Wie ein Ulmer Doktorand eine Fledermaus weltberühmt machte

Dreh mit Sir David Attenborough im Regenwald

Für den Ulmer Biologen Jan Bechler ist ein Traum in Erfüllung gegangen: Er durfte den berühmten Filmemacher Sir David Attenborough bei einer Naturdokumentation für die BBC wissenschaftlich beraten. In der Hauptrolle: Eine nektartrinkende Blumenfledermaus, die Bechler für ihren großen Auftritt trainiert hat.

In rund 70 Jahren als Naturfilmer hat Sir David Attenborough spektakuläre Landschaften und seltene Tiere in den entlegensten Gegenden der Erde gesehen. Trotzdem ist es einer winzigen Blumenfledermaus gelungen, den heute 95-Jährigen in Erstaunen zu versetzen. Direkt vor Attenboroughs Gesicht hat das Tier die "Siebenstunden-Blume" (Merinthopodium neuranthum) besucht und deren Nektar getrunken. Die kurze Szene ist Teil der BBC-Reihe "The Green Planet", die bei der Weltklimakonferenz in Glasgow Premiere gefeiert hat. Die Fledermaus-Sequenz ging sogar viral: Alleine auf YouTube haben bislang über 900 000 Menschen den Clip angeschaut. Die Zuschauerinnen und Zuschauer in aller Welt können nicht ahnen, dass sie die spektakuläre Szene einem Ulmer Doktoranden zu verdanken haben. Jan Bechler vom Institut für Evolutionsökologie und Naturschutzgenomik hatte die Fledermaus ausgewählt und für die Begegnung mit dem berühmten Naturfilmer trainiert. Dabei kamen ihm Wissen und Erfahrung aus seinem Promotionsprojekt zugute.

Alter Mann sieht auf Fledermaus
Die Schlüsselszene des Naturfilms: Die Fledermaus trinkt vor Sir David Attenboroughs Gesicht Nektar

Aber wie wird ein deutscher Doktorand Fledermaus-Trainer für eine BBC-Dokumentation? Die unglaubliche Geschichte beginnt im Mai 2019 in der costa-ricanischen Forschungsstation La Selva inmitten des tropischen Regenwalds. Für sein Promotionsprojekt hatte Jan Bechler auf einer Lichtung ein Flugzelt aufgebaut – ausgestattet mit allem, was das Fledermaus-Herz begehrt. "Nacht für Nacht haben meine Masterstudentin und ich feine Netze im Wald gespannt und alle zwanzig Minuten kontrolliert, ob sich ein geeignetes Tier verfangen hat. Exemplare von zwei Blumenfledermausarten haben wir vorsichtig
für einige Zeit ins Flugzelt gebracht", erklärt der Biologe. Dort hatte Bechler echte Blüten an einer Feinwaage befestigt und eine Lichtschranke davor installiert: So konnte er nachmessen, wie viel Nahrung die nachtaktiven Säuger aufnehmen und auf ihren Energieverbrauch schließen. Dabei ist eine der untersuchten Fledermausarten, Hylonycteris underwoodi, hochgradig abhängig von der "Siebenstunden-Blume": Deren Blüte öffnet sich nach Sonnenuntergang für genau sieben Stunden. In diesem Zeitfenster muss sich das Tier mit Nektar versorgen und seinen Dienst als Bestäuber tun.

Junger Mann blickt auf Abbildung eines alten Mannes mit Fledermaus
Für Jan Bechler ging mit dem Dreh ein Traum in Erfüllung

