Die Deutsche Forschungsgemeinschaft richtet ein neues Schwerpunktprogramm zum menschlichen Blickverhalten ein. Koordiniert wird das SPP „Blicke verstehen“ von Professorin Anke Huckauf von der Universität Ulm. Die Leiterin der Abteilung Allgemeine Psychologie forscht seit vielen Jahren auf dem Gebiet der Kognitions- und Wahrnehmungspsychologie. Eines ihrer Spezialgebiete ist die Blickbewegungsforschung. Das von Huckauf koordinierte Schwerpunktprogramm befasst sich mit der Entschlüsselung des Blickverhaltens von Menschen in kommunikativen Situationen.
Ein Blick sagt mehr als tausend Worte, lautet ein Sprichwort. Wieso dies so ist, untersucht die Blickbewegungsforschung. Während dafür zumeist isolierte Blickparameter einzelner Menschen vor einem Bildschirm erfasst werden, wurden Blick-Interaktionen zwischen mehreren Personen wissenschaftlich bislang noch kaum systematisch untersucht. „Der gegenseitige Austausch über Blickkontakt ist nicht nur für die Vertrauensbildung unerlässlich, sondern auch für die soziale Abstimmung und die Koordination von Handlungen. Außerdem wirkt sich das gleichzeitige Betrachten von Objekten ganz unbewusst auf die Gruppe selbst aus“, erklärt Professorin Anke Huckauf. Die experimentell arbeitende Psychologin von der Universität Ulm nutzt Erkenntnisse aus der Blickverfolgung auch für die soziale Interaktion im virtuellen Raum, beispielsweise für Videokonferenzen sowie für Augmented oder Virtual Reality-Plattformen. Dabei geht es um Fragen der Aufmerksamkeit und Wahrnehmung, aber auch um die sogenannten Signalfunktionen von Blicken. Was sagt uns ein Blick? Was lesen wir daraus? Was will uns unser Gegenüber damit zu verstehen geben?
Das Problem: Durch explizite und implizite Interaktionen verändert sich das natürliche Blickverhalten fortwährend. Und obwohl es Menschen in Bruchteilen einer Sekunde gelingt, die Bedeutung von Blicken richtig zu deuten, fällt es der Wissenschaft noch immer schwer, eindeutige Zusammenhänge herzustellen zwischen objektiv messbaren Blickparametern, emotionalem Ausdruck und signalisierter Bedeutung.
Psychische und soziale Kontexte des interaktiven Blickverhaltens
In dem neuen DFG-Schwerpunktprogramm „Blicke verstehen“ sollen nun drei wichtige Bereiche der Blickbewegungsforschung vertieft werden. Dabei geht es um das Verständnis des Ausdrucks von Blicken, um die Koordination von Blicken, sowie um Blick-Interaktionen in Situationen mit mehreren Personen, sogenannte Multi-User-Szenarien. Dazu gehören Fragen wie: Wann fühlen wir uns beobachtet? Welche Rolle spielen emotionale Konnotation und soziale Einbettung für die Bedeutung von Blicken? Welche psychischen und sozialen Effekte haben das gemeinsame Betrachten eines Gegenstandes oder der gegenseitige Blick aufeinander? Mit welchen Parametern lassen sich nonverbale Interaktionen charakterisieren? Ein besonderer Stellenwert hat dabei die kollektive Dynamik in Blickbeziehungen.
Größere Rechenkapazitäten und die Miniaturisierung der Hardware machen es nun möglich, Blickbeziehungen in Gruppen systematisch zu erfassen. Dabei kommen mobile Eyetracker zum Einsatz, die heute von herkömmlichen Brillen kaum noch zu unterscheiden sind. Die Forschenden im Feld profitieren außerdem von den Fortschritten in der Künstlichen Intelligenz, insbesondere beim Einsatz von Machine Learning-Methoden für die Auswertung und für die Erfassung der Blickdaten in Echtzeit.
„Es freut uns sehr, dass unsere eingereichte Initiative für das Schwerpunktprogramm zum menschlichen Blickverhalten erfolgreich war und wir die Koordination übernehmen dürfen. Das ist eine große Ehre und Auszeichnung“, sagt die Psychologieprofessorin Anke Huckauf. Entwickelt wurde der Ulmer Antrag zur Einrichtung dieses DFG SPP gemeinsam mit Professor Gernot Horstmann von der Universität Bielefeld und Professorin Enkelejda Kasneci von der TU München.
DFG Schwerpunktprogramme
In den sogenannten Schwerpunktprogrammen (SPP) der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) sollen nach Angaben der DFG Themen bearbeitet werden, von denen eine prägende Wirkung auf ein wissenschaftliches Feld zu erwarten ist; beispielsweise durch die Entdeckung neuer Forschungsgebiete oder die Bearbeitung bekannter Gebiete aus einer anderen Perspektive.
In den kommenden Monaten wird die DFG die insgesamt elf neu bewilligten Schwerpunktprogramme – darunter auch das von Ulm koordinierte Programm „Blicke verstehen“ – detailliert ausschreiben, damit interessierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler entsprechende Förderanträge stellen können. Insgesamt stehen den elf neuen Schwerpunktprogrammen 94 Millionen Euro für die nächsten drei Jahre zur Verfügung.
Weitere Informationen:
Prof. Dr. Anke Huckauf, Leiterin der Abteilung Allgemeine Psychologie, E-Mail: anke.huckauf(at)uni-ulm.de