»Wir wollen das weltführende Forschungszentrum im Post-Lithium-Bereich werden«

Geschafft! Der Batterieforschungsverbund POLiS (Post Lithium Storage), der Alternativen zu Lithium-Ionen-Batterien untersucht, wird weiterhin als Exzellenzcluster gefördert: mit rund 52 Millionen Euro über sieben Jahre. Neue Cluster-Sprecherin der antragstellenden Universität Ulm ist Professorin Birgit Esser, Leiterin des Instituts für Organische Chemie II und Neue Materialien. Im Interview spricht sie über die ambitionierten Ziele von POLiS II, die Wichtigkeit von Nachhaltigkeit und den heißesten Kandidaten für lithiumfreie Batterien. 

Frau Professorin Esser, wie ging es Ihnen, als die Nachricht von der Verlängerung Sie erreicht hat? 
»Da war die Freude natürlich riesengroß – und die Erleichterung auch. Wir haben vor über drei Jahren angefangen, uns über den Antrag Gedanken zu machen. Dank der Gutachten wissen wir inzwischen, dass der Fortsetzungantrag für den Cluster sehr gut bewertet wurde. Wir freuen uns wahnsinnig, dass sich unsere Arbeit gelohnt hat.«

Was macht POLiS so erfolgreich?
»Als allererstes die exzellenten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die mit Herzblut forschen. Aber sicher auch die Thematik: Das Post-Lithium Thema ist für die Gesellschaft sehr relevant, und es gibt noch viel Neuland. Man kann grundlegende Dinge untersuchen und viele wissenschaftliche Erkenntnisse gewinnen. Auch die Vielfalt der Chemie und die Interdisziplinarität – von der Theoretischen Chemie bis zu den Ingenieurwissenschaften – ist ein Erfolgsfaktor. Diese Ergebnisse kann man nur durch Kooperation erreichen. Das Team ist prima zusammengewachsen – das motiviert jede einzelne Person.«

Das Team ist prima zusammengewachsen – das motiviert jede einzelne Person

Was ermöglicht die Förderung im Exzellenzcluster, was sonst nicht realisierbar wäre? 
»Nur dank der Förderung können wir in diesem Ausmaß weiterforschen. Auch die strategische Kollaboration der Standorte wird gestärkt – neben dem Karlsruher Institut für Technologie (KIT) haben wir jetzt mit der Universität Gießen eine weitere starke Partnerin. Die Öffentlichkeitsarbeit ist ein wichtiger Aspekt, wie der sehr erfolgreiche Podcast »Geladen«. Dank des Clusters können nun weitere Generationen von Promovierenden und Postdocs an der spannenden Thematik forschen. Zudem haben sie Möglichkeiten, die es außerhalb des Clusters gar nicht gibt.

Was sind das für Möglichkeiten? 
»Im Cluster geht es ja nicht nur um Forschung, sondern auch um die Ausbildung der Promovierenden. Durch unsere Graduiertenschule EES (Electrochemical Energy Storage) gibt es sehr attraktive Programme, zum Beispiel Auslandsaufenthalte. Das ist ein Alleinstellungsmerkmal, das die Promovierenden sehr schätzen. Die Graduiertenschule wollen wir in eine Academy erweitern, die für alle Karrierestufen offen ist, vom Postdoc bis zur Nachwuchswissenschaftler*in.«

Prof. Birgit Esser

Sie arbeiten im Verbund mit dem KIT und der Uni Gießen. Was sind die jeweiligen Schwerpunkte? 
»In Ulm liegen unsere Stärken in den organischen Materialien, in der Elektrochemie und in der Theoretischen Chemie. Außerdem haben wir die Materialbeschleunigungsplattform in einer Shared Facility in der Lise-Meitner-Straße. Karlsruhe fokussiert sich auf die anorganischen Materialien, außerdem auf den Datenbereich sowie auf die großformatige Zellproduktion im Ingenieursbereich. Gießen ist sehr stark in komplexen Grenzflächenuntersuchungen, aber auch in der Festkörperionik, also elektrisch und ionisch leitenden Feststoffen. Das ergänzt sich alles sehr gut.«

