Brennstoffzellen für Straße, Schiene oder Luftfahrt

ZSW-Forschungsfabrik macht Unternehmen fit für die Wasserstoff-Revolution

Auch wenn es lange nicht danach aussah: Grüner Wasserstoff ist der Energieträger der Zukunft. In absehbarer Zeit werden LKW, Züge oder sogar Flugzeuge mit klimafreundlichen Brennstoffzellen angetrieben. In der Ulmer Wissenschaftsstadt sollen diese Energiewandler schon bald fit für die Massenproduktion gemacht werden: Hier baut das Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung (ZSW) Baden-Württemberg die Modellfabrik HyFaB. Neben der seriennahen Herstellung und Optimierung von PEM-Brennstoffzellenstacks sollen hier Fachkräfte für die Automobil- und Zulieferindustrie qualifiziert werden.

In Zeiten von explodierenden Strompreisen und Gasmangel avanciert Wasserstoff (H2) zum Superstar der Energiewende. Als Speicher kann der Energieträger in Solar- oder Windparks gewonnenen Strom vorhalten; und in der Brennstoffzelle schafft es H2 zunehmend auf die Straße und Schiene. Mit grünem Wasserstoff betriebene Fahrzeuge gehören nämlich selbst im Schwerlastverkehr zu den klimafreundlichsten Fortbewegungsmitteln.

Das Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung trägt den umweltschonenden Energiespeicher seit jeher im Namen – und ist aktuell gefragt wie nie. Ende August haben mit Winfried Kretschmann und Markus Söder gleich zwei Ministerpräsidenten das An-Institut der Universität Ulm besucht. Ihr Hauptinteresse galt der Forschungsfabrik HyFaB: Inmitten der Wissenschaftsstadt soll die Brennstoffzellenfertigung massentauglich werden. »Unsere Modellfabrik wird insbesondere Kunden aus der Automobil- und Zulieferindustrie Orientierung beim Einstieg in die Brennstoffzellentechnologie geben. Das ZSW unterstützt bei der Entwicklung von Materialien, Komponenten und Fertigungsmaschinen, aber auch bei der Qualifizierung von Fachpersonal«, erklärt ZSW-Direktor Professor Markus Hölzle. Ab Mitte 2023 sollen 50 Teststände sowie eine komplette Brennstoffzellenfertigung für Aufträge und die eigene Forschung zur Verfügung stehen. Das ZSW-Qualitätslabor HyLaB, in dem die Reinheit von Wasserstoff geprüft wird, zieht ebenfalls in die Modellfabrik.

Ein Mann mit Mikrofon und zwei weitere Männer schauen interessiert auf ein Gerät
Prof. Markus Hölzle (rechts) führte die Ministerpräsidenten aus Baden­Württemberg und Bayern, Winfried Kretschmann und Markus Söder (v.l.), durchs ZSW
Wasserstoff brummt - und das sah vor fünf Jahren noch ganz anders aus

 

Insgesamt 80 Millionen Euro fließen voraussichtlich bis 2030 in das Projekt HyFaB. Die Modellfabrik an der Lise-Meitner-Straße wird inklusive Seminartrakt rund 3300 Quadratmeter umfassen; bei Aufbau und Betrieb unterstützen das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE sowie der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagebau (VDMA). »Wasserstoff brummt – und das sah vor fünf Jahren noch ganz anders aus. Auch dank der nationalen Wasserstoffstrategie und des European Green Deals sind Zeit und Technologie nun reif«, sagt Professor Markus Hölzle. In seinen Auftragsbüchern stehen bereits viele Schwergewichte der Nutzfahrzeug- und Zulieferindustrie – darunter Daimler Truck, Iveco oder Bosch.

Im Schwerlastverkehr stößt die Batterie an ihre Grenzen

Die Zeit drängt: Bis 2050 strebt die Europäische Union Klimaneutralität an – und somit auch eine CO₂-freie Mobilität. Batterien werden sich zweifellos als Antrieb von Privat-PKW und kleineren Lieferfahrzeugen durchsetzen, doch im Schwerlastverkehr stoßen sie schnell an ihre Grenzen. Denn tonnenschwere Lastwagen müssen nicht selten bis zu zwei Millionen Kilometer Laufleistung bewältigen – und dieser Herausforderung ist der Wasserstoff-Antrieb am ehesten gewachsen.

