Helfen, bis der Arzt kommt

Die Uni Ulm setzt bei Unfällen auf schnelle Maßnahmen

Sie machen den Weg frei: 39 Notfallhelferinnen und Notfallhelfer greifen bei einem Unfall oder einer akuten Erkrankung auf dem Universitätsgelände mit ihren Ortskenntnissen und einer fundierten Erste-Hilfe-Ausbildung beherzt ein – bis der alarmierte Rettungsdienst eintrifft. Und das seit mehr als zwei Jahrzehnten. Eine Feier zum 20-jährigen Bestehen der Gruppe 2021 fiel wegen der Corona-Pandemie allerdings aus.

Wo ist der blaue Hörsaal, wo der gelbe? Wie komme ich zum Mikroskopierraum H218, wie zu den Seminarräumen der Uni West und Ost? Und wo bitteschön ist der Praktikumsraum HH22 in der Helmholtz-Straße? Keine Frage, die Universität Ulm ist ein weitverzweigtes komplexes Gebäudesystem, mit unzähligen Gängen, Treppen, Laboren, Büros und Unterrichtsräumen. Wer hier nicht täglich lehrt oder studiert, verliert leicht die Orientierung und läuft schnell in die falsche Richtung. Bei einem Notfall ist das fatal. Denn es geht um Sekunden. »Es gibt so viele Stellen auf dem Campus, da findet sich ein Notarzt oder Sanitäter nicht zurecht«, weiß Professor Hermann Schumacher vom Institut für elektronische Bauelemente und Schaltungen.

Aus diesem Grund trug er bereits vor mehr als 20 Jahren dazu bei, eine komplett überarbeitete Alarmierungskette zu etablieren. Hermann Schumacher, Erhard Schoch, Medizintechnik-Ingenieur aus der Physiologie, sowie Helmut Graf, Sanitär-Meister aus dem ehemaligen Bereich TBA Gas/Wasser/ Abwasser, waren Mitbegründer einer Notfallhelfergruppe, die sich am 8. Oktober 2001 zum ersten Mal traf. Fortan waren die ehrenamtlich tätigen Helfer involviert und können seit dieser Zeit ergänzend zur Notfallrettung des Rettungsdienstes mitwirken. Insgesamt 16 Alarmierungen gab es im vergangenen Jahr. Diese bezogen sich nicht nur auf die Uni West und die Uni Ost, wo sich tagtäglich die meisten Studierenden und Lehrkräfte aufhalten. Zum Einsatzgebiet gehören unter anderem auch der Botanische Garten, die technische Versorgungszentrale in der Staudinger Straße und das Tierforschungszentrum Oberberghof.

Ziel und Zweck

In der Ersthelferverordnung des Innenministeriums ist unter Punkt 1 des Paragraphen 3 gesetzlich verankert, was auch auf die an der Universität Ulm wirkende Notfallhelfer-Gruppe zutrifft: »Helfer-vor-Ort-Systeme ergänzen den Rettungsdienst in Fällen, in denen dies notfallmedizinisch relevant erscheint. Ziel und Zweck ihres Einsatzes ist die Verkürzung des therapiefreien Intervalls, bei Patienten in akut lebensbedrohlichen Situationen.«

Zeitgleiche Alarmierung

Kommt es zu einem Notfall im Campusbereich, kann von jeder x-beliebigen Stelle unter 112 die integrierte Leitstelle von Rettungsdienst und Feuerwehr angerufen werden. Zeitgleich mit dem Rettungsdienst werden auch die ehrenamtlich tätigen Mitglieder der Notfallhelfergruppe über digitale Meldeempfänger alarmiert.
Sie machen den Weg frei und lotsen die Rettungskräfte sicher und schnell zum Unfallort. Die 39 Notfallhelfer und Notfallhelferinnen, die über verschiedene Stützpunkte auf dem Gelände verfügen, kennen jedoch nicht nur das Unigebäude wie ihre Westentasche, sondern sind auch mit dem menschlichen Körper sehr gut vertraut. Ihre offizielle Aufgabe ist in erster Linie die erweiterte Erstversorgung von Menschen mit schweren Verletzungen oder akuten Erkrankungen - bis zum Eintreffen des Rettungsdienstes. Hermann Schumacher erläutert: »Es geht darum, die Patientinnen und Patienten möglichst schnell und möglichst effizient zu stabilisieren, bis eben der Rettungswagen eintrifft.«

Der Umgang mit Maske und Beatmungsbeutel wird regelmäßig geübt

Und da muss jeder Handgriff sitzen. Deshalb sind die Notfallhelferinnen und Notfallhelfer ausgebildet, lebenswichtige Körperfunktionen zu überprüfen und zu beurteilen. Dazu gehört unter anderem die Kontrolle von Atmung, Kreislauf, Puls, Blut-Sauerstoff-Sättigung und Blutdruck. Im Gegensatz zu den 120 Ersthelferinnen und Ersthelfern an der Uni Ulm sind sie befähigt, Sauerstoff zu verabreichen, mit Beatmungsbeutel
zu beatmen sowie Frühdefibrillationen durchzuführen. Sie versorgen Verletzungen, stillen Blutungen, legen Verbände an und schienen Knochenbrüche.

