Blaue Musik

Zur Ausstellung "Hans Peter Reuter. Der Weg ins Blau"
in der Kunsthalle Weishaupt

Am Donnerstag 6. Februar 2014, Beginn 19 Uhr, mit einer Führung durch die Ausstellung und einer Einführung in das Konzert

Anlässlich der Ausstellung komponierte die EMU für dieses Konzert mehrere Stücke, die sich auf unterschiedliche Aspekte der Arbeiten Reuters beziehen:

  • ein synästhetisches Stück wurde ausschließlich mit blauen Klängen gespielt
  • eine Komposition bezog sich auf die Kacheln in den Bildern Reuters
  • eine weitere Komposition beruhte auf Frequenzberechnungen verschiedener Physiker und Wissenschaftler, die errechneten, welche Klangfrequenzen mit welchen Lichtfrequenzen in Übereinstimmung gebracht werden können
  • eine Komposition bezog sich auf die Räume der Kunsthalle und die Anordnung der Werke darin - der Raum als Musikinstrument

Das ausverkaufte Konzert begann mit kunstgeschichtlichen Führungen durch die Ausstellung "Hans Peter Reuter. Der Weg ins Blau" mit Dr. Andrea El Danasuri, Birgit Hochmuth, Daniela Baumann und Christine Söffing.

Welche Farbe hat ein Klang? Wie klingt Blau?

Synästhetisch betrachtet können Töne, Klänge und Geräusche eine Farbe, eine Form und eine Materialbeschaffenheit haben. Sie bilden Skulpturen im Raum - für einen Synästhetiker.
Synästhetiker sind Menschen, bei denen Sinneswahrnehmungen miteinander verknüpft werden. Intervalle können einen Geschmack haben, Buchstaben, Zahlen, Wochentage oder Monate können eine Farbe haben (Graphemsynästhesie) oder Sprachen können eine farbige Struktur besitzen, um ein paar der mittlerweile 65 entdeckten Formen von Synästhesie zu nennen. Jede Form von Synästhesie ist subjektiv und dient als inneres Lexikon und zur Orientierung. Wenn also der eine Synästhetiker sagt, das Klavier klingt blau, ist der Klavierton für den nächsten Synästhetiker z.B. grün. Doch diese persönliche Zuordnung des jeweiligen Synästhetikers bleibt bestehen, ein Ton kann an seiner exakten Farbnuance wiedererkannt werden.
Hirnforscher in etwa 33 Ländern versuchen das Rätsel der Synästhesie zu entschlüsseln, um mehr über das menschliche Bewusstsein herauszufinden. Auf internationalen Konferenzen stellen sowohl Forscher als auch Künstler und Synästhetiker ihre Ergebnisse, Untersuchungen, Projekte und Beobachtungen vor.

Die EMU arbeitet seit einigen Jahren an synästhetischen Projekten und untersucht z.B., ob es ästhetisch passt, synästhetisch grünen Geschmack mit grün klingenden Instrumenten zu vertonen oder sie analysiert, wann sich bei einem Klang eine Farbe ändert. Im Projekt Blaue Musik war die Ausgangsfrage, wie ausschließlich synästhetisch blaue Sounds im Zusammenspiel klingen werden - bleibt der Klang blau?

Mehr Infos zur Synästhesie: www.synaesthesie.org

(dg)
(nh)

Komposition 1: Ultramarin - Frequenzanalyse und Berechnung

Von der Farbe zum Klang.

