Transdisziplinäre Traumawissenschaften an der Universität Ulm

Führend in der Forschung zu körperlichen und psychischen Traumata

Verkehrsunfälle, Terroranschläge und Gewalttaten wie zum Beispiel sexualisierte Gewalt haben eines gemeinsam: Opfer können akute, mittel und langfristige psychische und körperliche Folgebelastungen aufweisen. Die medizinische Behandlung von Patientinnen und Patienten mit mehrfachen Knochenbrüchen und verletzten Organsystemen oder Geweben ist äußerst anspruchsvoll. Denn schwere körperliche Traumata sind geprägt von vielfältigen Wechselwirkungen zwischen verletztem Gewebe, Immunsystem, Kreislauf und Psyche. Fehlgeleitete Entzündungsreaktionen im ganzen Körper, die verletzungsbedingt auftreten können, führen nicht selten zu Multi-Organversagen und zum Tod.

Psychische Traumatisierung im Zusammenhang mit dem Erleben von Naturkatastrophen oder Unfällen und insbesondere bei interpersoneller Gewalt in der Kindheit haben massive Langzeitfolgen. Körperliche Traumata sind die häufigste Todesursache von Menschen unter 45 Jahren. Jährlich verursachen sie Gesundheitskosten von rund 30 Mrd. Euro und mehr – psychische Langzeitfolgen und Arbeitsausfälle mitgerechnet.

Schwerste Verletzungen verstehen, heilen und verhindern

Mit Hochdruck forschen Ulmer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an der Aufklärung von hochkomplexen Wechselwirkungen, die gerade Mehrfach-Verletzungen so gefährlich machen. Das fächerübergreifende Zusammenspiel unterschiedlichster Trauma-Spezialisten – und zwar sowohl in der Grundlagenforschung als auch in der Klinik – sichert dabei nicht nur nachhaltige Behandlungserfolge, sondern ist auch ein wissenschaftliches Erfolgsrezept des Ulmer Standortes.

Grundlagenforschende sowie forschende Ärztinnen und Ärzte der Universität und des Klinikums kooperieren eng mit medizinischen Partnereinrichtungen in der Ulmer Wissenschaftsstadt, darunter das Bundeswehrkrankenhaus, den Rehabilitations- und Universitätskliniken Ulm (RKU) und die "Blutspendezentrale" des Deutschen Roten Kreuzes. Die medizinische Versorgungskette reicht von der Erstversorgung von Notfällen über die unfallchirurgische, traumamedizinische und psychologische Behandlung bis hin zur Rehabilitation. Dass eine optimale Versorgung von Schwerverletzten rund um die Uhr gewährleistet ist, belegt die Re-Zertifizierung des Ulmer Traumanetzwerks aus 13 Kliniken durch die Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU).

 

Forschung an der Schnittstelle zwischen physischem und psychischem Trauma

Das Zentrum für Traumaforschung (ZTF) am Standort Ulm ist ein transdisziplinäres, virtuelles Forschungszentrum, das nicht nur deutschlandweit einzigartig, sondern auch international wegweisend ist. An der Schnittstelle zwischen körperlichem und psychischem Trauma arbeiten Forschende an der Aufklärung der molekularen Wechselwirkungen zwischen seelischen und körperlichen Verletzungen. Dabei wirken scheinbar weit entfernte Disziplinen wie zum Beispiel Unfallchirurgie, Biochemie und Psychiatrie bzw. Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie eng zusammen. Denn häufig haben körperliche Traumata auch psychische Traumata zur Folge oder frühe Traumatisierung in der Kindheit beeinflussen die Reaktion auf spätere Traumata im Erwachsenenalter („Second Hit“) und kosten die Gesellschaft laut der Ulmer Traumafolgekostenstudie rund 11 Milliarden Euro. Seelische Belastungen können sich zum Beispiel über das Nerven-, Immun- und Hormonsystem auf die Heilungsprozesse nach körperlichen Traumata auswirken.

