Regisseur des Physik-Feuerwerks
Uni-Gesicht Reiner Keller
Wenn es im Physikstudium zischt und kracht hat nicht selten Reiner Keller seine Finger im Spiel. Der Leiter der Lehrsammlung Physik verfügt über eine Datenbank mit 1000, teils selbst kreierten Experimenten. Sein Meisterstück ist jedes Jahr die Weihnachtsvorlesung, bei der er gemeinsam mit Studierenden ein "Feuerwerk der Physik- und Chemie-Experimente" zündet.
Im Untergeschoss der Universität Ulm, jenseits des Hochschulsports, erstreckt sich das Reich von Reiner Keller. In einer Atmosphäre zwischen Hexenküche und Theaterfundus schreibt der Techniker Versuchsanleitungen für Experimente im Physikstudium und darüber hinaus. In der Lehrsammlung schießen schon einmal Tischtennisbälle mit fast 1000 km/h aus einer Kanone oder Laserstrahlen lassen Luftballons platzen. Dabei hatte der gelernte System- und Steuerungstechniker nach eigenen Angaben wenig Ahnung von Physik, als er 1997 aus der freien Wirtschaft an die Uni Ulm wechselte. "Als Kind habe ich mich sehr für Naturwissenschaften interessiert und mit meinem Vater, einem gelernten Techniker, auch Experimente durchgeführt. Solide Grundlagen der Physik habe ich mir aber erst an der Universität angeeignet", so der gebürtige Ulmer.
Für etwa 14 Vorlesungen pro Jahr erdenkt er nicht nur Experimente, er ist auch für Versuchsaufbau, Vorführung und Erklärung zuständig - natürlich in enger Absprache mit den Professoren. Zur Seite stehen Reiner Keller studentische Hilfskräfte, die der Techniker besonders gerne unter den Lehramtskandidatinnen und -kandidaten rekrutiert. Denn im späteren Schulalltag müssen Lehrer ihre Schüler schließlich auch mit spannenden Experimenten für die Naturwissenschaften begeistern. Insgesamt werden alle in der Lehrsammlung entwickelten Experimente in eine Datenbank eingetragen und sind dann - inklusive Anleitung - per Stichwortsuche deutschlandweit abrufbar.
Glanzstück Weihnachtsvorlesung
Reiner Kellers Glanzstück ist in jedem Jahr die Weihnachtsvorlesung. Die Vorbereitungen für die Aufführung beginnen sogar noch, bevor die ersten Lebkuchen im Supermarktregal stehen. "Gemeinsam mit den Studierenden starte ich vor den Sommersemesterferien mit der Themensuche. Dieses Mal haben wir uns nach einigen Diskussionen auf Asterix geeinigt", so Keller. Beteiligten sich früher hauptsächlich Physikstudierende an der Vorbereitung der Weihnachtsvorlesung, ist das Fächerspektrum heute deutlich breiter: Studierende der Chemie, Medieninformatik und Biologie sind ebenfalls mit von der Partie. Neben den Experimenten kümmern sich die rund 30 studentischen Organisatoren auch um Sponsorensuche und Marketing, sie stellen die Musik für die Aufführung zusammen oder engagieren sich im Filmteam. Doch zunächst müssen sich Reiner Keller und sein Team ein Theaterstück rund um die Gallier überlegen - Inspiration holen sie sich in Asterix-Comics und -Filmen. "Beim Schreiben kommen uns oft schon Ideen für Experimente aus Chemie und Physik. Beispielsweise könnte man den Zaubertrank mit Stickstoff darstellen", erläutert Keller.
