Maßgefertigte Kunststoff- Batterien für Energiewende und Medizin

Prof. Birgit Esser verbindet organische Chemie und Batterieforschung

»Plastik«-Batterien für die Energiespeicherung? Was zunächst wenig nachhaltig klingt, könnte die Zukunft der Batterieforschung sein. Im Exzellenzcluster POLiS bringt Professorin Birgit Esser diese alternativen Energiespeicher ganz ohne Lithium oder seltene Übergangsmetalle auf den Weg. Erste Anwendungen reichen von stationären Stromspeichern bis zu extrem dünnen und biegsamen Batterien für medizinische Anwendungen.

Um die Energiewende zu schaffen, müssen zuverlässige Speicher her! Schließlich steht aus Sonnenlicht, Wind- und Wasserkraft gewonnener Strom nicht zu jeder Zeit in ausreichendem Umfang zur Verfügung. Als Energiespeicher eignen sich zum Beispiel Lithium-Ionen-Batterien, die auch unsere Smartphones und Laptops antreiben. Diese 2019 mit dem Nobelpreis geadelten Batterien gelten zwar als leistungsfähig und günstig – besonders nachhaltig sind sie aber nicht. Verbaute Komponenten wie Lithium und Kobalt sind endlich und werden oft unter so umweltschädlichen wie menschenrechtswidrigen Bedingungen gewonnen. Deshalb suchen Forschende im Exzellenzcluster POLiS (Post Lithium Storage) nach alternativen Systemen, die ohne endliche Materialien auskommen.

Portrait Fotografie einer lächelnden Frau
Prof. Birgit Esser

Ein relativ junger, aber vielversprechender Kandidat sind Kunststoff-Batterien. Birgit Esser, Professorin für Organische Chemie an der Universität Ulm und Bereichsleiterin im Cluster POLiS, forscht zu diesem neuen Typus. Auf der Suche nach Anwendungsmöglichkeiten ist die Expertin für organische Materialien zur Batterieforschung gekommen. »Ein Glücksfall mit umfangreichen Möglichkeiten«, wie sie heute findet.

Erste kommerzielle Anwendungen der Kunststoff-Batterie umfassen stationäre Energiespeicher für nachhaltig erzeugten Strom, die vom Unternehmen »PolyJoule« bereits verkauft werden. Außerdem gibt es zahlreiche Einsatzmöglichkeiten in der Medizintechnik oder an intelligenter Kleidung. Dabei machen sich Hersteller die Variabilität organischer Materialien zunutze: Kunststoff-Batterien können extrem dünn, biegsam oder transparent produziert werden.

Batterie-Komponenten sind weitreichend verfügbar

Doch was genau unterscheidet den neuartigen Energiespeicher von bislang verwendeten Batterien? Grundsätzlich können Anode, Kathode und sogar das Elektrolytsalz durch organische Materialien ersetzt werden. Die Gruppe von Birgit Esser verwendet vor allem polymerbasierte, im eigenen Labor hergestellte Kunststoffe. Diese organischen Materialien sind womöglich bereits halbleitend. Manche davon ähneln Styropor, sie müssen aber reversible Ladungen speichern können. »Ansonsten sind die Modifikationsmöglichkeiten fast unbegrenzt. Die elektrochemischen Eigenschaften lassen sich nach Bedarf einstellen«, erklärt Birgit Esser. Weiterhin überzeugen erste Kunststoff-Batterien durch Langlebigkeit, eine hohe Zyklen- sowie Temperaturstabilität und schnelle Ladbarkeit. Der wohl wichtigste Vorteil gegenüber der Lithium-Ionen-Technologie ist jedoch ein anderer: Alle Komponenten der Kunststoff-Batterie sind weitreichend verfügbar. Die Energiespeicher können sogar komplett metallfrei hergestellt werden.