Die Station La Selva bietet nicht nur für solche Feldforschungs-Projekte optimale Bedingungen. Gerade für Nachwuchsforschende ist der Austausch mit erfahrenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus aller Welt besonders wertvoll. Auf diese Weise erfuhr Jan Bechler, dass Naturfilmer der britischen BBC erwartet wurden. "Ich liebe die Natur-Dokumentationen der BBC und habe während des Studiums ganze David Attenborough-Filmnächte veranstaltet. Deshalb musste ich das Team einfach ansprechen", erinnert sich der Doktorand. An seinen Experimenten im Flugzelt hatten die Briten durchaus Interesse, aber das Drehbuch war bereits voll. Bei einem gemeinsamen Abendessen stellten die Naturfilmer jedoch eine überraschende Frage: "Nehmen wir an, wir würden Sir David Attenborough nach Costa Rica bringen. Kriegen wir es hin, dass eine Fledermaus eine Blüte direkt vor seinem Gesicht besucht?" Begeistert von der Möglichkeit mit seinem Idol zusammenzuarbeiten, sagte Jan Bechler sofort zu. So kam es, dass ein Ulmer Doktorand wissenschaftlicher Berater der BBC wurde.

Fledermaus-Szene aus "The Green Planet"

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Modernste Kamera-Technik im Einsatz

Insgesamt dreht sich die Reihe "The Green Planet" um Pflanzen und deren Beziehung zu Tieren und der weiteren Umwelt. Thema der Folge, die in La Selva gedreht wurde, ist die Fragmentierung des Regenwalds. Das Filmteam war etwa zwei Wochen vor Ort und der Star der Produktion, Sir David Attenborough, stieß Ende 2019 für vier Tage hinzu. Für die Aufnahmen hatte Jan Bechler eine Fledermaus ausgewählt, die kaum Scheu vor Menschen hat: Dieses Tier wurde im Flugzelt auf seinen Einsatz am Filmset vorbereitet und auch der berühmte Naturfilmer erhielt eine Einweisung vom Ulmer Doktoranden.

"Am Drehtag hat mich die Fledermaus sehr stolz gemacht: Sie ist sofort zur Blüte der Siebenstunden-Blume geflogen und hat vor David Attenboroughs Nase Nektar getrunken", berichtet der Ulmer Biologe. Die Begeisterung Attenboroughs ist ebenfalls nicht zu übersehen: Der damals 93-Jährige lächelt über das ganze Gesicht, britische Medien berichteten später über einen "magischen Moment". Für die spektakulären Bilder wurde modernste Technik verwendet: Alle Aufnahmen sind in 8k-Auflösung gefilmt worden. Außerdem waren Hochgeschwindigkeitskameras, Drohnen und ein Kamera-Roboter im Einsatz. Anhand der Siebenstunden-Blume und der spezialisierten Fledermausart erklärt Attenborough in der Doku die Auswirkungen eines fragmentierten Regenwalds: Jede Nacht hat Hylonycteris underwoodi wenige Stunden Zeit, um die Pflanze zu besuchen. Da der Nektar nicht sehr energiereich ist, fliegt die Fledermaus mehrere Blüten an und trägt so maßgeblich zur Bestäubung bei. Finden sich in zerschnittenen Regenwald-Gebieten nur noch wenige Siebenstunden-Blumen, funktioniert die Partnerschaft nicht mehr.

Während man zu Sir David Attenboroughs Anfangszeiten bei der BBC die Natur für unendlich hielt und den Menschen als zu klein, um dieses System nachhaltig zu beeinflussen, zeigt sich nun die Zerstörung. Extremwetter, Rodungen, Brände und Artensterben setzen den Tropen zu. Können die aufwändigen BBC-Dokumentationen dazu beitragen, das Bewusstsein für diesen einzigartigen Lebensraum zu schärfen? "Mit beeindruckenden Bildern zeigen Sir David Attenboroughs Filme die Vielfalt der Natur. Sie wecken Emotionen, sprechen aber schließlich die Gefährdung des Habitats an", lobt der Biologe Jan Bechler. Immerhin endet die in La Selva gedrehte Folge von "The Green Planet" mit einer positiven Note: Sir Attenborough kehrt nach 30 Jahren in ein Gebiet zurück, das damals Weideland war und wo jetzt wieder tropische Pflanzen sprießen. Ab dem 29. Mai wird die BBC-Dokumentationsreihe auch im ZDF ausgestrahlt.

Einblick in die Station La Selva

Text: Annika Bingmann
Fotos: Jan Bechler, Paul Williams, Kira Steiner, Elvira Eberhardt