Eine Brücke zwischen Universität und Stadt

15 Jahre Ulmer Denkanstöße

Ein Gastbeitrag von Iris Mann: Die Bürgermeisterin der Stadt Ulm für Kultur, Bildung und Soziales ist Mitveranstalterin der Ulmer Denkanstöße und dem Humboldt-Studienzentrum der Universität eng verbunden. Ohne Professorin Renate Breuninger, die in den Ruhestand gegangen ist, kann sich Iris Mann die Veranstaltungsreihe kaum vorstellen.

Logo der Ulmer Denkanstösse

Am Anfang stand eine gefühlte Leerstelle – in Ulm, der Stadt, aus der bedeutsame technologische Entwicklungen hervorgingen, die durch eine prosperierende Industrie geprägt ist und in der eine junge, dynamische naturwissenschaftlich-medizinische Universität von sich reden macht. In dieser Stadt waren Geisteswissenschaften, bis auf wenige Ausnahmen anderer Bildungsträger, nicht präsent. Dabei spürten und spüren wir alle, dass die immer komplexer werdenden Herausforderungen unserer Zeit nach einem Diskurs- und Aushandlungsprozess verlangen, der uns Leitplanken und Anhaltspunkte für die Einordnung, kritische Reflexion und konstruktive Beurteilung bietet. Die persönliche Urteilsfähigkeit unter Einbezug vieler Informationen und wissenschaftlicher Erkenntnisse ist in unserer Zeit zur absoluten Schlüsselkompetenz für die Gestaltung des Alltags geworden. Wie unterschiedlichste Studien belegen, ist ein zunehmender Teil der Gesellschaft von der Komplexität der Fragen, mit denen wir täglich konfrontiert sind, überfordert und sehnt sich nach einfachen Antworten – das fängt in der Politik an, geht über Fragen des  Zusammenlebens in einer vielfältigen Gesellschaft und hört beim Umgang mit der Pandemie nicht auf, um nur ein paar aktuelle Themenfelder anzureißen. Das heißt: Die Fähigkeit, Informationen zu ordnen, sachlich zu erfassen und moralisch zu bewerten, gewinnt enorm an Wichtigkeit – an der Universität, aber ebenso im Alltag eines und einer jeden einzelnen. Und diese Fähigkeit will geübt und trainiert sein: Sie entwickelt sich nur dadurch, dass man sie schult.

Die eingangs erwähnte Leerstelle wollten die Ulmer Denkanstöße füllen. Sie entstanden aus einer glücklichen Fügung im Zusammentreffen von Vertreterinnen und Vertretern der Universität Ulm – allen voran der Leiterin des Humboldt-Studienzentrums – der Sparda Bank Baden-Württemberg und der Stadt Ulm mit ihren beiden großen Fachbereichen Kultur und Soziales. Das gemeinsame Ziel war von Anfang an, die Breite der Bürgerschaft mit einem neuen Format zum relevanten geisteswissenschaftlichen Diskurs anzuregen – und zwar mit einem Tiefgang, der durchaus auch Unterhaltendes haben darf und soll. Schnell war damit auch schon der Titel gefunden: Ulmer Denkanstöße. Und damit der Zugang wirklich allen ermöglicht wird, sollten diese Denkanstöße möglichst kostenfrei und niederschwellig zugänglich sein.

Durch diese Weichenstellung war klar: Die Veranstaltung muss im Herzen der Stadt angesiedelt sein, in einem offenen Haus für die Bürgerschaft. Die Wahl fiel auf das Stadthaus, das genau dafür steht, und dem die Ulmer Denkanstöße in all den Jahren treu geblieben sind – obwohl es mitunter aus allen Nähten zu platzen drohte.
Die Themen sollten den Puls der Zeit treffen und Fragestellungen in den Fokus rücken, die nicht alltäglich sind, aber gleichwohl unter der Oberfläche viele Menschen umtreiben und berühren. Dabei standen regelmäßig zentrale Werte unserer Gesellschaft aus einem spezifischen Blickwinkel im Fokus und häufig mussten wir feststellen, dass die aufgeworfenen Fragen bei der Veranstaltung ein knappes Jahr nach der Themenwahl noch deutlich an Brisanz gewonnen hatten.

