Törnbericht Ostsee 2011 - Auf der Spur der Hanse

Es kam ganz anders als geplant:

Vorgesehen war: Mit einer 39er BAVARIA “KRISTIN” in 2 Wochen von Großenbrode (Heiligenhafen) rund Mecklenburger Bucht, durch den Guldborgsund und das Smälandsfahrwasser hinüber zum Großen Belt und über Langeland und Fehmarnsund zurück. Fixtermin war der Besuch der Hanse Sail in Rostock in der Zeit vom 11. bis 14. 8. 2011. Dabei ist es auch geblieben. Da wir schon ab 6.8. gechartert hatten, durften wir nicht zu früh in Warnemünde ankommen. Also wurden ein Liegetag in Wismar und ein Zwischenstopp in Kühlungsborn eingeplant.

Für den ersten Segeltag am Sonntag von Großenbrode nach Wismar waren Windstärken von 4-5 Bft zunehmend 6 Bft mit Gewitterböen angesagt. Es begann schon frühmorgens mit Sauwetter, Regen und vorsorglicher Sperrung der Fehmarnsundbrücke wegen Starkwind. Keine Zeit also zum Eingewöhnen. Früher und schneller als geplant waren wir demnach in Wismar (Empfehlenwert der Westhafen) und konnten die sehenswerte, schön restaurierte Hanse-Stadt besichtigen. Das Abendessen im berühmten „Alten Schweden“ entsprach dem äußeren Ambiente.

Zurück zum Hafen und im Vorübergehen noch einen Blick auf den Wetterbericht: Oh Schreck! Morgen sollte es zwar dauernd mit akzeptablen 5-6 Bft wehen, dazu aus günstigen WSW-WNW. Aber am folgenden Dienstag dann 7-8 Bft mit Gewittersturmböen bis 9 Bft zunehmend. Bei einem Meersburger Sonnenufer „Seegucker Rotling” 2010 trocken vom Weingut Aufricht fiel die Entscheidung rasch. Damit wir nicht in Wismar womöglich eingeweht werden und die Hanse Sail versäumen, verzichten wir auf den Liegetag, laufen gleich am nächsten Morgen aus, streichen Kühlungsborn und segeln direkt zur Hohen Düne Warnemünde. Dummerweise drehte dann der Wind nach Ost, sodass wir, um zeitraubendes Kreuzen zu vermeiden, zeitweise den Jockel um Unterstützung bitten mussten. Gleich in der Wismarer Bucht hatte uns ein Gewittersturm erwischt. Bei den nahen Blitzen rundum waren wir schon besorgt, zu der statistischen Minderheit zu gehören, in deren Boot ein Blitz einschlägt. Ein zweiter Sturm mit etwas schwächerem Wind, aber umso heftigerem Regen und Sichtverlust erwischte uns kurz vor Warnemünde. Dort war schlechte Sicht wegen des starken Schiffsverkehrs besonders unangenehm, zumal der Vercharterer uns nicht das vereinbarte Schiff mit Radar bereitgestellt hatte.

Wir waren deshalb froh, als wir in der supermodernen Marina Hohe Düne festgemacht hatten. Das Essen in der Edelpizzeria Da Mario hatten wir uns redlich verdient. Die gut eingespielte 3er Crew hatte den Törnauftakt souverän gemeistert und so herrschte prächtige Stimmung und Vorfreude auf die Liegetage in Warnemünde/Rostock bei der Hanse Sail mit First Class Service in der Olympia-Marina Hohe Düne.

Die haben wir auch ausgiebig genutzt. Die 21. Hanse Sail versprach (und hielt) faszinierende Erlebnisse an und auf dem Wasser, in der Luft und an den Kaikanten im alten Rostocker Stadthafen und in Warnemünde, wohin auch die GORCH FOCK ministerielle Ausnahme-Auslauferlaubnis erhalten hatte. Die Ostsee ist inzwischen das Meer der Traditionssegler geworden mit dem Zentrum Hansestadt Rostock. Jeder Großsegler wurde an der Mole in Travemünde mit Kanonen-Salutschüssen begrüßt.Wir hatten unser Schiff liegen lassen und Fähren und S-Bahn benutzt, was sich als sehr zweckmäßig erwiesen hatte. Ein Leckerbissen war die BOUNTY, die aus USA über den Atlantik nach Rostock extra zur Hanse Sail gesegelt war. Neben den relativ ranken Dreimastbarken waren aus Russland und Polen riesige Viermastbarken wie die SEDOV, das weltgrößte Segelschulschiff, erschienen, das wir ausgiebig innen und aussen besichtigt haben. Studenten der Rostocker Uni präsentierten uns ihre Erfindung „Annax“, ein Wasserbike, mit dem Regatten gefahren werden, und freuten sich über die USCU-Kollegen aus Ulm. In der berühmten „Kogge“ am Hafen haben wir bei einer wohlschmeckenden Soljanka in Erinnerungen an einen Besuch vor etwa 20 Jahren geschwelgt und Peter Novak per Telefon einbezogen. Er war damals dabei und hatte mit dem Schifferklavier und einer stimmgewaltigen Crew das Lokal eine ganze Nacht mit Seemannsliedern unterhalten. Sogar der Wirt konnte sich noch daran erinnern, weil er Probleme mit der polizeilichen Sperrstunde bekam. Auch wir haben auf dem Hafengelände beim Auftritt des Shanty-Chors Oldenburg kräftig mitgesungen. In den gemütlichen Kneipen oder beim Abendessen-Kochen auf dem Schiff mit anschließender Produktion von Tauwerkschäkeln oder Vorlesen aus Sten Nadolny ´s „Die Entdeckung der Langsamkeit“ sind uns die Abende nicht lang geworden.