Immer professioneller
Seit zehn Jahren führt er Regie bei der Vorführung im Dezember, die Weihnachtsvorlesung an der Ulmer Uni gibt es aber schon viel länger. "Der Anspruch steigt jedes Jahr und unser Team professionalisiert sich immer weiter. Einige Studierende sind über viele Semester dabei, teilweise sogar bis zur Abgabe der Doktorarbeit. Wir haben aber immer auch Neueinsteiger", so der 47-Jährige. In den vergangenen Jahren wusste das Organisationsteam mit Aufführungen über "Star Wars", "Batman", "Wetten, dass?", "Harry Potter" oder "Herr der Ringe" zu überzeugen. Bei der Weihnachtsvorlesung um den jungen Magier kam zum Beispiel ein "Flammenrohr" zum Einsatz, das sogar Reiner Keller beeindruckt hat: Brennendes Gas strömte im Takt der Musik aus den Löchern des Rohrs. Nun also Asterix. Im Wintersemester trifft sich das Team mindestens einmal wöchentlich, je näher die Aufführung rückt, desto öfter. Pflicht ist in jedem Jahr der Dreh auf dem Ulmer Weihnachtsmarkt: Dort filmt das Team eine Szene, die bei der Vorlesung eingeblendet wird.
Kurz vor der Aufführung steht immer eine chaotische Generalprobe, doch bei der tatsächlichen Weihnachtsvorlesung läuft das allermeiste glatt, so Keller. Kleinere Pannen merke das Publikum im vollbesetzten Hörsaal meist nicht, aber es seien bereits Experimente schief gelaufen oder man habe gnadenlos die Zeit überzogen. Von den ersten Vorbereitungen bis zum Schneiden des Films, der zu Jahresbeginn an alle Helfer verteilt wird, kostet die Weihnachtsvorlesung Reiner Keller auch viel Freizeit. Zum Glück hat seine Familie Verständnis: Die Ehefrau und die drei Kinder sind große Fans der Veranstaltung und schauen sich jedes Jahr die Aufführung an der Uni Ulm an.
Auf der Suche nach neuen Inspirationen
Aber auch abseits der Weihnachtsvorlesung ist Reiner Keller stets auf der Suche nach neuen Experimenten. Seine Inspirationsquellen sind unter anderem ehemalige Studierende, die teilweise Lehrer sind, oder bei Unternehmen arbeiten: "Eine Nebelkanone, die radioaktive Teilchen sichtbar macht, wurde erst durch einen Kontakt zu einem früheren Studenten möglich, der jetzt bei Liebherr angestellt ist", erinnert sich der Techniker. Darüber hinaus tauscht man sich bei den regelmäßigen Treffen der Vorlesungsassistenten deutscher Universitäten über "Spezialexperimente" und Sicherheitsvorkehrungen aus. Ein fester Termin im Kalender Reiner Kellers sind weiterhin die alljährlichen Highlights der Physik. Als die Großveranstaltung 2016 in Ulm gastierte, hat der Techniker die Experimentalvorträge im Stadthaus organisiert und zu den Mitmachaktionen für Kinder beigetragen. Zu diesem Pensum kommen manchmal Sonderaufgaben wie Themenvorträgen zu "Luft", "Licht" oder "Strom" im Rahmen der Langen Nacht der Wissenschaft zum 50. Uni-Jubiläum oder etwa für die Jahreszeitenakademien des Zentrums für Allgemeine Wissenschaftliche Weiterbildung (ZAWiW). Außerdem engagiert sich Reiner Keller in der Begabtenförderung: Jungen Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Hector Kinderakademie hat er den Einstieg in die Naturwissenschaften bereits mit Experimenten von Mechanik bis Atomphysik erleichtert.
Bei allem Interesse an der Physik hat Reiner Keller aber auch noch Hobbys, die nichts mit seinem Arbeitsplatz zu tun haben - Tischtennis spielen beispielsweise oder Rennradfahren. Immer wieder bestreitet er auch seinen Arbeitsweg von Laupheim auf den Eselsberg mit dem Fahrrad. Obwohl es vor der Weihnachtsvorlesung oder rund um Großveranstaltungen wie den Highlights der Physik schon einmal stressig wird, hat Reiner Keller den Wechsel an die Universität nie bereut: "Es ist nach wie vor der beste Job, den ich mir vorstellen kann", betont der Techniker.
Text: Annika Bingmann
Fotos: Kristin Lenich, Elvira Eberhardt, privat