Die Formate innerhalb der Denkanstöße sollten unterschiedliche Menschen und Sinne ansprechen: So wurde und wird auf Film, Musik, Theater, Vorträge, Lesungen und Diskussionsrunden gleichermaßen gesetzt, das Programm stetig weiterentwickelt und variiert. Dabei können alle Beteiligten ihre jeweiligen Kompetenzen ausspielen. Das Humboldt-Studienzentrum der Universität hat von Anfang an seine wissenschaftliche Erfahrung und Expertise eingebracht: Professorin Renate Breuninger und ihr Team übernahmen stets die Suche nach Referentinnen und Referenten, die Themen aus unterschiedlichsten Perspektiven und Fachdisziplinen beleuchten und zu kontroversen Debatten anregen konnten. Dabei sind sie über die Grenzen der Philosophie hinausgegangen und haben alle Fakultäten integriert.

Wechselspiel zwischen Gesellschaft und Wissenschaft

Nach 15 Jahren der gemeinsamen Entwicklung mit viel Enthusiasmus, Freude und Diskussion sind die Ulmer Denkanstöße ohne Renate Breuninger, die stets ebenso profund wie charmant durch das Programm geführt hat, nur schwer vorstellbar. Wenn ich mir als Bürgerin dieser Stadt etwas wünschen dürfte, so wäre es, dass das Humboldt-Studienzentrum (HSZ) weiterhin als verlässlicher Partner einerseits die Ulmer Denkanstöße mitgestaltet und veranstaltet, aber auch, dass die weiteren Formate des HSZ an verschiedenen Stellen in der Stadt erhalten bleiben – zum Beispiel im Stadthaus und in der Villa Eberhardt. Denn dieses Wechselspiel zwischen Stadtgesellschaft und Wissenschaft erscheint mir für beide Seiten eine große Bereicherung und Inspiration zu sein. Und auch wünschte ich mir, dass das HSZ weiterhin in die Universität hineinwirkt, in die unterschiedlichen Fakultäten und dort mit seiner horizonterweiternden Kompetenz wahrgenommen und in die Studienpläne integriert wird. Denn ich bin überzeugt davon: Je weiter der wissenschaftliche Erkenntnisgewinn fortschreitet, umso wichtiger wird es sein, auch im Forschungsprozess und in der zunehmenden interdisziplinären Zusammenarbeit zwischen Zielkonflikten abzuwägen und sich ethisch-philosophischen Fragen zu stellen. Dafür böte eine profunde geisteswissenschaftliche Grund- oder Ergänzungsbildung sicherlich ein gutes, solides Fundament. Renate Breuninger hat sich dafür immer eingesetzt und es geschaft, neben dem universitären Betrieb auch noch viele Impulse in die Stadtgesellschaft zu geben – dafür bleibt mir nur, ihr sehr, sehr herzlich zu danken!

Gesichter zweier Frauen von der Seite
Iris Mann (links) und Renate Breuninger

Frau steht lachend vor einer Mauer

Iris Mann studierte Kultur- und Politikwissenschaft in Tübingen sowie Uppsala (Schweden). Nach verschiedenen Stationen im Kultur- und Bildungsbereich übernahm sie 2007 die Leitung der Kulturabteilung der Stadt Ulm. Somit war sie von Anfang an bei der Planung der Ulmer Denkanstöße dabei. Seit 2012 ist Iris Mann Zweite Bürgermeisterin in Ulm. In diesem Amt verantwortet sie die Fachbereiche ƒKultur„ sowie ƒBildung und Soziales„.

Text: Iris Mann
Fotos: Rosa Grass, Carola Gietzen, Stephanie Duong