Zahnmedizin­studium in Ulm

Vom Phantomkopf zum ersten Patienten

Wer Zahnarzt oder Zahnärztin werden will, sollte handwerkliches Geschick, Interesse an Naturwissenschaften und Empathie mitbringen. Durchhaltevermögen ist ebenfalls gefragt, denn der Weg zur Approbation ist lang: In zehn Semestern umfasst das Studium unter anderem den Präparationskurs an Körperspendern, Übungen an Plastikgebissen und viel Theorie.

Studentin Milena Sonnenberg bei der Behandlung
Studentin Milena Sonnenberg bei der Behandlung in der Zahnklinik

Als Milena Sonnenberg vor ein paar Monaten erstmals einen Zahn ziehen durfte, war das ein Meilenstein in ihrer Ausbildung. Die 24-Jährige studiert Zahnmedizin im 8. Semester an der Universität Ulm und sagt: "Das Studium ist ein echter Vollzeitjob. Nach einem Unitag mit Vorlesungen und praktischen Kursen stand zum Beispiel im arbeitsintensiven 6. Semester oft noch freie Übungszeit in der Simulationsklinik an." Bevor die Studierenden jedoch erstmals in Kontakt mit plastikbezahnten Phantomköpfen geschweige denn echten Patienten kommen, müssen sie sich umfangreiche naturwissenschaftliche und anatomische Grundlagen aneignen.

Dabei pauken die angehenden Zahnärztinnen und -ärzte nicht nur Biologie, Chemie und Physik. Wie ihre Kommilitonen aus der Humanmedizin lernen sie im Kurs "Makroskopische Anatomie" an einem Körperspender, wobei der Fokus auf dem Kopf liegt: "Im Präp-Kurs hatten wir Zahnmediziner unseren eigenen Tisch und wir wurden auch separat geprüft, denn genaue anatomische Kenntnisse etwa der Arme und Beine sind für uns natürlich weniger wichtig als für Humanmediziner", erinnert sich Milena Sonnenberg. Vom Fach Anatomie war die gebürtige Tübingerin beeindruckt, doch das viele Lernen im vorklinischen Studienabschnitt fiel nicht immer leicht. Bei der Fülle an Lernstoff hätten die Studierenden manchmal fast vergessen, warum sie beispielsweise mikroskopische Aufnahmen von Geweben erkennen sollen, mit denen Zahnärzte nie etwas zu tun haben. Studiendekan Professor Ralph Luthardt findet solches allgemeinmedizinisches Basiswissen jedoch besonders relevant für die angehenden Zahnmediziner: "Auch im Hinblick auf die alternde Bevölkerung kann man die zahnärztliche Tätigkeit nicht mehr auf die manuelle Komponente reduzieren. Gerade ältere Patienten haben oft Allgemeinerkrankungen, die sich auf die Behandlung auswirken. Beispielsweise sind Herz-Kreislaufprobleme relevant für die Anästhesie", betont der Ärztliche Direktor der Klinik für Zahnärztliche Prothetik.

Ralph Luthard
Studiendekan Prof. Ralph Luthardt

Manuelle Fähigkeiten sind zentral

Phantomköpfe in der Simulationsklinik
Phantomköpfe in der Simulationsklinik

Nichtsdestotrotz ist der Erwerb manueller Fertigkeiten im Studium absolut zentral. Zum Einstieg müssen die Studierenden im zweiten Semester zunächst Zähne schnitzen und zeichnen, um ein Gefühl für ihre Form und Beschaffenheit zu bekommen. "Im technischen Kurs merken die meisten, ob Zahnmedizin das richtige Studium für sie ist. Einige Kommilitonen hatten bei handwerklichen Tätigkeiten zunächst Probleme und mussten den Kurs wiederholen - oft hat es dann aber im zweiten Anlauf gut geklappt. Auf der anderen Seite gibt es in jedem Semester sehr geschickte Studierende, teils mit abgeschlossener Ausbildung als Zahntechniker oder Zahnmedizinische Fachangestellte, die man um Hilfe bitten kann", erinnert sich Milena Sonnenberg.

