News

„Dufte“ Gene: Fledermausweibchen erschnuppern passenden Partner am „Geruch“ seines Immunsystems

Ulm University

Bei der Großen Sackflügelfledermaus herrscht „Damenwahl“. Die Weibchen der neotropischen Fledermausart Saccopteryx bilineata suchen sich genau das Männchen als Paarungspartner aus, dessen Eigengeruch auf den größten genetischen Unterschied schließen lässt. Besonders treffsicher sind Weibchen, die über mehr Duftrezeptorvarianten der sogenannten TAAR-Gruppe verfügen. Diese Erkenntnis veröffentlichten die Wissenschaftler aus Ulm, Berlin und Jena kürzlich in der Online-Fachzeitschrift „Scientific Reports“ der Nature Publishing Group.

Große Sackflügelfledermäuse sind in Zentral- und Südamerika heimisch und leben dort in relativ kleinen Kolonien von bis zu 40 Individuen. Innerhalb der Kolonie organisieren sie sich in sogenannten Harems: Ein Männchen verteidigt sein Territorium, in dem zwei bis acht Weibchen leben. „Doch längst nicht alle Weibchen sind gewillt, sich auch mit ihm zu verpaaren“, sagt Professorin Simone Sommer, Leiterin des Instituts für Evolutionsökologie und Naturschutzgenomik der Universität Ulm, die das Projekt initiiert und koordiniert hat. Da die Männchen der Art Saccopteryx bilineata zudem deutlich kleiner sind als die Weibchen, können sie eine Kopulation auch nicht erzwingen. „Wir wissen von anderen Arten, die wie Fledermäuse nur wenige Jungtiere bekommen, dass die Weibchen bei der Partnerwahl sehr wählerisch sind“, informiert Dr. Pablo Santos, Wissenschaftler am Institut für Evolutionsökologie und Naturschutzgenomik und Hauptautor der Studie.

Da die Tiere nachtaktiv sind und zudem kein gutes Sehvermögen besitzen, können die Männchen bei der Balz nicht auf visuell wahrnehmbare Reize wie Farbmuster auf dem Fell oder Balztänze setzen. Vielmehr scheinen die Weibchen auf ihre empfindliche Nase zu vertrauen. Denn neben Balzrufen präsentieren Saccopteryx-Männchen den Weibchen bei der Balz auch ein selbst gemachtes „Parfüm“. „In zwei kleinen Hauttäschchen auf den Flügeln bereitet das Männchen eine Mixtur aus Urin, Spucke und Penissekreten zu“, erklärt der Fledermausforscher Dr. Christian Voigt vom Berliner Leibniz-IZW. Durch die Körperwärme beginnt die Flüssigkeit innerhalb kurzer Zeit zu vergären, und dementsprechend streng riecht sie auch. Jedes Männchen entwickelt auf diese Weise einen unverwechselbaren „Duft“.

Doch was genau an diesem Duft macht die Männchen unwiderstehlich – oder indiskutabel? Die Wissenschaftler vermuteten, dass die Männchen ihren sogenannten MHC-Genotyp preisgeben. „Wie bei Menschen, Mäusen und einer ganzen Reihe anderer Wirbeltiere spielen auch bei Fledermäusen die MHC-Gene – eine Gruppe von Genen, die Proteine der Immunabwehr kodieren – eine entscheidende Rolle bei der Partnerwahl“, erläutert die Seniorautorin der Studie, Professorin Simone Sommer.

Guter "Riecher" durch Vielfalt bei Duftrezeptoren
Wie es Saccopteryx-Weibchen gelingt, den genetisch passenden Partner zu finden und warum einige von ihnen einen besonders guten „Riecher“ zu haben scheinen, haben die Ulmer Fledermausforscher nun in ihrer aktuellen Publikation gemeinsam mit Wissenschaftlern des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung Berlin (Leibniz-IZW), des Naturkundemuseums Berlin (Leibniz-MfN) sowie des Fritz-Lipmann-Instituts für Alternsforschung (Leibniz-FLI) untersucht.
Für ihre Studie haben die Forscher in Costa Rica über mehrere Jahre knapp eintausend freilebende Fledermäuse in der Nähe einer Forschungsstation eingefangen, beprobt, vermessen und wieder frei gelassen.
Sie analysierten die Verwandtschaftsverhältnisse, die genaue Zusammensetzung der MHC-Gene sowie die molekulare Beschaffenheit dreier Familien von Geruchsrezeptorgenen: TAAR2, TAAR3 und TAAR8. Jedes dieser drei „Trace amine-associated receptor“-Gene kann in jedem Tier in zwei Varianten vorkommen. Ein Weibchen besitzt demnach zwischen drei und sechs verschiedene Rezeptortypen dieser Familie in der Riechschleimhaut. Je diverser die Rezeptoren sind, desto feiner können die Fledermausweibchen Gerüche wahrnehmen. „Unsere Untersuchungen haben gezeigt, dass Weibchen mit vielen TAAR-Varianten am besten in der Lage waren, einen Partner mit der für sie optimalen, also komplementären MHC-Genausstattung zu finden“, sagt Santos.

Die Forscher schließen daraus, dass die TAAR-Gene eine wichtige Rolle bei der geruchsvermittelten Partnerwahl von Säugetieren spielen können. In weiteren Untersuchungen wollen die Wissenschaftler konkret die Substanzen identifizieren, die an die entsprechenden Geruchsrezeptoren binden. Dies könnte mehr Licht auf die chemische Kommunikation zwischen potenziellen Partnern – nicht nur bei Fledermäusen – werfen, vermuten die Forscher.

Das Saccopteryx-Männchen bringt seinen Duft übrigens durch ein spezielles Balzritual ins Spiel: Sobald es merkt, dass das Weibchen empfänglich ist, fliegt es zu seiner am Baum hängenden „Angebeteten“ und schwirrt im Rüttelflug zwei bis vier Sekunden vor ihr in der Luft. Während dieses Schwirrfluges öffnet das Männchen seine Flügelsäckchen und fächert dem Weibchen dabei seinen Geruch zu. Findet das Weibchen am Bewerber Gefallen, lässt es die Paarung zu.

Literaturhinweis:
Santos, P.S.C. et al. MHC-dependent mate choice is linked to a trace-amine-associated receptor gene in a mammal. Sci. Rep. 6, 38490; doi: 10.1038/srep38490 (2016).

Text: Santos P.S.C, Sommer S. et al. / Marieke Behnel; Medienkontakt: Marieke Behnel

Eine Große Sackflügelfledermaus im Porträt (Foto: Karin Schneeberger)
Weibchen der Großen Sackflügelfledermaus besitzen bis zu sechs verschiedene Duftrezeptortypen in ihrer Riechschleimhaut: Je unterschiedlicher die Rezeptoren, desto feiner können sie Gerüche wahrnehmen (Foto: Karin Schneeberger)
Ein Männchen der Fledermausart Saccopteryx bilineata im Schwirrflug. Während dieses Balzverhaltens öffnet es seine Flügelsäckchen und „fächert“ dem an der Wand hängenden Weibchen seinen Duft zu (Foto: M. Stifter)
Ein Männchen der Fledermausart Saccopteryx bilineata im Schwirrflug (Foto: M. Stifter)
Dr. Pablo Santos (Foto: privat)
Dr. Pablo Santos (Foto: privat)
Prof. Simone Sommer (Foto: Eberhardt/kiz)
Prof. Simone Sommer (Foto: Eberhardt/kiz)