Farben sind Schwingungen des Lichts, Töne Schwingungen der Luft. Wie der Farbton durch die Zusammensetzung verschieden schneller Schwingungen des Lichts bestimmt wird, das in unser Auge gelangt, wird der Klang durch die Zusammensetzung verschieden schneller Schwingungen der Luft bestimmt, die an und in unser Ohr gelangen.
Lässt sich somit ein Farbton (Ultramarin) auch als Klang darstellen?
Diese Frage hatte immer wieder Physiker, Forscher und Musiker beschäftigt. Es müsste sich doch berechnen lassen, welche Lichtschwingungen mit welchen Tonschwingungen in Übereinstimmung gebracht werden könnten. Ja, das ist möglich.
Nach Newton (1643 - 1727) wäre das a der dorischen Tonleiter blau. Nach Pater Castell (1688 - 1757) ist das c = blau. Nach Helmholtz (1821 - 1894) das d = grünblau, dis = cyanblau, e = indigoblau. Nach Skrijabin (1872 - 1915) ist das e = blauweißlich, H = ähnlich wie e, fis = grellblau. Nach Aeppli (1936 - ) ist das g = blaugrün, das a = ultramarinblau.
(Siehe: Twittenhof, Carla: Farben und Töne. In: Musik im Unterricht. Heft 10, 1967 und Heft 11, 1967 sowie www.see-this-sound.at/kompendium/text/43/4 von Dr. Jörg Jewanski)

Wir beschlossen, eigene Berechnungen zu machen. Andreas Grünvogel-Hurst setzte die mittels Spektralanalyse bestimmten Frequenzen (im sichtbaren Bereich des Lichtes) der Lichtremission von Ultramarin in hörbare Klänge um (Frequenzen im hörbaren Bereich der Schallwellen).

Alle EMU-Ensemblemitglieder verwendeten die so „synthetisierten“ Klänge und die zugrundeliegende Frequenzanalyse als Basis für die Integration ihrer persönlichen Beiträge zu diesem Stück.

Frequenzberechnungen: Andreas Grünvogel-Hurst
Autor: Tobias Hornberger & EMU
Ensemble: Andreas Grünvogel-Hurst - electronics / Tobias Hornberger - electronics / Tonatiuh Ruiz - electronics / Klaus Schmidtke - electronics / Christine Söffing - electronics //

Andreas Grünvogel-Hurst erklärt die Frequenzberechnungen (dg)

Komposition 2: LichtRaum

Zum Bild LICHT-RAUM (532) von Hans Peter Reuter

Reuter weilte 1980 in Rom. Das Licht dort nahm Einfluss auf seine Bilder. Er entwickelte die Licht-Räume und schuf mehrere Werke in Aquarell.
Die Weite in den Bildern faszinierte mich. Ich entwarf eine synästhetische Komposition für diesen Licht-Raum als Stellvertreter der Licht-Räume.
Die Hirtenflöten spielen die Weite des Raumes. Die synästhetische Farbe des Klanges der Hirtenflöten entspricht dem Blau auf diesem Bild.
Der Raum selbst wird definiert durch Säulen, Symmetrie und Lichtführung.
Das Metall-U und die elektronischen Klänge stehen für den Blick des Betrachters, der über die Kacheln an den Säulen wandert und die Perspektive nachvollzieht.
Durch die Perspektive verkürzen sich die Abstände von Fuge zu Fuge - wir nutzen dafür die Polytempic und definieren mit ihr Verhältnisse.

Synästhetische Komposition und Autor: Christine Söffing
Ensemble: Axel Baune - Hirtenflöte / Andreas Grünvogel-Hurst - electronics / Klaus Schmidtke - electronics / Christine Söffing - Metall-U

Christine Söffing spielt Metall-U (dg)

Komposition 3: HANSPETERREUTINATION

zum Bild BLAU (788) von Hans Peter Reuter

Am speziell für dieses Konzert entwickelten Hanspeterreutinator werden Hans
Peter Reuters blaue Kachelkompositionen in Klangereignisse transformiert.
Durch additives Morphing wird jeder Kachel eine Frequenz, Amplitude und Zeit
zugeordnet.

