Peter Dadam und Manfred Reichert über Prozessmanagement

Universität Ulm

Südwest Presse Ulm/Neu-Ulm

Prof. Peter Dadam und Prof. Manfred Reichert von der Uni Ulm gehören zur internationalen Speerspitze, was Forschung und Entwicklung flexibler und robuster Systeme für das Prozessmanagement angeht.

In manchen Instituten ist es vereinfacht, aber sehr anschaulich gesagt, in etwa so: Professor A. forscht über Bananen, sein Kollege Professor B. über Maikäfer im Rückenflug. Ein schönes Beispiel – nicht nur wegen des Maikäfers.

Prof. Peter Dadam

Prof. Manfred Reichert

Peter Dadam, seines Zeichens Leiter des Instituts für Datenbanken und Informationssysteme an der Uni Ulm, und sein Kollege Manfred Reichert, vertreten den anderen Ansatz: Sie halten nichts davon, an unterschiedlichen Themen zu forschen; beider Fokus liegt auf dem Prozessmanagement. Mit dem Ergebnis, dass das Institut seit Jahren zu den führenden auf diesem Gebiet zählt. In aller Bescheidenheit, „wir gehören zu den Top Fünf auf der Welt“, sagt Prof. Reichert (44), ein Ulmer Eigengewächs. Geboren in Ulm, studiert und promoviert in Ulm und mit einer Unterbrechung von drei Jahren, als er an der Uni Twente forschte und lehrte, seit 1992 am Institut tätig. Prof. Peter Dadam (60) ist seit 1990 an der Uni Ulm und hat das Institut aufgebaut. Die beiden Wissenschaftler kennen sich aus dem Effeff, „jeder weiß, wie der andere tickt“, sagt Reichert.

Prozessmanagement, was ist das überhaupt? Am besten lässt es sich, etwas überspitzt formuliert, so erklären: In vielen Unternehmen fehlt ein Prozessmanagement. Es wird gewurstelt, die einzelnen betrieblichen Abläufe sind zwar in den Köpfen der Mitarbeiter verankert, „aber der gesamte Arbeitsprozess läuft nicht optimal“.
Beispiel Klinik: Der Patient kommt in die Aufnahme, der Radiologe röntgt, dann sind die Internisten an der Reihe. Vielleicht dürfen noch ein paar weitere Spezialisten ran. Jede Abteilung aber hat ihr eigenes System, verwaltet Daten auf eine andere Art. Ob Laborwerte, Röntgenbilder oder bisherige Behandlung, eine Flut an Informationen entsteht, kanalisiert wird sie nicht. Im Gegenteil: „Informationsinseln“ (Reichert) sind oft das Resultat, und sie vermitteln dem Patienten den Eindruck, dass die rechte Hand nicht weiß, was die linke tut. Dass der eine das Medikamente verordnet, das der andere gerade abgesetzt hat; dass Behandlungstermine nicht aufeinander abgestimmt sind und dass nur eines pünktlich hereingeschoben wird: das Mittagessen.

1992 hatten Dadam und Reichert innerhalb eines Forschungsprojekts mit der Uni-Klinik damit begonnen, der Datenflut Herr zu werden. Die klinische Realität als Herausforderung oder wie Reichert sagt: die richtigen Informationen zur richtigen Zeit am richtigen Ort zur Verfügung zu stellen. So lautete die Herausforderung, „das wäre ein dramatischer Schritt nach vorne“. Aber lässt sich in einem Krankenhaus ein System implementieren, das für alle Eventualitäten gewappnet ist? Ein System, das drei Anforderungen erfüllt: Erstens soll es flexibel sein und den Anwender „nicht versklaven. Es muss möglich sein, bei Bedarf den laufenden Untersuchungs- oder Behandlungsprozess ad hoc zu verändern“, sagt Reichert. Zweitens soll es stabil sein, sprich: auch bei Eingriffen in den laufenden Prozess keine Programmabstürze verursachen. Und drittens soll es gut zu handhaben sein.

Experten aus der Industrie schüttelten die Köpfe; das, so der Tenor, ist nicht machbar, das kann nicht funktionieren. Vor dem Hintergrund der bislang existierenden, erschreckend leistungsschwachen Systeme mochte das zwar stimmen; Dadam, Reichert und Co. aber machten sich daran, die wirklich fundamentalen Probleme des Prozessmanagements zu lösen.  Und: Der dramatische Schritt nach vorne gelang, „weil wir nicht dem Trend hinterhergelaufen sind“, sagt Dadam. 70 bis 80 Personenjahre steckten er und sein Team in die Grundlagenforschung, die in mehreren Prototypen und einer kommerziellen Entwicklung mündete und die Experten Lügen strafte.

Das System, das 1998 und 2000 auf der Cebit präsentiert wurde, wurde komplex und komplexer, dabei ist es aber für den Benutzer einfach bedienbar und hochgradig flexibel. Einsetzbar nicht nur im Klinikalltag, sondern auch in der Automobilindustrie und im Katastrophenfall. So hat die TU Darmstadt auf der Basis des Ulmer Systems ein Notfallmanagement für Hochwasserereignisse entwickelt, also für Prozesse, die sich permanent ändern und hochkomplex sind. Kurz: Das System gilt als State of the Art, „wir heben uns deutlich ab von dem, was bislang auf dem Markt ist. Wir haben damit Maßstäbe gesetzt“, sagt Reichert.

Das beste Beispiel: Die Nachfrage nach dem Ulmer Prozessmanagement-System war derart groß, dass das Uni-Institut die Firma Arista Flow ausgegründet hat, die sich um Verkauf und Vertrieb kümmert. „Wir wollen ja nicht verkaufen, sondern forschen“, sagt Dadam. Der Reiz bestehe jetzt darin, das fertige Produkt immer weiter zu verfeinern, „wir kriegen ja laufend spannende Fälle aus der Praxis zurück“.

Oder anders ausgedrückt: An der nächsten Generation von Prozessmanagement-Systemen wird bereits gearbeitet.

 (Rudi Kübler, Südwest Presse)