Auch Studiendekan Professor Luthardt teilt die Studierendenschaft ganz grob in zwei Gruppen ein: "Den guten Abiturienten fällt oft das Lernen leicht, aber nicht unbedingt die manuellen Tätigkeiten. Bei Studierenden, die Wartesemester mit einer fachspezifischen Ausbildung überbrückt haben, ist es oft umgekehrt." Für beide Extreme gibt es an der Medizinischen Fakultät Unterstützungsangebote: Selbstverständlich können auch angehende Zahnärzte die Histologie-App MyMi.Mobile oder etwa das Virtual Reality Lab nutzen. Handwerkliches Geschick wird vor allem in der Simulationsklinik trainiert. Diese gemeinsame Einrichtung der Kliniken für Prothetik und Zahnerhaltungskunde wurde vor viereinhalb Jahren völlig neu konzipiert sowie gestaltet und umfasst zahntechnische Arbeitsplätze sowie einen Behandlungsraum mit Phantomköpfen. Dabei ist jeder Platz mit einem Monitor ausgestattet, so dass Studierende über die Lernplattform Moodle auf Demonstrationen und Videoanleitungen zugreifen können. Doch warum wird dem zahntechnischen Arbeiten in der Simulationsklinik so viel Raum gegeben? "Selbstverständlich muss der Zahnarzt immer prüfen, ob eine zahntechnische Arbeit beim Patienten eingesetzt werden kann. Dafür ist es wichtig, dass Studierende das Bearbeiten typischer Werkstoffe geübt haben und in der Lage sind, zahntechnische Arbeiten auch selbst auszuführen", erklärt Studiendekan Luthardt.

 

Pulver für Gebissabdruck abmessen
Abformmaterial anmischen
Abformlöffel mit Abformmaterial füllen

Training für den ersten Patienten

In der Simulationsklinik wird Studentin Milena Sonnenberg auch immer wieder klar, wie teuer ihr Studium ist: Die Zähne, die zu Übungszwecken in den Phantomköpfen stecken, müssen Studierende nämlich ebenso selbst finanzieren wie ihren zahntechnischen und zahnärztlichen Instrumentenkoffer. Im Laufe des Studiums kommen so gerne ein paar Tausend Euro zusammen. "Wie viele Kommilitonen habe ich meine Koffer gebraucht erstanden", sagt Milena Sonnenberg. Schon jetzt werden die Studierenden beim Materialkauf mit Mitteln der Studienkommission unterstützt. Darüber hinaus suchen die Ärztlichen Direktoren gemeinsam mit der Fachschaft derzeit nach einem Weg, besonders bedürftigen Studierenden die kostspieligen Instrumentenkoffer zu stellen. Die Arbeit in der Simulationsklinik ist also zeitintensiv, teuer, aber ungemein wichtig: "Nur wer sein Handwerk beherrscht, kann sich bei späteren Behandlungen auf Zuspruch und Empathie gegenüber dem Patienten konzentrieren", so Luthardt.

Auf ihre erste Begegnung mit echten Patienten werden die Studierenden nach dem Physikum intensiv vorbereitet. Im sechsten Semester nehmen sie die grundlegenden Fälle der Zahnmedizin wie verschiedene Füllungen, Wurzelkanalbehandlungen und die Kieferorthopädie durch. Dazu kommen Vorlesungen in Mund-Kiefer und Gesichtschirurgie, Radiologie sowie eine anschließende Famulatur in der Klinik. "Unter Anleitung fertiger Zahnärzte haben wir unter anderem das Einspritzen für die Betäubung aneinander geübt. Außerdem durfte ich in der Klinik erstmals eine professionelle Zahnreinigung durchführen", erinnert sich Studentin Sonnenberg an ihr bisher anstrengendstes Semester. Inzwischen behandelt sie im Studierendenkurs "echte" Patienten, wobei jeder Schritt von approbierten Assistenten überprüft wird. Oft ist es nicht leicht, genügend Patienten zu finden, denn viele Bürger kennen das Angebot der Zahnklinik nicht oder sie haben Vorbehalte gegenüber vermeintlich unerfahrenen Behandlern. Doch Milena Sonnenberg betont: "Wir Studierenden geben immer unser Bestes, denn für uns ist jede Behandlung auch eine Prüfungssituation." Gerade ältere Menschen fühlten sich in den Kursen oft besonders wohl: Sie schätzen die zugewandte, sorgfältige Betreuung. Zwar kann die Versorgung etwas länger dauern als beim niedergelassenen Zahnarzt, dafür erhalten die Patienten jedoch eine finanzielle Kompensation.

Der geduldige Patient - Die Simulationsklinik der Zahnmedizin

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Zahnärzte brauchen Einfühlungsvermögen

"Spätestens im klinischen Studienabschnitt merkt man, dass ein Zahnarzt gut mit Menschen umgehen können muss. Es kommen in manchen Fällen sogar Angstpatienten und solche, die lange nicht beim Zahnarzt waren. Ihnen sollte man gut zureden und die Nervosität nehmen", sagt Milena Sonnenberg. Auf die zahnärztliche Entscheidungsfindung werden Studierende künftig mit einem neuen E-Learning-Angebot vorbereitet, das in Zusammenarbeit mit den Uni-Informatikern vom Institut für Datenbanken und Informationssysteme entsteht: Den angehenden Zahnmedizinern werden verschiedenste Fälle anhand von Bildern, Röntgenaufnahmen und Beschreibungen präsentiert, zu denen sie Fragen beantworten und letztlich über die Versorgung entscheiden müssen.

