar Bioabfall. So konnte am HIU auf der Grundlage  von Apfelresten ein Aktivmaterial für Natrium-Ionen-Batterien entwickelt werden, das zugleich umweltfreundlich und preisgünstig ist.
Im Zeichen der Energiewende steht gleichfalls die Photovoltaik. Auch hier forschen Ulmer Wissenschaftler nicht nur zu den Grundlagen, sondern arbeiten eng verzahnt mit Partnern aus der Industrie an Wegen, um neue Technologien auf den Markt zu bringen. Hierzu gehören beispielsweise organische Solarzellen, die die Herstellung besonders dünner und flexibler Solarfolien für Fenster und Fassaden ermöglichen – und noch dazu Silizium-frei sind.
Für den akademischen Nachwuchs und die Qualifizierung von Fachkräften sorgen die Universität und ihre Partnereinrichtungen übrigens selbst; zum Beispiel mit den englischsprachigen und hochspezialisierten Masterstudiengängen Energy Science and Technology, Advanced Materials und Chemical Engineering. Ein spezielles Graduiertenprogramm sorgt für die Qualifizierung von Doktoranden. Für Berufstätige aus
Industrie, Handwerk und Wissenschaft bietet übrigens das Weiterbildungszentrum Ulm
(WBZU) der Handwerkskammer Ulm spezielle Qualifizierungskurse an.
Effiziente und sichere Batteriesysteme oder Brennstoffzellen braucht es jedoch nicht nur am Boden. Dass man damit auch umweltfreundlich und so gut wie lautlos in die Luft gehen kann, bewies Professor Josef Kallo. Der Ingenieur leitet an der Universität Ulm das Institut für Energiewandlung und -speicherung und ist zugleich Projektleiter am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). Mit dem erfolgreichen Jungfernflug
des von ihm entwickelten Passagierflugzeuges HY4 konnte er Ende September letzten
Jahres am Stuttgarter Flughafen die Leistungsfähigkeit moderner Wasserstoffbrennstoffzellen-Batterie-Systeme unter Beweis stellen. In Zukunft werden moderne Energiespeicher also nicht nur in Gebäuden oder auf Straßen einen Beitrag
dabei leisten, klimaschädliche Emissionen zu reduzieren, sondern sie können auch weit über der Erde helfen, den Mobilitätsdrang des Menschen umweltfreundlicher zu gestalten.

Das Passagierflugzeug HY4 bei seinem Jungfernflug
Das Passagierflugzeug HY4 bei seinem Jungfernflug