Softwareentwicklung und Autor: Tobias Hornberger
Ensemble: Tobias Hornberger - Hanspeterreutinator //

Tobias Hornberger (dg)
(th)

Komposition 4: 12007 Quadrate

Zum Bild ZWÖLFTAUSENDUNDSIEBEN QUADRATE 8/2/1 von Hans Peter Reuter

Das Gesamtobjekt Reuters setzt sich aus kleinen Flächen zusammen, aus kleinen Quadraten, vergleichbar Fragmenten eines Gesamten.
Diese Fragmente können in der elektronischen Musik als Klang-Ereignisse angesehen werden. Die Granularsynthese kam Axel Baune in den Sinn. Er entwarf ein Spielkonzept:
Alle Spieler gemeinsam durften exakt 12007 Klicks (Klangereignisse) erzeugen, aus denen die Komposition entstehen sollte. Dementsprechend programmierte sich jeder Spieler ein Abspielprogramm, das die Anzahl der gespielten Sounds zählt und auf die geforderte Anzahl begrenzt.

Autor: Axel Baune
Ensemble: Axel Baune - electronics / Andreas Grünvogel-Hurst - electronics /
Tobias Hornberger - electronics / Klaus Schmidtke - Granularleser //

Komposition 5: Stadtbad

Zum Bild Stadtbad ohne Ding Nr. 43-45 von Hans Peter Reuter

Die Stadtbäder Reuters sind in wunderbaren hell- und mittelblauen Farbtönen gemalt, die dem Klang von Flöten entsprechen. Die Stadtbäder ohne Ding sind leer. Kein Mensch, kein Schatten eines Menschen ist irgendwo zu entdecken. Dafür ist dort der Raum, weit und leer, wunderbar leer, aber auch einsam.
Im Stück Stadtbad beziehen wir uns auf die Leere in den Bädern und auf die Lebensgeschichte Reuters. Die Melodielinie steht für die überwundene Krankheit in der Kindheit Reuters, das Zenglockenspiel ruft immer wieder in den vorderen Raum zurück, ins Hier und Jetzt.


Autor: Christine Söffing & EMU
Ensemble: Axel Baune - electronics / Andreas Grünvogel-Hurst - electronics / Tonatiuh Ruiz - electronics, spr_ectonatr01 / Klaus Schmidtke - electronics / Lisa Simpson - Zen-Glockenspiel //

Komposition 6: Die Musik der Architektur

Die Musik der Architektur wird von einem Computerprogramm realisiert, weil kein Musiker hierzulande die Tonhöhen kennt bzw. spielen kann - es ist für ihn eine fremde Sprache. Das Ohr des Zuhörers ist dagegen objektiv - wie das Auge des Betrachters in der Kunst. Die Vorstellungswelten können sich auf Ungewohntes einstellen, wenn Bereitschaft und die Lust auf Neues bestehen.

Die Tonhöhen ergeben die Stimmung der Klangflächen – es sind die Spiel-Maße der Klänge. Die Klänge werden von der kleinen chilenischen Seetang-Flöte Serafina realisiert. Es sind die MIDI-Zahlen: 60 - 61,72 - 65,25 - 66,73 - 69,91 - 71,95 als Halbtöne.

Polytempic – sie erzeugt die Lebendigkeit von Natur-Melodien. Die Zeiten zwischen den Schlägen (hier Iller-Urgestein) lauten: 100 45.2 33.8 28.2 18.4 12.5 Millisekunden Es sind wunderschöne Natur-Zeitmaße, z.B. die Echos zwischen zwei Wänden als Maß der Musik. Sie laden ein zum Verweilen und kreativen Spiel der Tonhöhen - z.B. als Melodie der Drachenklänge.

Rhythmik – sie entsteht aus Zeitdifferenzen zwischen Klangereignissen, die sich regelmäßig wiederholen. Die Physik sagt: Es sind die Phasen zwischen gleichbleibenden Ereignis-Strömen. Das Spiel der Architektur-Töne ändert sich schlagartig, das Spiel versucht das Regelmäßige aufzulösen.

