Der smarte Garten
Gewächshäuser mit Fernsteuerung und E-mobil im Freiland
Gießkanne, Schaufel und Mähgeräte sind nach wie vor wichtige Werkzeuge für die Gärtnerinnen und Gärtner des Botanischen Gartens der Uni Ulm. Doch gerade in den Gewächshäusern steckt mittlerweile jede Menge Technik: Temperatur, Schattierung und Luftfeuchtigkeit werden vollautomatisch aufeinander abstimmt. Und auch im Freiland ist der technische Fortschritt in Form eines eigens für den Garten konzipierten Elektrofahrzeugs für die Grünpflege angekommen.
Hort für Einzelstücke
In den Gewächshäusern der Uni Ulm wachsen grüne Schätze: In den 1970-er und 80-er Jahren haben Tropenökologen wie der ehemalige Leiter des Botanischen Gartens, Professor Gerhard Gottsberger, wertvolle Einzelstücke aus Mittel- und Südamerika nach Ulm gebracht. Mittlerweile ist die Einfuhr verschiedenster Gewächse wie etwa fleischfressender Pflanzen nicht mehr so einfach möglich, weshalb diese Pflanzen vom Wildstandort für Wissenschaft und Studierendenausbildung unersetzlich sind.
Auch aus diesem Grund wurden ab 1986 die Gewächshäuser am Botanischen Garten errichtet: Seither schaffen Gärtnerinnen und Gärtner eine perfekte Umgebung für über 2000 Pflanzen – ganz ohne Wind oder beispielsweise natürlichen Niederschlag. Unterstützt werden sie dabei von einem ausgeklügelten Regelungssystem, das für die jeweilige Bepflanzung optimale „Sollwerte“ umsetzt. Dank dieser Angaben für Temperatur, Luftfeuchtigkeit und beispielsweise Schattierung entstehen aus baugleichen Häusern unterschiedliche Lebensräume wie ein tropischer Bergregenwald, ein Tieflandregenwald oder ein Kalthaus für die Überwinterung von Kübelpflanzen.
Intelligente Klimaregelung
Um das Klima in den Gewächshäusern aufrecht zu erhalten, registrieren “Fühler“ durchgängig die Bedingungen und melden gemessene Werte an das Regelungssystem. Bei Abweichungen vom Ideal wird sofort gegengesteuert: Feuchter Nebel entweicht aus Edelstahlträgern an der Decke, Ventilatoren wälzen die Luft um, und die Innen- sowie Außenschattierung kühlt die Gewächshäuser oder spart Energie ein.
Das Regelungsprogramm, das in abgewandelter Form auch in Krankenhäusern oder beispielsweise Großküchen läuft, galt anderen botanischen Einrichtungen sogar schon oft als Vorbild. Ähnlich der intelligenten Fabrik im Zuge von Industrie 4.0 ist sogar eine vorausschauende Wartung möglich: „Wenn wir dabei erfahren, welche Komponenten bald verschleißen könnten, stellen wir rechtzeitig einen Antrag auf Wiederbeschaffung. So können Folgeschäden vermieden werden“, erklärt der technische Leiter des Botanischen Gartens, Peter Zindl.
Ein System, das mitwächst
Das smarte Regelungssystem wurde beim Bau der Gewächshäuser mitgeliefert und ständig erweitert – zum Beispiel um Visualisierungen auf dem PC und, nach einem desaströsen Vorfall zu Beginn des Jahrtausends, um ein Notfallprogramm. Jutta Siegmund-Jonietz, seit 29 Jahren Mitarbeiterin im Botanischen Garten und inzwischen für die Gewächshäuser zuständig, erinnert sich noch genau an den Anblick: „Unzählige Pflanzen – darunter unersetzliche Einzelstücke – waren verbrannt und alle Gewächse ab einer Höhe von zweieinhalb Meter braun. Es war im negativen Sinne beeindruckend.“ Ausgelöst hatte das Unglück eine Verkettung von Zufällen: Am Wochenende konnte die Schattierung des Gewächshauses nicht schließen und gleichzeitig „streikte“ die Lüftung – für viele Pflanzen ein Todesurteil.