Nach den schönen Tagen in Rostock/Warnemünde nahmen wir nicht wie vorgehabt Kurs nach Norden, sondern wetter- und zeitbedingt nach Westen. Ziele: Nochmals Wismar und dann Lübeck. Den Abschied versüßten wir uns mit einem Spätburgunder Weißherbst 2010 „Meersburger Bengel“ aus dem Staatsweingut Meersburg.

Nach Wismar war es eine angenehme Fahrt, auch wenn zwischendurch ein Gewitter mit Starkregen aufzog, das uns aber dank rechtzeitiger und guter Vorbereitung nicht schrecken konnte.Auch die Anlegemanöver gestalteten sich trotz ungünstiger Windbedingungen und kleiner Crew durch „Eindampfen in die Luv-Achterspring“ ausgesprochen entspannt und sicher. Bei einer Stadtführung „Störtebeker zeigt Gästen sein Wismar mit seiner Geschichte“ haben wir viel Geschichte und Geschichtchen erfahren (z.B. was es mit der “Tittentasterstraße” auf sich hat) und auch Tipps über gute Lokale erhalten. In der ältesten Gaststätte von Wismar "Zum Weinberg" (!) verkosteten wir Wismarer Bier dunkel, blond und rosa. Es kam aber gegen den trockenen Müller-Thurgau 2010 "Hagnauer Sonnenufer" aus unserem Schiffskeller doch nicht an. Der Liegetag verging wie im Fluge.

Inzwischen waren wir auf dem Weg nach Lübeck, das wir gerne die Trave hinauf angelaufen hätten. Sinnvoller wegen der spärlichen Brückenöffnungszeiten erschien uns aber, in Travemünde anzulegen. Die Häfen waren zwar brechend voll, aber ein sehr netter, gesprächiger und hilfsbereiter Hafenmeister vermittelte uns den Liegeplatz seines Freundes, der bei der Hanse Sail geblieben war. Dieser Liegeplatz war einer der schönsten in der Böps-Werft mit freier Sich auf das große Schiffskino auf der Trave, auf das gegenüberliegende Naturschutzgebiet und den Liegeplatz der PASSAT. Zum Abendessen auf unserem Schiff gab´s zwar nur Linsen mit Spätzle, die aber durch den gereichten Gewürztraminer „Überlinger Felsengarten“ 2009 aus dem Spitalweingut Heiliger Geist aufgewertet wurden.

Durch die hervorragende Busverbindung konnten wir Lübeck bequem erreichen und diese prachtvolle Hansestadt intensiv kennenlernen.Sehenswert war beispielsweise die Ausstellung im Holstentor, das die früheren 50 DM Scheine geziert hatte. Aber auch die eindrucksvolle Gedenkkapelle in der St. Jakobi-Kirche über das Schicksal der 1957 in einem Orkan untergegangenen PAMIR hat uns sehr berührt, zumal wir am nächsten Tag das Schwesterschiff PASSAT im Passathafen besuchten und wieder auf die Spuren der Erinnerung an die PAMIR stießen.

Am nächsten Morgen wird die Crew bei herrlichem Sonnenaufgang mit einem Shanty-Chor von der CD unter Begleitung unseres Skippers geweckt „Rolling home“. Urteil des Publikums: Sehr schön, sehr laut! Rolling home hieß es denn auch auf der letzten Etappe: Zwischenstopp in dem gemütlichen Stadthafen in Neustadt, wo auch das Studio für den ZDF-Mittwochs-See-Krimi „Die Küstenwache“ steht. Dem angesagten stürmischen Wind wichen wir aus, indem wir vorher ganz (fast zu) gemütlich direkt nach Großenbrode gesegelt sind, wo wir dann – sicher festgemacht – abenteuerliche Anlegemanöver im Starkwind beobachten konnten. Es blieb noch genügend Zeit für einen Ausflug zum früheren Fährhafen nach Großenbrode-Fähre, nach Fehmarn über die Fehmarnsundbrücke und schließlich am Abend zum Besuch des Konzerts des Shanty-Chors Heiligenhafen, bei dem – natürlich – wieder kräftig mitgesungen wurde.

Fazit der Reise: Die Umplanung hat sich gelohnt. Der alte Plan bleibt aber weiter eine Option. Der Abschluss im Schiff bei Shanties aus der erworbenen CD und einer Flasche "Überlinger Felsengarten" Müller-Thurgau 2009, ausgezeichnet mit der 15. Berliner Weintrophy war dem Erlebniswert des Törns angemessen.

Manfred J. Müller – Michael Müller – Sabine Schwenk