»Meine Stärke ist die Entwicklung neuer Konzepte unter Verwendung organischer Materialien«, sagt Birgit Esser. Dementsprechend verbringt ihre Gruppe viel Zeit in den neu eingerichteten Syntheselaboren der Universität Ulm und des Exzellenzclusters. Es gilt, organische Materialien zu testen, Komponenten zu minimieren, aber auch Anknüpfungspunkte zu anderen im Cluster POLiS beforschten Batterietypen auf Basis von Natrium, Aluminium oder etwa Magnesium auszuloten. Bindeglied zwischen theoretischen Überlegungen und der Laborarbeit sind Simulationen am Computer. Trotz erster Kommerzialisierungen müssen die Forschenden noch einige Probleme der Kunststoff-Batterie lösen. Bei gleicher Kapazität sind diese Speicher deutlich größer als beispielsweise Lithium-Ionen-Batterien. Der zusätzliche Platzbedarf mag für statische Stromspeicher unerheblich sein, doch bei medizinischen Anwendungen zählt oft jeder Millimeter. Bleibt zudem die Recycling-Frage: Sollten sich die »Plastik«-Batterien etablieren, wollen die Forschenden noch mehr auf biologisch abbaubare Komponenten achten.

Glaskolben mit blauer Flüssigkeit
Forschung im Syntheselabor

Sind Kunststoff-Batterien also die Energiespeicher der Zukunft? Birgit Esser ist optimistisch und kann sich prinzipiell vorstellen, ein eigenes Konzept in die Kommerzialisierung zu tragen: »Eigentlich sollte ich mit meinem Team ein Start-up gründen.«

Die elektrochemischen Eigenschaften lassen sich nach Bedarf einstellen

Aktuell plant sie, die Kunststoff-Batterie mit ihrem zweiten Forschungsschwerpunkt, so genannten Kohlenstoff-Nanoreifen, zu verbinden. Die Universität Ulm und die umgebende Wissenschaftsstadt bieten hierfür die optimale Forschungsumgebung. Neben dem Exzellenzcluster POLiS und der übergeordneten Plattform CELEST bestehen enge Kontakte ans Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung (ZSW) und natürlich zu den Kolleginnen und Kollegen in den anderen Chemie-Instituten der Uni.

Sorgen um den wissenschaftlichen Nachwuchs muss sich die Professorin, die von der Universität Freiburg nach Ulm gewechselt ist, wohl auch nicht machen: »In meinen Chemie-Vorlesungen äußern Studierende großes Interesse an organischen Batterien. Sie wollen etwas Nützliches tun und die Energiewende sowie die Abkehr von Lithium, Kobalt und weiteren seltenen Materialien voranbringen.« Auf dem Weg dahin könnten Kunststoff-Batterien ein wichtiger Baustein sein.

 

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Im Exzellenzcluster POLiS (Post Lithium Storage Cluster of Excellence) forschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Karlsruhe und Ulm an den Batterien der Zukunft. Ziel sind leistungsstarke, zuverlässige, nachhaltige und umweltfreundliche Speichersysteme. Dabei wird ein Wechsel in der Batterietechnologie angestrebt, denn die Vorräte des Elements Lithium und des derzeit in Lithium-Ionenbatterien verwendeten Kobalts sind endlich. Gerade im Hinblick auf die Energiewende und Elektromobilität muss deshalb nach alternativen Technologien gesucht werden. Dazu bündeln das Karlsruher Institut für Technologie (KIT), die Universität Ulm sowie die assoziierten Partner Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (ZSW) und Universität Gießen ihre Kompetenzen. Das Forschungsvorhaben ist interdisziplinär angelegt: Elektrochemiker arbeiten eng mit Expertinnen und Experten aus Bereichen wie Materialwissenschaften, Modellierung und Ingenieurwissenschaften zusammen. Das Cluster wurde Ende 2018 im Zuge der hochkompetitiven Exzellenzstrategie des Bundes und der Länder eingeworben und ist mit rund sieben Millionen Euro pro Jahr für zunächst sieben Jahre ausgestattet. Die rund 100 Forschenden verteilen sich in etwa hälftig auf die Standorte Karlsruhe und Ulm. Das Exzellenzcluster POLiS ist in die neue Forschungsplattform CELEST (Center for Electrochemical Energy Storage Ulm & Karlsruhe) eingebettet.

Text: Annika Bingmann
Fotos: Elvira Eberhardt