Vom unbe­lehr­baren Hans zum for­schen­den Ler­nen im Ruhe­stand

25 Jahre ZAWiW: „Wir haben noch viel vor“

Das 25. Jubiläum des Zentrums für Allgemeine Wissenschaftliche Weiterbildung (ZAWiW) ist nicht selbstverständlich: Vielmehr musste die Gründerin und Pionierin der Alterspädagogik, Carmen Stadelhofer, bis zur ersten Akademiewoche viele Hürden überwinden. Doch schnell waren die Angebote für Menschen im dritten Lebensalter und davor an der Universität Ulm kaum mehr wegzudenken. Zum Vierteljahrhundert gratulierten treue Akademieteilnehmende und Wegbegleiter ebenso wie die Lokalprominenz.

„Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr.“ Hätte Carmen Stadelhofer dieser Binsenweisheit geglaubt, könnte das Zentrum für Allgemeine Wissenschaftliche Weiterbildung (ZAWiW) wohl nicht sein 25. Jubiläum feiern. Dabei kam die ZAWiW-Gründerin Stadelhofer keineswegs als ausgewiesene Alterspädagogin an die Universität Ulm. Gemeinsam mit Professor Klaus Giel sollte die Akademische Oberrätin ab 1984 das Seminar für Pädagogik als erste geisteswissenschaftliche Einrichtung der Universität aufbauen und Lehramtskandidaten ausbilden. „Wir waren im positiven Sinne aufmüpfig und fragten uns schnell, wie wir uns neben der Betreuung relativ weniger Lehramtsstudierender an der Uni Ulm einbringen können“, erinnert sich Carmen Stadelhofer.

Carmen Stadelhofer und Dr. Markus Marquard
Die alte und die neue ZAWiW-Spitze: Carmen Stadelhofer und Dr. Markus Marquard

Gemeinsam mit dem ehemaligen Rektor der Uni Ulm, Professor Helmut Baitsch, entwickelten sie „eine Vision von einer zeitgemäßen und sinnstiftenden wissenschaftlichen Weiterbildung“. Doch von einem Engagement in der Erwachsenbildung wurde ihnen von allen Seiten abgeraten: Vor allem ältere Menschen würden sich eher für Literatur und Philosophie interessieren, nicht aber für die naturwissenschaftlichen und medizinischen Forschungsthemen an der Universität Ulm – so der Tenor. Also suchte Carmen Stadelhofer, die als „Exotin“ unter Naturwissenschaftlern oft gegen Widerstände ankämpfen musste, nach neuen Bündnispartnern außerhalb der Universität. Ende der 1980-er Jahre startete die Feministin gemeinsam mit der Volkshochschule Ulm die Frauenakademie – ein wissenschaftliches Weiterbildungsangebot für Frauen in der Familienphase und danach. Doch schon bald wurde Stadelhofer von ihrer ursprünglichen Zielgruppe eingeholt: „So etwas wie die Frauenakademie wollen wir Älteren auch“, bemerkte Thilde Battran, die damalige Vorsitzende des Seniorenrats der Stadt Ulm.

Aufführung im Hörsaal
Aufführung bei der Frühjahrsakademie 1993
Senior-Info-Mobil
Das Senior-Info-Mobil unterwegs in Ulm
Veranstaltung des ZAWiW
„Das Fremde in uns und um uns herum“ war Thema der ersten Akademiewoche 1992

„Ich habe noch viel vor“ – diese Studie, für die rund 150 Personen in Ulm und Umgebung befragt wurden, belegte das große Interesse an Weiterbildungsangeboten in der Altersgruppe 50 plus. Und so erklärte sich der damalige Kanzler der Universität, Dr. Dietrich Eberhardt, bereit, „das Schatzkästchen der Uni zu öffnen“: Carmen Stadelhofer erhielt 5000 Euro, um 1992 die erste Akademiewoche für Weiterbildungsinteressierte im dritten Lebensalter und davor auf die Beine zu stellen. Zu dieser Premiere meldeten sich immerhin 120 Teilnehmende an, und nur zwei Jahre später wurde das ZAWiW gegründet. „Zu uns kamen Menschen mit verschiedenen beruflichen Hintergründen. Darunter waren echte Käpsele, die kriegsbedingt nicht studieren konnten, aber jetzt großes Interesse an Weiterbildung hatten“, so die langjährige Akademische Direktorin des ZAWiW, Carmen Stadelhofer. Denn offenbar hatte sich die Binsenweisheit vom unbelehrbaren Hans umgekehrt und lautet nun: Wer rastet, der rostet.