In der Ulmer Forschungsfabrik HyFaB müssen solche Brennstoffzellen künftig Belastungstests bestehen: Über viele Monate wird am Prüfstand ein LKW-Leben simuliert – inklusive Beladung, Autobahn-Fahrten und Betankung. Dazu kommen Schadstoffuntersuchungen und Tests neuer Komponenten. Für derartige Langzeitstudien haben Automobil- und Nutzfahrzeughersteller oftmals keine Kapazitäten, weshalb so gut wie alle führenden Unternehmen auf die knapp 30-jährige Erfahrung des ZSW vertrauen. Ein Beispiel ist cellcentric aus Kirchheim unter Teck, ein Joint-Venture zwischen Daimler Truck und der Volvo Group, das Brennstoffzellenantriebssysteme für LKW entwickelt: »Um die ehrgeizigen CO2-Reduktionsziele der EU für schwere Nutzfahrzeuge zu erreichen, planen wir in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts den Aufbau einer der größten europäischen Serienproduktionen für Brennstoffzellen.

Die konstruktive Zusammenarbeit mit dem ZSW liefert bei diesem ambitionierten Vorhaben einen wertvollen Beitrag. cellcentric lässt seit vielen Jahren Brennstoffzellen am ZSW testen. Die zuverlässige Testung, die hohe technische Kompetenz der Mitarbeitenden und natürlich auch die räumliche Nähe ermöglichen ein effektives und zielgerichtetes Arbeiten. Mit der neuen HyFaB-Testhalle hat das ZSW einen weiteren großen Sprung nach vorne gemacht«, sagt Professor Christian Mohrdieck, CCO bei cellcentric und Honorarprofessor an der Universität Ulm.

Frau testet Brennstoffzellen
Brennstoffzellen­-Testung

ZSW-Chef Hölzle erinnert sich noch gut: Bis vor wenigen Jahren galt die Wasserstoff-Mobilität als teuer und aufwändig. Doch wie bei Batterien für E-Autos ist zu erwarten, dass Brennstoffzellen immer leistungsfähiger und günstiger werden – dank optimierter Materialien, Prozesse und nicht zuletzt der Ulmer Forschungsfabrik. Zudem hängt die Verfügbarkeit von grünem Wasserstoff selbstverständlich mit dem Ausbau erneuerbarer Energien zusammen, die für seine Produktion notwendig sind.

Für die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am ZSW ergeben sich in Zukunft neue Fragestellungen, etwa zur Alterung von Brennstoffzellenstacks – das ist ein »Stapel« verbundener Brennstoffzellen.

Bei ihren Belastungstests, Simulationen und Modellierungen haben die Forschenden natürlich nicht nur Lastwagen im Blick. Auch Züge, Schiffe und Flugzeuge können klimafreundlich mit Brennstoffzellen angetrieben werden. Zudem sehen sie das große Potenzial von Wasserstoff als Zwischenspeicher von erneuerbaren Energien. Mittlerweile bringt sich das ZSW sogar in den Sonderforschungsbereich (SFB) der Universität Ulm »Cata-Light« zur Erzeugung von grünem Wasserstoff ein. Künftig sind beispielsweise Tests der im SFB entwickelten Katalysatoren in der Forschungsfabrik denkbar.

»Grüner Wasserstoff ist ein global einsetzbarer, CO2-neutraler Energieträger. Wenn wir seine Speicherkapazität ausnutzen und Brennstoffzellen-Antriebe etablieren, ist ein großes Stück der Energiewende geschafft. Dann braucht die Menschheit aus jetziger Sicht keine weiteren Speicher mehr«, resümiert ZSW-Direktor Markus Hölzle.

Der Spatenstich für die neue Brennstoffzellen-Testhalle der Forschungsfabrik HyFaB erfolgte Anfang 2021: Jetzt sind die ersten Teststände in der Halle betriebsbereit – einige davon in der Leistungsklasse bis 150 Kilowatt. Die Industrieplattform des ZSW wird der Nutzfahrzeug-/Automobilindustrie, Zulieferern sowie dem Maschinen- und Anlagenbau offenstehen – vom mittelständischen Unternehmen bis zum global agierenden Konzern. Seit Februar 2022 entsteht mit dem zweiten Bauabschnitt ein Neubau zur Erforschung der industriellen Fertigung von Brennstoffzellenstacks. Die Angebote umfassen automatisierte Fertigungstests und die Entwicklung von Qualitätssicherungsverfahren, Fabrikabnahmetests sowie Inbetriebnahmen von Brennstoffzellen. Ausgangspunkt für die technologische Weiterentwicklung ist oftmals ein mit dem Partner EKPO Fuel Cell Technologies entwickelter, herstellerunabhängiger Brennstoffzellenstack. Das bundesweit einzigartige Projekt des ZSW in Ulm, des Fraunhofer-Instituts ISE und des VDMA wird vom Land Baden-Württemberg sowie vom Bundesministerium für Digitales und Verkehr unterstützt. Das Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (Ulm, Stuttgart) betreibt schon heute das größte Brennstoffzellen-Testfeld Europas und hat 2021 eine neue Testhalle mit 3000 Quadratmetern eröffnet. Am Standort Ulm sind mehr als 200 Forschende sowie Expertinnen und Experten aus Ingenieurwesen und Technik beschäftigt.