Chemie, Physik, Ingenieurwesen, Technik, Informatik oder Medizin – die Notfallhelfer sind eine bunt zusammengewürfelte Truppe aus Angestellten, Studierenden, Doktoranden und Professoren. »Das ist unsere Stärke. Ich kenne keine andere Gruppe, bei der das gesamte Spektrum der Universität auf diese Weise abgebildet wird«, sagt Hermann Schumacher. Mitmachen kann jeder, der will. Klar, Männer und Frauen, die bereits Erfahrungen im Rettungswesen haben, werden natürlich sehr gerne genommen. Doch willkommen ist jeder, der sich ernsthaft engagieren möchte.

Notfallmeldung – so ist es richtig!

Ein Mitarbeiter erleidet einen Herzinfarkt. Eine Kollegin verbrüht sich bei einem Unfall im Labor. Ein Student stürzt auf der Treppe. Es kann so schnell gehen. Doch wie geht der richtige Notruf? Wichtig zu wissen: Die Notrufnummer 112 funktioniert ohne Vorwahl und von allen Uni-Telefonen aus. Ist es etwas passiert, sollte man als erstes das Gebäude, den Festpunkt/Quartier und die Raumnummer angeben und die Notfallsituation schildern. Zudem ist es für die Leitstelle wichtig zu wissen, wie viele Personen verletzt sind, damit genügend Rettungsmittel disponiert werden können. Und: Auf Rückfragen warten. Das Gespräch wird immer von der Rettungsleitstelle beendet. So lange am Telefon bleiben.

Was tun bei Krampfanfällen?

Für neue Mitglieder gilt: Wer nicht schon in einer Blaulichtorganisation gearbeitet hat, bekommt erst einmal eine Grundausbildung und kann dann seine theoretischen Kenntnisse und praktischen Fertigkeiten nach und nach vertiefen. Denn seit es die Gruppe gibt, werden auch regelmäßige Fort- und Weiterbildungen angeboten. Diese finden alle zwei Monate statt. Themen sind unter anderem »Krampfanfälle. Was können wir tun?«, »Insektenstichallergien«, »Chemieunfälle«, »Schädel-Hirn-Traumata«, »Akutes Koronarsyndrom, Herzinfarkt« oder »Diabetes und Notfälle des Zuckerstoffwechsels«. Immer wiederkehrend - mindestens einmal im Jahr - und enorm wichtig ist das Üben der Herz-Lungen-Wiederbelebung, ohne und mit Hilfsmittel, sprich Beatmungsbeutel und Defibrillator. Zudem treffen sich die engagierten Notfallhelferinnen und Notfallhelfer turnusgemäß zu Einsatznachbesprechungen und Rucksackkontrollen.

Auch das kann Leben retten. Denn der bis zu 13 Kilogramm schwere und unentbehrliche Notfallrucksack mit Sauerstoff und dem vier Kilogramm schweren halbautomatischen, externen Defibrillator darf bei keinem Einsatz fehlen. Im Notfallrucksack befinden sich unter anderem ein Blutdruckmessgerät, eine Pupillenlampe, Beatmungsbeutel und Guedel-Tuben, die bei Bewusstlosen das Zurückfallen der Zunge in den Rachenraum verhindern. Mit dabei haben die Helfer auch eine Halswirbelstützkrause für Sturzopfer, flexible Schienen zum Fixieren von Brüchen sowie ein Tourniquet. Mit diesem Abbindesystem kann der Blutfluss in den Arterien vollständig unterbrochen werden. Denn Blut fließt eben schnell. Gerade deshalb ist es wichtig, dass man rasch vor Ort ist und gezielt helfen kann. Dank der Notfallhelfergruppe stehen die Chancen in der Universität Ulm dafür sehr gut. Egal, wann ein Unglück passiert und vor allem egal wo.

 

Notfallhelfer betreuen eine Schauspielpatientin bei einer Einsatzübung. Dr. Jürgen Mähnß und Markus Prokein ermitteln Sauerstoffsättigung, Puls und Blutdruck

Text: Stefan Löffler
Fotos: VB-BW Amt Ulm, Andrea Weber-Tuckermann