Auf Augenhöhe

Herbstakademie zur Energiewende lockt Interessierte in den Uni-Hörsaal

Die Idee ist mehr als drei Jahrzehnte alt und dennoch so unverbraucht wie am ersten Tag. Auch bei der diesjährigen Herbstakademie des Zentrums für Allgemeine Wissenschaftliche Weiterbildung (ZAWiW) trafen sich Wissenschaft und Bürgerschaft wieder zum Austausch. Zentrales Thema: die Energiewende.

Wir können von ihr nicht genug bekommen. Doch leider verbinden wir den Begriff Energie derzeit auch mit Krise, Überteuerung, Verknappung und ja, auch Krieg. Das Thema berührt und betrifft uns einfach alle – in Ulm, um Ulm und um Ulm herum. Neue Lösungen müssen gefunden werden. Längst ist die Frage »Wie gelingt die Energiewende?« auch bundesweit aus keiner wissenschaftlichen und auch gesellschaftlichen Diskussion mehr wegzudenken.

Wir wissen es alle: Unsere fossilen Energieressourcen sind knapp und endlich, regenerative Quellen sollten besser genutzt werden und der stetig steigende CO2-Ausstoß ist ganz einfach zu hoch. All diese Argumente treiben das Streben nach der Energiewende immer stärker voran. Gut so. Oder ist es schon zu spät? Doch: Wie kann die Wende gelingen und wie können wir das Ruder noch herumreißen, um unseren Kindern und Enkelkindern eine lebenswerte Welt zu hinterlassen – ohne Einbußen? Und: Welchen Beitrag kann die Universität Ulm mit dem Forschungsschwerpunkt Energiewandlung und -speicherung leisten? Darum ging es bei der diesjährigen Herbstakademie »Wie kalt ist warm genug?«, die Ende September auf dem Campus der Universität Ulm stattfand und 270 interessierte Bürgerinnen und Bürger anlockte – in den Hörsaal und auch online. Denn sowohl der als immer bedrohlicher wahrgenommenen Klimawandel als auch der militärische Angriff auf die Ukraine hat die Sicherung der Energieversorgung in ganz Europa mächtig ins Wanken gebracht. Auch aus diesem Grund waren alle vier Hauptvorträge der Herbstakademie geprägt durch Brisanz und Aktualität.

sitzende Frau mit Decker über der Schulter
Heizungsregler
Frau hält Vortrag
Dr. Barbara Breitschopf vom Fraunhofer-Institut

Dr. Barbara Breitschopf vom Fraunhofer-Institut für System und Innovationsforschung eröffnete mit dem Thema »Von erneuerbaren Energien zur Energiewende«. Weitere Vorträge drehten sich um Nachhaltigkeitsstrategien für einen maßvollen Umgang mit Energie oder um das Potenzial von Wasserstoff als Energieträger. Außerdem ging es schlichtweg um die »Faszination Energie«. Für Dr. Markus Marquard ist es sehr wichtig, dass die Ulmer Bürgerschaft der Wissenschaft immer wieder auf Augenhöhe begegnet. »Forschung im Elfenbeinturm, also ohne gesellschaftliche An- und Einbindung, ist auf verschiedenen Ebenen problematisch«, so der Geschäftsführer des Zentrums für Allgemeine Wissenschaftliche Weiterbildung (ZAWiW), das die Frühjahrs- und Herbstakademien seit über 30 Jahren an der Uni Ulm auf die Beine stellt: »Forschung hat immer auch eine gesellschaftliche Relevanz, denn diese ist oft mit Wertehaltungen verbunden, die sich der Forschungslogik selbst entziehen können.«

Auch der Transfer von Forschung und der Nutzen für die Gesellschaft müssen für Marquard in diesem Zusammenhang deutlich werden: »Schließlich ist es wichtig, dass in einer demokratischen Gesellschaft die Idee von Forschung und Wissenschaft kommuniziert wird – unter anderem auch um Verschwörungstheorien und Fake News entgegenzuwirken.« Als Kompaktformat mit Vorträgen und Diskussionen in Arbeitsgruppen sprechen die Akademiewochen insbesondere Menschen im »dritten Lebensalter« an. Willkommen sind aber alle Generationen.