Sicht auf die Baustelle eines Neubaus

Ammoniak als Wasserstoff-Vektor

Integrierte Reaktortechnologie für die Energiewende

Ammoniak aus grünem Wasserstoff hat das Potenzial, einen wesentlichen Beitrag zur Energiewende zu leisten. Im Projekt PICASO erarbeiten Forschende des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme ISE, der Universität Ulm und des Fukushima Renewable Energy Research Institute (FREA-AIST) einen neuen Prozess für die nachhaltige Ammoniaksynthese. Dieser Power-to-Ammonia- Prozess könnte den CO2-Verbrauch gegenüber dem konventionellen Verfahren um 95 Prozent senken. Das Projekt wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert.

Die nordafrikanische Wüste oder windreiche Küsten bieten optimale Bedingungen für die nachhaltige Ammoniakherstellung mit erneuerbaren Energien. Allerdings fehlt in solchen abgelegenen Regionen oftmals die notwendige Infrastruktur. Im Projekt PICASO wird nun eine integrierte Reaktortechnologie mit dynamischen Betriebsstrategien entwickelt, die den Betrieb mit fluktuierenden erneuerbaren Energien erlaubt. Somit sind keine großen und aufwändigen Anlagen mehr notwendig: Die Ammoniaksynthese aus grünem Wasserstoff und Stickstoff kann in wesentlich kleinerem Maßstab erfolgen. Für den Transport nach Europa, in der Regel per Schiff, wird der Energieträger verflüssigt. Am Zielort wird Ammoniak als chemischer Grundstoff, als Treibstoff oder für die stationäre Stromerzeugung eingesetzt. Aufgrund der hohen Reinheit des elektrolysebasierten grünen Wasserstoffs erlaubt der neue Power-to-Ammonia- Prozess den Einsatz von aktiveren Synthesekatalysatoren. Diese können im Gegensatz zum konventionellen Haber-Bosch-Verfahren bei niedrigerer Temperatur arbeiten, was die thermodynamisch erreichbare Ammoniakausbeute steigert. Dadurch wird der Betrieb bei niedrigeren Drücken und ohne Rückführung unverbrauchter Edukte möglich. Für das Projekt hat der japanische Partner FREA-AIST einen neuartigen Ruthenium-Katalysator entwickelt, der bereits im halbindustriellen Maßstab hergestellt werden kann. Um den Ertrag noch weiter zu steigern, untersuchen das Fraunhofer ISE und die Universität Ulm die integrierte Abtrennung von Ammoniak.

vier Speicher mit Druckmesser
Kohlenmonoxid Wasserstoff Wasserstoff Stickstoff

Während an der Universität Ulm der Labormaßstab im Fokus steht, werden am Fraunhofer ISE umfangreiche experimentelle Studien im Technikum durchgeführt. »Wir verknüpfen die experimentellen Erkenntnisse auf beiden Skalen durch detaillierte mathematische Modellierung und Simulation. Damit können wir bereits belastbare Vorhersagen zum Pilotmaßstab treffen und so die Implementierung des integrierten Reaktorkonzepts beschleunigen«, erklärt Professor Robert Güttel, Leiter des Instituts für Chemieingenieurwesen an der Uni Ulm. Neben der technischen Demonstration wollen die Partner auch nachweisen, dass der neue, flexible Power-to-Ammonia-Prozess wirtschaftlich mit dem konventionellen Verfahren konkurrieren kann. Eine simulative Analyse hat bereits ein Energieeinsparungspotenzial von 50 Prozent gegenüber dem Haber-Bosch-Prozess ergeben. Projektziel von PICASO ist eine industrielle Referenzanlage für die nachhaltige Ammoniakherstellung.

Text: Annika Bingmann
Fotos: ZSW, Duckek, Elvira Eberhardt