Welche Forschungsziele haben Sie sich für die kommenden Jahre gesetzt?
»Wir haben jetzt die Vollzelle im Fokus. Für POLiS II haben wir uns das ambitionierte Ziel gesetzt, am Ende für jedes ShuttleIon ein Konzept für eine Vollzelle zu haben. Und wir haben sechs wissenschaftliche und drei strukturelle Ziele (siehe Infokasten).«

Warum dieser Fokus auf die Vollzelle und den Wechselwirkungen zwischen den Batteriekomponenten?
»In der Batterie gibt es zwei Teilchen, die wandern: die Elektronen und die Ionen, die man zum Ladungsausgleich braucht. Der limitierende Faktor ist in der Regel nicht die Elektronen-, sondern die Ionen-Beweglichkeit. Wie sich das Ion durch die verschiedenen Stationen wie Anode, Grenzfläche oder Elektrolyt bewegt, ist der Knackpunkt in der Batterie – deshalb ist es der Protagonist unserer Forschung. Wir wollen die Herausforderungen jeder Station durch neuartige Ansätze lösen.«

Der Exzellenzcluster untersucht eine Vielzahl unterschiedlichster Shuttle-Ionen und Materialien, sowohl organische als auch anorganische, Stoffe aus der Festkörperchemie sowie Flüssigkeiten. Warum ist das so einzigartig?
»Wir sind das einzige Konsortium weltweit, das nicht nur ein Shuttle-Ion, sondern eine große Vielfalt in Augenschein nimmt. Auch die Möglichkeit, chemische Trends vorherzusagen, ist in diesem Bereich einzigartig.«

Wie muss man sich die POLiS-Forschung ganz praktisch vorstellen?
»Da gibt es viele unterschiedliche Bereiche: Die Forschenden, die neue Materialien entwickeln, synthetisieren im Labor neue Elektrodenmaterialien. Dann untersuchen sie, ob diese in der Batteriezelle funktionieren. Andere Wissenschaftler*innen wenden analytische Techniken an. Sie untersuchen zum Beispiel Grenzflächen zwischen Elektrode und Elektrolyt und analysieren den Weg des Ions. Theoretiker*innen berechnen und modellieren Vorhersagen, etwa, ob ein Ion eine gute Leitfähigkeit hat. Ingenieur*innen bauen große Zellen zusammen und untersuchen Sicherheitsaspekte. Und natürlich arbeiten wir dabei alle zusammen.«

Welche Rolle spielen KI und Digitalisierung? 
»Daten sind ein großes Thema für uns und ein eigener Forschungsbereich. In einem so großen Cluster werden wahnsinnig viele experimentelle und theoretische Daten produziert. Diese wollen wir auswerten und nutzen, um noch schnellere Vorhersagen zu bekommen und die Materialentwicklung zu beschleunigen. Dafür wird auch KI genutzt.«

Sie selbst forschen an organischen Elektrodenmaterialien und multivalenten Batterien. Welche Vorteile bieten diese gegenüber Lithium-Ionen-Technologien?
»Die organischen Materialien sind unsere Hoffnungsträger für multivalente Zellen. Bislang hat man keine anorganischen Elektrodenmaterialien gefunden, die sich für multivalente (also mehrfach geladene) Ionen mit ihrer hohen Ladungsdichte und langsamen Bewegung eignen. Organische Materialien sind dafür optimal, weil ihre Strukturen sozusagen ›unordentlicher‹ gepackt sind und sich multivalente Ionen darin besser bewegen können. Das ist vor allem interessant, wenn eine hohe Energiedichte nicht das einzige Ziel ist, zum Beispiel bei stationären Speichern, die kostengünstig sein und sich leicht recyclen lassen sollen.«

 

Anlass zum Jubeln: Prof. Birgit Esser, Uni-Präsident Prof. Michael Weber und Gäste des Langen Abends der Wissenschaft freuen sich über die Weiterförderung von POLiS