Spätestens Mitte der 1990er-Jahre kam zudem ein Medium auf, das die Arbeit am ZAWiW prägen sollte: das World Wide Web. „Der Begriff Internet sagte mit damals wenig. Ich hatte aber gehört,  dass es aus den USA kommt, eine schnelle Kommunikation erlaubt und wenig kostet“,  erinnert sich Stadelhofer. Also nahm sie Kontakt zum Kommunikations- und Informationszentrum (kiz) der Uni auf und nur drei Monate später konnte das frisch gegründete ZAWiW erste Internetschulungen anbieten. Bald etablierte  sich das Online-Netzwerk für Seniorenbildung „Learning in Later Life“ (LILL), und heute ist die Säule „neue Medien“ mit virtuellen Lernangeboten, einem Online-Journal und Senior-Internetexperten nicht mehr aus dem Zentrum wegzudenken. Weitere Stützpfeiler sind das forschende Lernen, das studium generale und „Alt-Jung-Angebote“ wie die Ulmer 3 Generationen Universität (u3gu). Und wer könnte Europa-Projekte wie das Bildungsnetzwerk Danube-Networkers, länderübergreifende Konferenzen und Austauschprogramme vergessen?

Das vielfach ausgezeichnete Angebot des ZAWiW wurde also ständig ausgebaut und auf dem Höhepunkt der Akademiewochen, im Jahr 2005, schrieben sich über 1000 Teilnehmende ein: Die Vorträge mussten in vier Hörsäle übertragen werden. Bis heute erfreuen sich die Frühjahrs- und Herbstakademien mit Hauptvorägen zu gesellschaftlich relevanten Themen sowie Arbeitsgruppen und Exkursionen großer Beliebtheit – auch wenn Rekordwerte wie 2005 nicht mehr erreicht werden. Über die wissenschaftliche Weiterbildung hinaus wird das Zentrum seit Anbeginn seinem Forschungsauftrag gerecht und führt begleitende, oft drittmittelfinanzierte Projekte in den Bereichen forschendes Lernen und Alterspädagogik durch.

Mit Angeboten zur Digitalisierung in die Zukunft

Im Jahr seines 25. Jubiläums ist das ZAWiW Teil des Departments für Geisteswissenschaften und wird seit 2014 von Dr. Markus Marquard geführt. Neben dem Ausbau bewährter Formate wie den Jahreszeitakademien, den Arbeitskreisen Forschendes Lernen sowie Projekten im Alt-Jung- Bereich und dem studium generale setzt das ZAWiW neue Schwerpunkte. Hierzu gehören insbesondere Angebote zur fortschreitenden Digitalisierung. Dabei gilt es, neue Lernformate und -orte zu finden. „Wir wollen Bürgerinnen und Bürger beteiligen, insbesondere auch als Motor und Gestalter der Digitalisierung. Ziel unserer Angebote ist die digitale Mündigkeit, so dass Teilnehmende neben Herausforderungen und Chancen der Digitalisierung auch kritische Aspekte thematisieren können. Die Ergebnisse unserer Forschung sollen sich stets an der Universität und in der Stadt niederschlagen“, so Marquard. Dazu kooperiert das ZAWiW mit der Zukunftsstadt Ulm, dem Verschwörhaus – dem „Experimentierfeld für die Welt von morgen“ – und vielen anderen Bildungsträgern. Mit gemeinsamen Angeboten sollen vor allem Menschen erreicht werden, die Digitalisierung noch nicht für ihr Thema halten. Das ZAWIW hat also im nächsten Vierteljahrhundert und darüber hinaus immer „noch viel vor.“

Die Gratulantinnen und Gratulanten waren zahlreich und bestens gelaunt: Beim 25. Jubiläum des ZAWiW war das Studio der Sparkasse Ulm bis auf den letzten Platz besetzt. Zum Jubiläum überbrachten Staatssekretärin Bärbl Mielich (Ministerium für Soziales und Integration Baden-Württemberg) und Universitätspräsident Professor Michael Weber Glückwünsche. Als Vertreter der Stadt Ulm, forderte Oberbürgermeister Gunter Czisch das ZAWiW auf, seine „Erfahrung in die Zukunftsstadt Ulm einzubringen und gestaltend mitzuwirken.“

Wissenschaftliche Vorträge zum Thema „Bildung, Partizipation und Bürgerwissenschaften für Ältere“ kamen von den Professoren Franz Kolland (Wien) sowie Renate Schramek (Bochum). Musikalische Intermezzi des Saxofonisten Michael Lutzeier und seiner Band rundeten die Geburtstagsfeier ab. Die ZAWiW-Gründerin Carmen Stadelhofer und der aktuelle Geschäftsführer Dr. Markus Marquard nutzten die Gelegenheit, um sich bei allen Mitarbeitenden und Unterstützern zu bedanken – darunter beim ZAWiW-Förderkreis.

Staatssekretärin Bärbl Mielich
Staatssekretärin Bärbl Mielich gratulierte zum Jubiläum

Texte: Annika Bingmann

Fotos: Julia Grudda, Annika Bingmann, Archiv