Der wissenschaftliche Grundstein zur Etablierung des Ulmer Traumazentrums wurde mit einem erfolgreichen, von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Sonderforschungsbereich gelegt. Der SFB 1149 "Gefahrenantwort, Störfaktoren und regeneratives Potenzial nach akutem Trauma" läuft seit 2015 und wurde im November 2022 zum zweiten Mal verlängert. Die aktuelle Förderperiode läuft bis 2026, in der der SFB 11,1 Million Euro von der DFG erhält.
Im SFB sollen traumatische Verletzungen bis auf die zelluläre und molekulare Ebene verstanden sowie neue Therapien entwickelt werden. Dabei stehen körperliche Reaktionen auf die häufigsten Verletzungsmuster sowie Störfaktoren bei Regenerationsprozessen im Mittelpunkt.

Zurzeit laufen die Bauarbeiten für eine neue Heimat der Ulmer Traumaforschung: Für 73 Millionen Euro entsteht das Forschungsgebäude „Multidimensionale Trauma-Wissenschaften“ (MTW) auf dem Campus. Rund 200 Forschende werden im Neubau hochmoderne biomedizinische Labore, eine Biobank sowie ein klinisches Studienzentrum zur Verfügung stehen. Niemals zuvor gingen mehr Bundesmittel für einen Forschungsbau nach Baden-Württemberg.

Auch bei gewalttätigen Auseinandersetzungen, militärischen Einsätzen und Terroranschlägen kommen Menschen zu Schaden und werden mitunter lebensgefährlich verletzt. Betroffen sind gerade auch Angehörige der Bundeswehr, die im Auslandseinsatz schwere Verletzungen erleiden. Im Rahmen eines zivil-militärischen Verbundprojektes forschen Traumaexpertinnen und -experten der Ulmer Universitätsmedizin gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen des Bundeswehrkrankenhauses dazu, wie die Akutbehandlung und Regeneration bei solchen Verletzungen verbessert werden kann. Davon profitieren verletzte Patientinnen und Patienten im zivilen und militärischen Bereich gleichermaßen

Psychotraumata
Verstehen, behandeln und vermeiden helfen

Ein weiterer Schwerpunkt des Zentrums für Traumaforschung ist die Erforschung und Behandlung von psychischen Traumata.

Wenn Kriegsflüchtlinge, Gewaltopfer oder misshandelte Kinder so sehr an ihren Verletzungen und Erlebnissen leiden, dass ein normaler Alltag nicht mehr möglich ist, haben sie mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Psychotrauma. Folgen seelischer Verletzungen sind häufig Posttraumatische Belastungsstörungen oder andere psychische Erkrankungen. An der Universität Ulm forschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Psychiatrie, Psychologie und Molekularbiologie an den Ursachen und Auswirkungen solcher Traumata. Im Mittelpunkt stehen dabei insbesondere Fragen zur Therapie und Prävention, doch auch die biomolekularen Zusammenhänge bei der Entstehung psychotraumatischer Verletzungen interessieren die Forschenden. Vermehrt rückt zudem die generationenübergreifende Weitergabe traumatischer (Kindheits-) Erfahrungen in den Blickpunkt.

Hilfe für traumatisierte Kinder und Jugendliche

Eines der wichtigsten Anliegen ist dabei die bestmögliche Versorgung seelisch traumatisierter Kinder und Jugendlicher. Eine Schlüsselrolle spielen hierbei das Kompetenzzentrum Kinderschutz in der Medizin in Baden-Württemberg sowie die Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie mit verschiedenen Verbundprojekten

Die Deutsche Traumastiftung setzt die langjährige Tradition des Ulmer Standorts in der Traumaforschung und -behandlung fort, die bereits seit Gründung der Universität 1967 besteht. Die Stiftung will die Versorgung von verletzten Patienten verbessern. Sie unterstützt Projekte, die das allgemeine Verständnis sowie den Erfahrungsaustausch fördern. Im Mittelpunkt stehen die Prävention und die Behandlung physischer und psychischer Traumafolgen.