Nachhaltigkeit ist eines der großen Themen der zweiten Förderperiode. Wie arbeitet POLiS an umweltfreundlicheren Batterietechnologien?
»In POLiS I haben wir gemerkt, dass es nicht reicht, eine Zelle zu entwickeln und dann zu prüfen, wie nachhaltig sie ist. Man muss Nachhaltigkeit von Anfang an mitdenken: In der Verfügbarkeit, in der Materialauswahl und während des ganzen Prozesses, der ja auch sozioökonomische Aspekte hat. Und dann muss man gegebenenfalls Kandidaten von vornherein ausschließen.«

Welche Rolle spielt die Recyclingfähigkeit?
»Die ist neben den einzelnen Komponenten natürlich auch wichtig. Wenn die Batterie eine sehr lange Lebensdauer hat, darf das Recycling auch komplizierter sein, als wenn die Batterie nicht so lange lebt. Deshalb haben wir im Ingenieursbereich auch Projekte, die sich mit dem Recycling befassen.«

Was sind aktuell die vielversprechendsten Alternativen zu herkömmlichen Lithium-Ionen-Akkus?
»Der heißeste Kandidat ist sicherlich die Natrium-Ionen-Batterie. Allerdings haben wir sehr große Bedenken, was die Nachhaltigkeit der Elektrodenmaterialien der Batterien betrifft, die gerade kommerzialisiert werden. In POLiS II legen wir deshalb einen Fokus auf Nachhaltigkeit bei Natriumbatterien. Es gibt andere vielversprechende Kandidaten, wie die Kalium-Ionenbatterie, multivalente Batterien aus Magnesium oder Calcium, oder die anionischen Batterien. Bis zur Kommerzialisierung ist hier aber noch viel Forschung nötig.«

Viele POLiS-Forschende arbeiten außerhalb von POLiS auch an der Optimierung von Lithium-Ionen-Batterien. Was kann man hier noch rausholen?
»Eine Fragestellung ist: Wie schafft man es, dass solche Zellen möglichst lange halten, zum Beispiel durch Verbesserung von Beschichtungen? Wie kann man die Recyclingfähigkeit verbessern? Die Verbesserung der Nachhaltigkeit ist auch ein wichtiger Aspekt.«

Inwiefern gibt es eine Zusammenarbeit mit der Industrie?
»In POLiS betreiben wir ja eher Grundlagenforschung. Aber es gibt größere Projekte mit Industriepartnern, die an unsere Natrium-Ionen-Forschung angelehnt und eher angewandt sind. Das Start-up LiToNa (Lithium to Natrium), das jetzt hier auf dem Campus sitzt und sich auf Elektrodenmaterialien für Natrium-Ionen-Batterien spezialisiert hat, ist aus POLiS entstanden.«

Was glauben Sie: Wie werden wir in 15 Jahren Energie speichern?
»Unsere Vision ist, dass wir durch unsere Wissenschaft dazu beitragen, dass ein größerer Teil des Energiebedarfs durch Post-Lithium abgedeckt werden kann. Sicher nicht ausschließlich – die Lithium-Ionen-Technologie wird immer eine Rolle spielen. Aber wir hoffen, dass Post-Lithium einen signifikanten Anteil hat.«

 

POLiS II 

Wissenschaftliche Ziele

  • Chemische Trends identifizieren und den Weg des Ions durch die Zelle verfolgen
  • Innovative Materialkonzepte entwickeln – Vollzellen entwickeln, die in die Fertigung transferiert werden können
  • Im POLiS Data Hub Daten sammeln und nutzen
  • Materialbeschleunigungsplattform zur Zellbeschleunigungsplattform erweitern, um die Post-Lithium-Batterieforschung zu beschleunigen
  • Nachhaltigkeit im gesamten Entwicklungsprozess mitdenken

Strukturelle Ziele

  • Ein weltbekanntes Zentrum für Ausbildung und Training von Forschenden im Post-Lithium-Bereich werden
  • Ein Referenzlabor für Post-Lithium-Zellkonzepte zu etablieren, um vergleichbare und reproduzierbare Messungen vornehmen zu können
  • Das weltweit führende Batterieforschungszentrum im Post-Lithium-Bereich werden

Interview: Christine Liebhardt
Fotos: Elvira Eberhardt, Laila Tkotz