 

Vier Windräder auf einem Feld, weitere im Hintergrund
Portrait von Frau
Brigitte Nguyen-Duong ist von Anfang an bei den Akademiewochen dabei. Sie studierte Französisch, Englisch und Spanisch, musste ihr Studium jedoch abbrechen, weil sie früh Mutter wurde. Mit 50 Jahren machte die heute 82-Jährige ihren Abschluss als dreisprachige Wirtschaftskorrespondentin. Sie ist sicher: »Unsere Zukunft hängt von den Erfolgen der Forschung ab.«

Für Brigitte Nguyen-Duong ist die Begegnung im Hörsaal, der Austausch zwischen Forschenden und Bürgerschaft auf Augenhöhe, eine wunderbare Gelegenheit, sich persönlich weiterzubilden. Die 82-jährige ehemalige Wirtschaftskorrespondentin ist vom ersten Tag an eine begeisterte Teilnehmerin der Akademiewochen: »Ich war dieses Jahr schon sehr gespannt auf die aktuellen Errungenschaften der Forschung zur Energiewende. Es war sehr interessant, von den neusten Entwicklungen aus den verschiedenen Fachbereichen zu erfahren.«

Ob Kernspaltung oder Kernfusion, die komplexen Prozesse von Energiegewinnung, -speicherung und -umwandlung, die Vor- und Nachteile von Solarenergie, Geothermie und auch Windkraft: Für Brigitte Nguyen-Duong war das keine allzu schwere Kost: »Man muss sich eben auf die Inhalte einlassen, die an der Universität gelehrt werden.« Für sie ist klar: »Unser zukünftiges Leben hängt von den Fortschritten der Wissenschaft ab.«

So sieht das auch Ulrich Soldner. Der langjährige Geschäftsführer des Stadtentwicklungsverbandes Ulm/Neu-Ulm, der in den 1980er-Jahren auch als persönlicher Referent von Oberbürgermeister Ernst Ludwig bei der Weichenstellung für die Wissenschaftsstadt beteiligt war, hatte schon immer ein besonderes Augenmerk auf die Forschung am Oberen Eselsberg: »Unserer Bürgerschaft muss bewusst sein, dass die hier hervorragend arbeitenden Forschungseinrichtungen keine Selbstverständlichkeit sind.«

Er war zum ersten Mal bei der Herbstakademie. Für ihn ein persönliches Muss: »Das Thema Energie betrifft im Moment ganz einfach jeden.« Für den 64-Jährigen waren die neuesten Entwicklungen rund um die Energiespeicherung die zentrale Botschaft der vier Programmtage: »Es geht im Grunde darum, die Energie dann zu nutzen, wenn man sie real benötigt.« Und dies sei ganz klar in der kalten Jahreszeit. Eben jetzt. Seine Lehren aus der Herbstakademie: »Ganz einfach. Wir müssen genügsamer sein.« Wer weiß, vielleicht können wir dann bald wieder nicht genug davon haben. Von der Faszination Energie.

Portrait von Mann (Ulrich Soldner)
Aktuell ist er in der Freistellungsphase, im kommenden Jahr beginnt der Ruhestand. Ulrich Soldner, langjähriger Leiter des Ulmer Liegenschaftsamts, hatte in diesem Jahr zum ersten Mal die Gelegenheit, die Angebote der Herbstakademie zu nutzen: »Das waren vier sehr interessante Vorträge, mit vier verschiedenen Zielrichtungen. Doch nur so ist Vielfältigkeit gewährleistet.«

Gesucht: Wasserstoff-Lotsen

Dr. Markus Marquard hofft auch mit dem Projekt »Hy-FIVE – Modellregion Grüner Wasserstoff Baden-Württemberg«, an dem das ZAWiW beteiligt ist, auf eine breite Resonanz in der Bevölkerung. Ziel des Projekts ist die Erprobung einer Wasserstoffwirtschaft sowohl im ländlichen als auch im städtischen Raum. Eine Modellregion ist Ulm.

Dabei konzentrieren sich die Aktivitäten auf vier Leuchtturmprojekte, die die gesamte Wertschöpfungskette von der Erzeugung bis hin zur Nutzung in Industrie, Verkehr und Quartierslösungen abbildet. »Das Thema Transfer zwischen Wissenschaft und Gesellschaft gewinnt zunehmend an Bedeutung. Dazu gehören Ausgründungen von Start-ups aus Universitäten und Hochschulen sowie der Technologietransfer in Unternehmen – aber eben auch die Bürgerwissenschaften«, so Marquard. Zudem sollen ehrenamtliche »Wasserstoff-Lotsinnen und -Lotsen« qualifiziert werden, um künftige Entwicklungen gemeinsam mit Interessierten zu begleiten.

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Text: Stefan Löffler

Fotos: Elvira Eberhardt, Adobe Stock, Pixabay