Heute meldet das Regelungssystem jede Störung an die Leitwarte, die Gärtner können sogar über ihre Smartphones eingreifen. „Dank eduroam habe ich auch schon auf einer kroatischen Urlaubsinsel nach dem Rechten in den Gewächshäusern geschaut“, erinnert sich Peter Zindl. Insgesamt ist auch die Zusammenarbeit mit dem Dezernat V-Gebäudemanagement eng. Neben wöchentlichen Rundgängen wurde gemeinsam, im Zuge des Straßenbahnbaus, eine mobile Heizanlage erprobt: So kann der technische Leiter Zindl sicher sein, dass die Pflanzen auch bei einem möglichen Heizungsausfall im Winter nicht erfrieren.
Ohne Gärtner geht es nicht
Trotz aller Technik: Ohne das Fachwissen der Gärtnerinnen und Gärtner geht es nicht. Jutta Siegmund-Jonietz und Kollegen achten besonders auf die Bedürfnisse der exotischen Pflanzen, die selbstverständlich alle etikettiert und in der Datenbank Systax dokumentiert sind. Dabei ist vor allem die Bewässerung sensibel. „Schon zwei Mal falsch Gießen kann die wertvollen Wildpflanzen zerstören,“ erklärt die gelernte Staudengärtnerin.
In jedem Fall vertragen die Gewächse kein Leitungswasser. Deshalb hat der Garten seine Regenwassersammelanlage unterhalb der Treibhäuser kürzlich auf 15 000 Liter ausgebaut – diese Menge reicht für etwa zwei Wochen. In niederschlagsarmen Zeiten muss ein Verschnittwasser aus Leitungswasser und Permeat, also vollentsalztem Wasser, hergestellt werden. Je nach Jahreszeit und Bedarf wird freitags gedüngt.
Eine Steigerung der botanischen „Kunstwelt“ ist die so genannte Phytokammer des Gartens: Hier können Wissenschaftler an einzelnen Stellschrauben drehen und prüfen, wie Pflanzen auf ganz bestimmte Umweltbedingungen reagieren. In jüngster Zeit hat hier der Leiter des Botanischen Gartens, Professor Marian Kazda, zum Beispiel Messgeräte und Schutzvorrichtungen für Treibhauseffektstudien sowie für Untersuchungen zur Unterwasserphotosynthese getestet.
Elektrofahrzeug als Aushängeschild
Auch im Freiland hat die Technik Einzug gehalten: Um den 28 Hektar großen Garten mit seinen 90 Höhenmetern zu bewirtschaften, ist natürlich ein gewisser Fuhrpark nötig. Aushängeschild ist das Elektrofahrzeug für die Grünpflege, der Toro Workman GTX.
Das Gefährt wurde eigens an die Anforderungen des Botanischen Gartens angepasst: Es kann beispielsweise auch als „mobile Steckdose“ eingesetzt werden und andere Geräte mit Energie versorgen. Entwickelt wurde das von einem Elektromotor angetriebene und mit moderner Sensorik ausgestattete Fahrzeug im Zuge des Projekts „Leise und sauber: Brennstoffzellen für kommunale Anwendungen“ des Ulmer Initiativkreises nachhaltige Wirtschaftsentwickelung. Derzeit werden Lasten und Verbrauchswerte unter realen Bedingungen ermittelt, um eine Umrüstung der Energieversorgung auf Brennstoffzellentechnik zu prüfen. Kooperationspartner des Gartens sind hierbei die Hochschule Ulm sowie das Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung (ZSW).
Schaut man sich sonst im „Lager“ des Gartens um, sieht man Laubbläser, Heckenscheren, verschiedene Mähgeräte und etwa ein Schlauchboot für die Gewässerpflege. „Bei uns im Freiland versuchen wir, effizient und gesundheitsschonend zu arbeiten, indem wir auf Ergonomie achten. Da die Kulturflächen meist kleinräumig sind und unterschiedlichste Anforderungen haben, kann nur in den seltensten Fällen tatsächlich automatisiert werden", betont Zindl.
Gelungene Symbiose
Insgesamt haben technische Innovationen im Botanischen Garten fast schon Tradition: Im Jahr 2000 hat der ehemalige Leiter des Gartens, Professor Gerhard Gottsberger, seine Tropenseilbahn COPAS auf dem Eselsberg getestet. Mittlerweile leistet die Konstruktion Baumwipfel-Forschern in Französisch-Guyana hervorragende Dienste. In diesem Sinne gehen Handwerk und Technik im Botanischen Garten regelmäßig eine gelungene Symbiose ein.
Text: Annika Bingmann
Fotos: Elvira Eberhardt, CNRS Guyane