Dieter Trüstedt hat die Musik entwickelt und den Computer programmiert und spielt die Klänge und die Rhythmik der Architektur. Andreas Grünvogel-Hurst spielt Klangereignisse auf dem Tablet im Strom der Klangflächen der Architektur. Klaus Schmidtke spielt im Dialog mit dem Tastenspiel ein vietnamesisches Saiteninstrument, das Dan-Bao.

Komposition 7: Blaue Berge - Blaue Seen

Zum Bild BLAUE BERGE, BLAUE SEEN ... 7/11/9 von Hans Peter Reuter

Kleinste Klangkörnchen formen sich zu einer neblig blauen Landschaft mit zerklüfteten Bergen und spiegelglatten Seen. Auslaufrillen von Schallplatten wurden gesamplet und werden mittels Granularsynthese in Soundscapes umgewandelt.

Autor: Tobias Hornberger
Ensemble: Axel Baune - electronics / Andreas Grünvogel-Hurst - electronics / Tobias Hornberger - electronics / Klaus Schmidtke - electronics / Christine Söffing - electronics / Isolde Werner - chaospad //

Isolde Werner am Chaospad (dg)

Komposition 8: Atem blau quadratisch

Autor: Isolde Werner
Ensemble: Andreas Heizmann - Kontrabassklarinette / Ursula Ritter - Querflöte / Tonatiuh Ruiz - percussion und electronics / Isolde Werner - Klangstäbe und Stimme //

Komposition 9: Vom Sein ins Nichts

Zum Bild LICHT-RAUM (300) von Hans Peter Reuter  

Hans Peter Reuter erklärte zu diesem Bild, dass er, um an den Stellen, an denen die Spiegelung der Kacheln sich im Hintergrund verläuft und die er den Übergang vom Sein ins Nichts nannte, fünffache Nullerpinsel zum Malen benutzt habe.
Der Übergang vom Sein ins Nichts - ein philosophisches Thema.

Wir beschlossen ein Nichts-Stück zu komponieren. Bei den Nichts-Stücken der EMU gibt es - wie im Halbschlaf - absurde Stellen mit Alltagsgeräuschen und Stimmen, so dass man nicht so recht weiß, wo man ist - im Dazwischen - zwischen dem Sein und dem Nichts.

Autor: Christine Söffing, Tobias Hornberger & Ensemble
Ensemble: Andreas Grünvogel-Hurst - Zen-Glockenspiel / Tobias Hornberger - electronics / Klaus Schmidtke - electronics / Lisa Simpson - Ballastsaite / Christine Söffing - Chin mit Federstab und Glasstab //

Komposition 10: Blaukristall

Tobias Hornberger (nh)
Tonatiuh Ruiz (dg)

Zum Bild BLAUKRISTALL 13/3/1 von Hans Peter Reuter

Von der monochromatischen Häufung bis zur Granularsynthese.
Die vielen Würfelformen im Bild BLAUKRISTALL 13/3/1 inspirierten Tonatiuh Ruiz dazu, eine Animation im Programm Processing zu erstellen, in der die Würfel einzeln, wie aus dem Raum über dem Betrachter heraus, auf das Bild niederfallen und dort liegen bleiben. Es sammeln sich mehr und mehr Würfel auf der Fläche.

Zu dieser Idee entstand die Komposition: Zuerst erscheinen einzelne Sounds, dann werden es mehr und mehr und verdichten sich zu einer Klangfläche.

Autor: Tonatiuh Ruiz
Ensemble: Tonatiuh Ruiz - electronics / Tobias Hornberger - electronics //

Konzertausklang

Konzept, Idee und Organisation:

Christine Söffing & EMU-Ensemble

 

Fotografien:

Dirk Gabriel (dg)

Nanna Heitmann (nh)

Frank Langenfeld (fl)

 

Dokumentation:

Klaus Schmidtke, Christine Söffing

(nh)