Insgesamt lobt Milena Sonnenberg die Unterstützungsangebote an der Zahnklinik: "Man kennt und hilft sich. Wer Unterstützung benötigt, bekommt sie auch." Seit Studienbeginn engagiert sie sich in der Fachschaft, die mit Zahni-Kick, Erstsemester-Party und Glühweintrinken für einen regelmäßigen Austausch sorgt. Bei kritischen Situationen, wenn ein Studierender beispielsweise aus einem überfüllten Kurs gelost wird, beraten die Fachschaftler natürlich auch. Und wie geht es für Sonnenberg und ihre Kommilitonen nach dem Staatsexamen, das üblicherweise nach dem 10. Semester abgelegt wird, weiter? "Viele Studierende haben eine Praxis zu Hause, in die sie nach der obligatorischen zweijährigen Assistentenzeit einsteigen. Ich selbst möchte gerne mit anderen Zahnmedizinern zusammenarbeiten, weshalb ich mir auch eine Anstellung in einer größeren Praxis vorstellen könnte. Wenn ich später Familie habe, kann ich so auch einfacher in Teilzeit arbeiten", sagt Milena Sonnenberg. Zudem möchte sie - wie etwa die Hälfte ihrer Kommilitonen - zum Dr. med. dent promovieren. In der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie untersucht Sonnenberg, ob Zahnärzte Vernachlässigung bei Kindern anhand des Zahnstatus erkennen können.

Andere Absolventen satteln nach dem Examen vielleicht noch einen Fachzahnarzt in Kieferorthopädie beziehungsweise Oralchirurgie drauf oder sie suchen ihr berufliches Glück in der Medizintechnik oder in der Pharmaindustrie. Fest steht: das Zahnmedizinstudium gehört an der Universität Ulm zu den begehrtesten Fächern. Die guten Berufsaussichten und die Unterstützungsangebote tragen sicher dazu bei, dass die Abbrecherquote vergleichsweise gering ist.

Zahnmedizin-Studentin übt am Phantomkopf

Ein Zahnmedizin-Studium kann an der Universität Ulm im Sommer- und im Wintersemester aufgenommen werden. In jedem Semester stehen 27 Plätze zur Verfügung. Die Bewerbung erfolgt über hochschulstart.de. Im Auswahlverfahren haben Abiturienten mit einer besonders guten Durchschnittsnote und/oder einer hohen Punktzahl im TMS-Test (Test für Medizinische Studiengänge) gute Chancen. Durch eine Ausbildung im (zahn-)medizinischen Bereich oder anderweitige einschlägige Berufserfahrung können Bewerberinnen und Bewerber ihren Abiturschnitt verbessern und so die Wahrscheinlichkeit erhöhen, zugelassen zu werden.

Das Studium startet mit dem vorklinischen Abschnitt. Neben zahnmedizinischen Inhalten lernen die Studierenden zunächst umfangreiche naturwissenschaftliche und anatomische Grundlagen. Der vorklinische Studienabschnitt beinhaltet die naturwissenschaftliche Vorprüfung in Biologie, Chemie sowie Physik und schließt mit dem Physikum ab. Diese sogenannte Zahnärztliche Vorprüfung umfasst mündliche und praktische Prüfungen in Zahnersatzkunde, Anatomie, Physiologie und Physiologischer Chemie. Im Zentrum des klinischen Studienabschnitts steht das Erlernen verschiedener zahnärztlicher Behandlungen und OP-Techniken. Außerdem werden Kieferorthopädie, Zahnerhaltungs- und Zahnersatzkunde sowie verschiedenste Zahn- und Kieferkrankheiten gelehrt. Das Staatsexamen, das üblicherweise nach dem 10. Semester abgelegt wird, beinhaltet weiterhin Pathologie, Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, Dermatologie, Hygiene/medizinische Mikrobiologie sowie Themen der Inneren Medizin und Pharmakologie.

Absolventinnen und Absolventen können die Approbation als Zahnärztin oder Zahnarzt beantragen und zum Dr. med. dent promovieren. Um eine Kassenzulassung zu erhalten, ist eine zwei- jährige Tätigkeit als Assistentin oder Assistent in einer Klinik oder Praxis nötig. Weiterhin werden Fachzahnarztausbildungen, etwa zum Kieferorthopäden, und verschiedene berufsbegleitende Masterstudiengänge angeboten.

Behandlungsboxen

Text: Annika Bingmann

Fotos: Elvira Eberhardt, Heiko Grandl, Erich Püschel

Video: Daniela Stang