Blick ins Batterielabor

Wie Ulmer Forschende nach den Speichermaterialien der Zukunft suchen

Am Helmholtz-Institut Ulm forschen Anja Lenzer und Dr. Vittorio Marangon zu innovativen Technologien für die elektrochemische Energiespeicherung. Die Doktorandin und der Postdoc aus der Arbeitsgruppe »Electrochemical Energy Storage Materials« von Professor Dominic Bresser suchen insbesondere nach organischen Stoffen, die sowohl nachhaltig als auch leistungsfähig sind. Wie machen sie das?  

Im weißen Laborkittel, mit Schutzbrille – die langen Haare sind zur Sicherheit zu einem Zopf gebunden – betritt Anja Lenzer das Labor mit den sogenannten Gloveboxen. Die luftgefüllten schwarzen Gummiarmlinge, die an großen gläsernen Kästen befestigt sind, ragen als Fremdkörper in den Laborraum. Handschuhkästen – so der deutsche Begriff – schließen einen Arbeitsbereich hermetisch ab und sorgen für eine definierte Atmosphäre. Da hier mit sauerstoff- und wasserempfindlichen Materialien hantiert wird, ist der Experimentalraum mit dem äußerst reaktionsträgen Edelgas Argon befüllt. Die 28-jährige Doktorandin greift nach den langen, gasdichten Butyl-Handschuhen und stülpt sie nach innen. Unter den Ärmlingen trägt die Wissenschaftlerin Labor- oder Baumwollhandschuhe und – um die Gloves auch außen vor Verunreinigungen zu schützen – zusätzlich noch ein Paar Laborhandschuhe darüber. »Man braucht etwas Übung, um damit arbeiten zu können, aber das geht gut mit Learning by Doing!«, sagt Anja Lenzer und lächelt. Geschickt steckt sie mit der Pinzette einen hellblauen Elektrodenprüfling in eine flache knopfgroße Metallumfassung. Jetzt sieht das kleine runde Gebilde aus wie eine herkömmliche Knopfzelle, und es hat auch die gleiche Aufgabe: Es speichert Strom. Wie gut sich dieser Batterieprototyp dafür eignet, muss sich in zahlreichen Tests allerdings noch zeigen.

Solche knopfzellenförmigen Prototypen spielen eine entscheidende Rolle im Exzellenzcluster POLiS (Post Lithium Storage). Der Forschungsverbund der Uni Ulm, des KIT und der Uni Gießen wurde im Rahmen der Exzellenzstrategie des Bundes und der Länder im Mai für eine zweite siebenjährige Förderperiode ausgewählt. Das Ziel des Clusters: die Entwicklung von elektrochemischen Energiespeichern (EES), die ohne problematische und kostspielige Rohstoffe wie Lithium auskommen, aber in puncto Energiedichte, Speicherkapazität und Ladedauer gut mithalten können. »Ein enormes Potential als umweltfreundlicher Batterierohstoff hat Natrium. Denn dieses ungefährliche und preisgünstige chemische Element ist auf der Erde nahezu unbegrenzt verfügbar – und das in großen Mengen – beispielsweise als Kochsalz oder als Salz im Meer«, erklärt Batterieforscher Professor Dominic Bresser.

Prof. Dominic Bresser
Prof. Dominic Bresser

Im Exzellenzcluster wird bereits zu ganz unterschiedlichen EES auf Natrium-Basis geforscht. Dazu gehören anorganische Natrium-Ionen-Batterien oder Natrium-Metall-Batterien sowie organische Natrium-Batterien. Zellen mit organischen Elektroden haben zwar eine geringere Energiedichte, brauchen dafür allerdings nur Elemente, die gut verfügbar und unproblematisch sind wie Kohlenstoff, Stickstoff und Sauerstoff, aber kein Nickel, Mangan oder Cobalt. Und sie haben einen weiteren großen Vorteil: »Als Ausgangsstoffe lassen sich Pflanzenmaterialien nutzen, und die Wiederverwertung ist einfacher und kostengünstiger, was die Zellen über den gesamten Lebenszyklus betrachtet viel nachhaltiger macht«, sagt Professor Bresser, der gemeinsam mit Professorin Birgit Esser vom Institut für Organische Chemie II und Neue Materialien unter anderem zu organischen Speichermaterialien forscht.

Anja Lenzer, die mit der frisch montierten Knopfzelle den Raum mit den Handschuhkästen verlassen hat, macht sich nun auf den Weg zur elektrochemischen Charakterisierung des Batterieprototypen. Viele gläserne Labortüren – versehen mit Sicherheitshinweisen und Warnaufklebern – werden dabei geöffnet und wieder geschlossen. Sie steht nun vor einem ofenartigen Gebilde aus Metall, dem Zyklisierer. In dieser klimatisierten Prüfkammer werden die Knopfzellen unter definierten Bedingungen über einen längeren Zeitraum immer wieder geladen und entladen. Der Batterie-Zelltester erfasst eine Vielzahl an elektrochemischen Parametern und erstellt dabei ein ganz spezielles Profil für die getestete Zelle. Es verrät, wie gut die Zelle Strom speichern kann und wie stark ihr dieses ständige Laden und Entladen zusetzt. Die Chemikerin, die bereits seit 2021 am Helmholtz-Institut Ulm forscht und dort auch ihre Masterarbeit gemacht hat, steckt dafür die Testzellen in eine speziell verkabelte Halterung aus Metall und schiebt die Kassetten fachweise in den Zyklisierer. Dann müssen über den angeschlossenen Computer nur noch die Testbedingungen konfiguriert beziehungsweise kontrolliert werden – und es kann losgehen! 

