Gefährliche Anst vor dem Coronavirus

Studie der Uniklinik: Bei Herzinfarkt oft zu spät in Behandlung

Die Corona-Pandemie hat den Alltag vieler Menschen stark verändert. Doch nicht nur das Virus selbst, auch die Angst vor einer Ansteckung mit dem neuartigen Krankheitserreger hat schwerwiegende Folgen. Dies bestätigt eine aktuelle Studie des Universitätsklinikums Ulm.

Welche Auswirkungen hat die Coronavirus-Pandemie auf die Versorgung von Herzinfarkt-Patientinnen und -Patienten in der Region? Dieser Frage sind Experten der Klinik für Innere Medizin II in einer aktuellen Studie nachgegangen. „Die meisten Menschen denken im Moment bei Symptomen wie Luftnot und Brustschmerz zunächst an eine Coronavirus-Erkrankung und nicht an einen Herzinfarkt“, so Professor Wolfgang Rottbauer, Ärztlicher Direktor der Klinik für Herz- und Lungenerkrankungen des Universitätsklinikums Ulm. „Wir wissen, dass eine verzögerte Diagnostik und Behandlung eines Herzinfarktes Leben und Herzmuskel kostet – denn Zeit ist Muskel“, so Rottbauer weiter. Die Effekte der Coronavirus-Pandemie auf die Herzinfarktversorgung seien deshalb über die Chest Pain Unit (CPU) analysiert worden. Die CPU ist auf die notfallmäßige Behandlung von Herzpatientinnen und -patienten spezialisiert.

Ein Team um den Oberarzt Professor Armin Imhof hat für die Studie alle Daten von Patientinnen und Patienten untersucht, die zwischen dem 21. März und dem 20. April dieses Jahres notfallmäßig über die CPU aufgenommen wurden. „Im Vergleich mit den vergangenen Jahren waren die Herzinfarkte im gleichen Zeitraum größer. Es traten häufiger schwere Komplikationen auf, wie beispielsweise Defekte der Herzscheidewand, die auch häufiger den Einsatz von Herz-Lungenmaschinen notwendig machten“, berichtet der Erstautor der Studie Dr. Manuel Rattka. Diese Art der Komplikationen beobachte man seit Einführung der Chest Pain Units und durch Patientenaufklärung sonst nur noch sehr selten.

Die Untersuchung zeigt insgesamt, dass Betroffene später medizinische Hilfe gesucht haben als in den beiden Jahren zuvor. „Wir haben die Laborwerte unserer Patientinnen und Patienten mit den Werten der letzten drei Jahre verglichen und festgestellt, dass die kritischen Werte während des Untersuchungszeitraums deutlich höher waren. Diese Erhöhung deutet darauf hin, dass zwischen den ersten Symptomen akuter Herz-Kreislauf-Probleme und der ersten medizinischen Untersuchung eine längere Zeit vergangen ist als üblich“, sagen Professor Imhof und Oberarzt PD Dr. Sinisa Markovic, Leiter der Chest Pain Unit sowie Mitautor der Studie.

Neben der Versorgung in der CPU haben die Herzspezialisten auch die generelle Anzahl der Akutaufnahmen an der Klinik für Innere Medizin II analysiert. Dafür untersuchten sie im gleichen Zeitraum, ob sich die Zahl der Personen, die aufgrund akuter Herz-Kreislauf-Probleme in der Klinik für Innere Medizin II aufgenommen wurden, im Vergleich zu den Vorjahren verändert hat. Die Ergebnisse bestätigen, was viele schon vermuteten: „Verglichen mit den Jahren 2017 bis 2019 hatten wir im untersuchten Zeitraum rund 20 Prozent weniger Aufnahmen wegen akuter Herz-Kreislauf-Probleme“, erklärt Studienleiter Imhof. „Dies liegt wohl nicht daran, dass plötzlich weniger Menschen an diesen Symptomen leiden, sondern – so vermuten wir – vielmehr an der Angst vieler, sich in einer Klinik mit dem Coronavirus anzustecken.“

Modell eines menschlichen Herzens

Hinzukommen könnte, dass einige Patientinnen und Patienten nicht zur Überlastung des Gesundheitssystems beitragen wollten beziehungsweise ihre Symptome selbst als nicht kritisch einschätzten. Besonders in den ersten 15 Tagen der Kontaktbeschränkungen seien die Patientenaufnahmen deutlich zurückgegangen. „Dieser Rückgang ist besorgniserregend, denn bei vielen Krankheitsbildern, die wir in unserer Klinik behandeln, zählt jede Sekunde. Wenn Menschen, die akute Symptome verspüren, nicht rechtzeitig in eine Klinik kommen, kann das tödliche Folgen haben“, sagt Professor Imhof.

