Vortrag zur Umstellung auf G9

Am 19.05.2025 fand an der Universität Ulm ein Vortrag von Markus Riese von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) zur bevorstehenden Umstellung auf das G9-System an den Gymnasien in Baden-Württemberg statt. Hauptthemen des Vortrags waren dabei die wesentlichen Aspekte der Reform und deren Auswirkungen auf das Bildungssystem sowie auf die Lehrkräfte.

Der Anstoß zur Umstellung auf G9 besteht darin, den Schüler:innen durch eine sinkende Wochenstundenzahl zu entlasten. Diese verringert sich auf ca. 30 Unterrichtsstunden pro Woche, was einem Schnitt von sechs Unterrichtsstunden am Tag entspricht. Durch das zusätzliche 13. Schuljahr werden diese „fehlenden“ Stunden aufgefangen und einige Fächer bekommen auch noch Unterrichtsstunden dazu. Besonders die Fächer Informatik (Erhöhung von einer auf acht Stunden), Physik (Erhöhung von acht auf zehn Stunden) und WBS (Wirtschaft und Berufsorientierung; Erhöhung von drei auf vier Stunden) profitieren von der neuen Stundentafel. Des Weiteren sollen mit fünf sog. „Innovationselementen“ das Lernen verändert werden: Dazu zählen Differenzierungsstunden in Klasse 5 in Deutsch, Mathematik und einer Fremdsprache, die Stärkung des MINT-Bereichs, insbesondere Informatik und Medienbildung, die Stärkung der Demokratiebildung (verpflichtende Projektarbeit und vorgeschriebene Klassenstunde Klasse 5 & 6), individualisiertes Schülermentoring in Klasse 7 oder 10 sowie die Stärkung der Berufsorientierung in WBS.

Auffallend ist, dass die Hauptfächer Deutsch, Mathematik und Englisch ab der achten Klasse durch die „Dehnung“ der Stunden auf 13 Jahre nur noch dreistündig unterrichtet werden und viele Nebenfächer einstündig unterrichtet werden. Auch die Fächerdichte wird, vor allem in der Mittelstufe, deutlich höher: Haben Achtklässler im aktuellen System 12-16 verschiedene Fächer (durch die Flexibilität der alten Stundentafel hatte die Schule hier einige Entscheidungsfreiheiten), so werden es im neuen G9 17 verschiedene Fächer in der Woche sein, davon sind neun als einstündige Fächer vorgesehen. 

Offen bleibt, ob durch diese Anpassungen die tatsächliche Arbeitsbelastung der Schüler:innen sinken wird. Gerade durch die verminderte Stundenzahl in den Hauptfächern bleibt im schulischen Rahmen weniger Zeit für Übung, was sich auf ein erhöhtes Hausaufgabenpensum auswirken könnte. Gleichzeitig sind unter Umständen Inhalte bei den Schüler:innen weniger präsent, da das Fach weniger oft in der Woche stattfindet. Auch die Arbeitsbelastung der Lehrkräfte könnte durch die sinkende Wochenstundenzahl pro Fach beträchtlich steigen, da die Anzahl der Lehraufträge (Anzahl der zu unterrichtenden Klassen) steigt. Somit müssen deutlich mehr Schüler:innen gleichzeitig durch eine einzelne Lehrkraft betreut werden und die Arbeitsdichte wird höher.

Ein Problem, das besonders uns Lehramtsanwärter:innen betrifft, ist jedoch die Entwicklung des Stellenmarktes in den nächsten sieben Jahren. Da G9 schrittweise von Klasse 5 an eingeführt wird, sinkt über die nächsten Jahre beträchtlich die Anzahl der benötigten Gymnasiallehrkräfte, die für den Schuldienst im Gymnasium benötigt werden, da sich die Wochenstunden im Vergleich zu G8 in jeder Klassenstufe verringern. Erst, wenn die erste Generation von Schüler:innen Klassenstufe 13 erreicht, steigt der Bedarf an Lehrkräften sprunghaft an, da eine komplette zusätzliche Klassenstufe aufgefangen werden muss. Dies führt zu großer Unsicherheit besonders bei Lehramtsstudierenden und Referendar:innen, da trotz des so gerne proklamierten Lehrermangels die Einstellungschancen in den nächsten Jahren sehr schlecht aussehen. Das Kultusministerium bietet einen Kompromiss an, der angehenden Lehrkräften anbietet, für drei Jahre an eine andere Schulart zu wechseln, und danach eine Rückkehroption in die gymnasiale Laufbahn anbietet. Inwieweit dies zur Entspannung der Stellenlage beitragen kann, wird sich allerdings erst zeigen müssen.

Weiterführende Quellen: https://www.gew-bw.de/aktuelles/detailseite/frust-ueber-die-neue-g9-stundentafel

https://km.baden-wuerttemberg.de/de/schule/schulartuebergreifend/faq-bildungsreform