Neben ihr steht Dr. Vittorio Marangon, Postdoc in Bressers Arbeitsgruppe. Auch er ist gespannt auf das Ergebnis der elektrochemischen Charakterisierung. Der Italiener, der an der Universität Ferrara studiert und promoviert hat, ist seit Ende 2023 am HIU und arbeitet nun seit rund eineinhalb Jahren mit Anja Lenzer zusammen. Als Postdoc unterstützt er die Doktorandin bei der Konzeption und Planung von Experimenten. Während sich seine Kollegin für ihre Promotion insbesondere mit organischen Batterien befasst, interessiert sich Marangon auch für Speichermaterialen anorganischer Natur. 

Über einen Vorraum betritt der 30-jährige Chemiker den Trockenraum, in dem wasserempfindliche Materialien zu Proben verarbeitet werden können. Er vermischt bestimmte Aktivmaterialien mit einem Binder und leitfähigem Kohlenstoff. Durch ein kleines, fest verschlossenes Fenster zum Gang hin, das Tageslicht hereinlässt, kann man ihn dabei beobachten. »Diese pulverige Mischung wird zusammen mit einer Flüssigkeit zu einer homogenen Suspension aufbereitet, einem sogenannten Slurry, in dem die feinen Feststoffpartikel gleichmäßig verteilt sind«, erklärt Anja Lenzer die Szene. Die flüssige Verbindung wird dann als Beschichtung auf einem Stromabnehmer verteilt. Das Ganze wird getrocknet, zu einem runden, 12 mm großen Elektrodenrohling ausgestanzt und gewogen.

Um festzustellen, ob das Elektrodenmaterial korrekt synthetisiert wurde, wird der Elektrodenrohling physikochemisch charakterisiert. Dafür steht am HIU eine Vielzahl von Laborgerätschaften mit kryptischen Abkürzungen und unaussprechlichen Namen bereit. Eine dieser Apparaturen ist das XPS – ein Gerät zur Röntgenphotoelektronenspektroskopie. Mit seinem chromglänzenden Kopf, den schlauchartigen Fortsätzen und zylindrischen Anbauten wirkt es sehr futuristisch. »Das XPS untersucht die Zusammensetzung einer Probe. Es kann chemische Elemente identifizieren sowie Bindungsverhältnisse beziehungsweise Oxidationsstufen bestimmen«, erklärt Anja Lenzer. Mit dem Gerät lässt sich auch die Grenzschicht zwischen Elektrolyt und Elektrode, die sogenannte Solid-Electrolyte-Interphase (SEI) abtasten. »Das Ergebnis verrät uns einiges über elektrochemische Aktivitäten in der Zelle und hilft uns, die Prozesse in der Batterie besser zu verstehen«, ergänzt Marangon.

Eingesetzt wird das Gerät auch nach den Beladungstests für sogenannte Post Mortem-Analysen, bei denen untersucht wird, wie stark das Material beim elektrochemischen Leistungstest im Zyklisierer in Mitleidenschaft gezogen wurde. Hinzu kommen zahlreiche weitere Messsysteme, die über physikochemische Parameter wie Partikelgröße, Porentiefe, Kristallstruktur oder Oberflächenbeschaffenheit aufklären und wertvolle Hinweise liefern auf den Zustand und die Beschaffenheit der analysierten Elektroden. »Die Ergebnisse helfen uns, die elektrochemischen Eigenschaften und etwaige Alterungsmechanismen der Elektroden besser zu verstehen. Mit diesem Wissen können wir die eingesetzten Materialien weiter verbessern und beispielsweise die Lebensdauer der Batteriezellen steigern«, erklären die Forschenden.

So hat das Team herausgefunden, dass organische Materialien sehr flexibel eingesetzt werden können für die Synthese von elektrochemischen Speichermaterialien. Entsprechend vielseitig lassen sie sich in Batterien verwenden. Geplant sind nun weitere Tests der Materialien in organischen Kalium-Batterien. »Außerdem konnten wir zeigen, dass das Material über 1000 Zyklen geladen und entladen werden konnte, wobei nur rund fünf Prozent der Speicherkapazität verloren ging!«, berichtet Anja Lenzer stolz. Der Weg, den die Ulmer Forschenden auf ihrer Suche nach den Batterien der Zukunft eingeschlagen haben, ist also sehr vielversprechend.

Eine Knopfzelle im Halter

Text: Andrea Weber-Tuckermann
Fotos: Elvira Eberhardt, Amadeus Bramsiepe / HIU