Text: Vivian Bux

Fotos: Colourbox, Uniklinik Ulm

KI im Kampf gegen Corona - Automatisierte Röntgenbild-Analyse für die Diagnostik von Covid-19

Ein Notfallpatient mit Verdacht auf eine Coronavirus-Infektion trifft in einer Klinik ein. Für den weiteren Behandlungsverlauf ist die Einschätzung essentiell, ob es sich tatsächlich um eine Covid-19-Infektion handelt. Dabei könnte in Zukunft Künstliche Intelligenz (KI) eine wesentliche Rolle spielen.

Mitarbeiter der THU und Uniklinik Ulm
Im Kampf gegen das Coronavirus arbeiten THU und Uniklinik Ulm eng zusammen: (v.l.) Doktorand Andreas Hinteregger (UKU), Facharzt Dr. Christopher Kloth (UKU), Prof. Dr. Meinrad Beer, Ärztlicher Direktor der Klinik für Diagnostische und Interventionelle Radiologie (UKU), Professor Dr. Reinhold von Schwerin (THU) und Doktorand Daniel Schaudt (THU)
Analyse einer Röntgenaufnahme einer Lunge
Doktorand Daniel Schaudt und Facharzt Dr. Christopher Kloth (v.l.) analysieren eine Röntgenaufnahme einer Lunge

In einem gemeinsamen Projekt erforschen Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen des Universitätsklinikums Ulm und der Technischen Hochschule Ulm (THU), inwiefern sich mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz und Röntgenaufnahmen der Lunge Aussagen über eine vorliegende Coronavirus-Infektion treffen lassen. „Unser Ziel ist es, die Künstliche Intelligenz so zu trainieren, dass sie feststellen kann, ob die Patientin oder der Patient an einer Lungeninfektion leidet, ob es sich dabei um Covid-19 handelt und falls ja, wie schwer die Infektion ist und welcher Teil der Lunge befallen ist“, erklärt Professor Meinrad Beer, Ärztlicher Direktor der Klinik für Diagnostische und Interventionelle Radiologie am Universitätsklinikum Ulm. „Röntgenaufnahmen bieten bei der Versorgung von Lungeninfektionen wie Covid-19 große Vorteile. Sie sind schneller als die meisten anderen Verfahren, flexibel einsetzbar und nur mit einer geringen Strahlenexposition verbunden“, so Studienleiter Professor Beer weiter.

Für die Auswertung der Röntgenaufnahmen trainieren Professor Reinhold von Schwerin und der Doktorand Daniel Schaudt von der THU eine Künstliche Intelligenz (KI). Diese KI kann mithilfe eines besonderen Deep Learning Verfahrens – dem sogenannten Transfer Learning – bereits mit wenigen Trainingsdaten vielversprechende Ergebnisse liefern. Bei dieser Technik werden vortrainierte „tiefe“ Netze auf ein spezielles Problem adaptiert.

„Die stetig steigenden Möglichkeiten der KI-gestützten Bildanalyse sind auch auf Röntgenbilder anwendbar. Erste Versuche an der THU mittels Convolutional Neural Networks, einem speziellen, in der Bildanalyse häufig eingesetzten Deep Learning Verfahren, haben gezeigt, dass Künstliche Intelligenz eine erste Einschätzung über das Vorliegen einer Coronavirus-Erkrankung geben kann“, sagt Professor von Schwerin. Trainiert wird die KI in den nächsten Monaten mit anonymisierten Röntgenaufnahmen der Lunge von 1500  Patientinnen und Patienten aus der Klinik für Diagnostische und Interventionelle Radiologie. Bevor die KI mithilfe der Aufnahmen lernen kann, ist aber medizinisches Wissen gefragt. Die klinischen Informationen zu den Röntgenbildern sollen von Doktorand Andreas Hinteregger und Facharzt Dr. Christopher Kloth zusammengetragen werden. „Wir werden die Lungenkonturen und die Infiltrate, also die entzündlichen Veränderungen des Lungengewebes durch Covid-19, auf den Röntgenbildern einzeichnen, damit die Software daraus lernt und diese anschließend jeweils selbstständig erkennen kann“, erläutert Dr. Kloth.

Doktorand Daniel Schaudt beschäftigt sich bereits seit Ende 2019 mit dem Netzwerk, das nun zum Einsatz kommt. „Momentan prüfen wir, welche Möglichkeiten zur Strukturierung der Röntgenaufnahmen für das Training zielführend sind. Dazu zählt beispielsweise eine Analyse nach bestimmten Sektoren der Lunge. Wir hoffen so, den Infektionsherd einer Covid-19-bedingten Lungenentzündung genauer lokalisieren zu können“, erklärt der Informatiker. Mit ersten Ergebnissen rechnen die Wissenschaftler in den nächsten Monaten.

Text: Nina Schnürer

Fotos: Shutterstock, Uniklinik Ulm