Stammzellenalterung

Unser Hauptinteresse ist die Erforschung der molekularen Ursachen der Alterung von Stammzellen. Heutzutage wird viel über den Einsatz von embryonalen Stammzellen zur Behandlung regenerativer Defekte gesprochen. Man vergisst dabei häufig, dass der Mensch körpereigene, adulte Stammzellen besitzt, die in fast allen Organen und Geweben vorkommen. Adulte Stammzellen tragen Zeit unseres Lebens zum Erhalt und zur Regenerationsfähigkeit von Organen und Geweben bei. Man weiß heute, dass  die Funktion adulter Stammzellen im Alter nachlässt, was zur Verminderung der Organfunktion im Alter beiträgt.

Die Entwicklung zukünftiger regenerativer Therapie zielt darauf den Organerhalt im Rahmen der Alterung und bei chronischen Erkrankungen zu verbessern. Hierbei könnten adulte Stammzellen gegenüber embryonalen oder induzierten, embryonalen Stammzellen
(siehe Infobox) einen großen Vorteil besitzen. Die adulten Stammzellen befinden sich bereits an der richtigen Stelle in unseren Organen und können natürlicherweise zur Organregeneration beitragen. Wenn man die Mechanismen versteht, welche die Funktion der adulten Stammzellen im Alter hemmen, könnte man pharmakologisch wirksame Substanzen entwickeln, welche die Funktion gealterter Stammzellen verbessern (Abbildung 1).

Abb.1: Telomerverkürzung führt zur Induktion von chromosomaler Instabilität und begrenzt die Teilungsfähigkeit menschlicher Zellen. (A) Die Abbildung zeigt Metaphasechromosomen. Die Telomere sind mit einer rotfluoreszierenden Probe markiert. Man erken
Abb.1: Telomerverkürzung führt zur Induktion von chromosomaler Instabilität und begrenzt die Teilungsfähigkeit menschlicher Zellen. (A) Die Abbildung zeigt Metaphasechromosomen. Die Telomere sind mit einer rotfluoreszierenden Probe markiert. Man erkennt, dass einige Chromosomenenden kein Telomersignal aufweisen (dünne Pfeile) und es zur Fusion von Chromosomen gekommen ist (breite Pfeile). (B) Die Abbildung zeigte das Zerreißen von fusionierten Chromosomen in der Anaphase in Tumorvorstufen im Darm (Polypen). (C) Das Diagramm zeigt ein vereinfachtes Modell der durch Telomerverkürzung bedingten Zellalterung. Als Folge von Zellteilung kommt es zur Verkürzung der Telomere. Wenn die Telomere eine kritisch kurze Länge erreichen, kommt es zur Aktivierung von DNA-Schädigungssignalwegen, die auch zur Aktivierung des p53/p21 Signalweges führen. Hierdurch kommt es zur Aktivierung von Seneszenz (Verlust der Teilungsfähigkeit) oder zum Zelltod (Apoptose).

Bei diesem Ansatz müsste keine Zelltransplantation durchgeführt werden.  Im Gegensatz dazu erfordert der Einsatz von embryonalen Stammzellen oder der von induzierten, embryonalen Stammzellen die Transplantation der Zellen in die betroffenen Organe. Ein wesentliches Problem dieser Methode ist die Schwierigkeit, diese Zellen an den richtigen Ort im Gewebsverbund zu bekommen und die geringe Effizienz des Anwachsens der transplantierten Zellen.

Abbildung 2. Telomerverkürzung begrenzt Stammzellerhalt und Regenerationsfähigkeit. Die Analyse von hämatopoetischen Stammzellen im Knochenmark (eingekreiste Zellpopulation) zeigt eine Verminderung der Stammzellanzahl in Abhängigkeit von Telomerverkü
Abb.2: Telomerverkürzung begrenzt Stammzellerhalt und Regenerationsfähigkeit. Die Analyse von hämatopoetischen Stammzellen im Knochenmark (eingekreiste Zellpopulation) zeigt eine Verminderung der Stammzellanzahl in Abhängigkeit von Telomerverkürzung. Die Abbildungen auf der rechten Seite zeigen regenerierende Leberzellen. Telomerverkürzung führt zu einer Verminderung der Anzahl regenerierenden Leberzellen.

Ein molekularer Mechanismus der Stammzellalterung ist die Verkürzung der Telomere. Telomere bilden die Endstücke der menschlichen Chromosomen (Abbildung 2A). Die Hauptfunktion der Telomere ist die Abschirmung und Stabilisierung der Chromosomen. Allerdings kommt es bei jeder Zellteilung zu einer Verkürzung der Telomere, wodurch die Proliferationsfähigkeit menschlicher Zellen auf 50 - 70 Teilungen begrenzt wird. Wenn die Telomere eine kritisch kurze Länge unterschreiten, verlieren sie ihr Abschirmungsfunktion und das Chromosomenende wird von der Zelle als geschädigte DNA wahrgenommen, ähnlich einem DNA-Strangbruch innerhalb des Chromosoms. Anders als bei intrachromosomalen Strangbrüchen kann die Zelle dysfunktionelle Telomere aber nicht einfach durch Endligation reparieren, da dies zu chromosomalen Fusionen führt. Solche Fusionen sind nicht stabil und führen im Zellzyklus zum Zerreißen der Chromosomen (in der Anaphase, Abbildung 2B), wodurch es zu chromosomaler Instabilität und zur malignen Transformation der Zellen kommen kann.  Um dies zu verhindern wird die Teilungs- und Lebensfähigkeit von Zellen mit kritisch kurzen Telomeren durch zwei Kontrollpunkte begrenzt (Abbildung 2C). Die DNA-Schädigungssignale in Antwort auf Telomerdysfunktion induzieren einerseits einen permanenten Zellzyklusarrest. Die Zellen verlieren irreversibel ihre Teilungsfähigkeit. Dieser Kontrollpunkt wird als replikative Seneszenz bezeichnet. Darüber hinaus können dysfunktionelle Telomere auch zum Zelltod (Apoptose) führen.

Man geht heute davon aus, dass Seneszenz und Apoptose Tumorsuppressormechanismen darstellen, die das Überleben und die Teilungsfähigkeit von gealterten Zellen mit instabilen Chromosomen verhindern. Anderseits können die gleichen Kontrollpunkte aber die Regenerationsfähigkeit von adulten Stammzellen und den Organerhalt im Rahmen der Alterung und bei chronischen Erkrankungen einschränken. Im Menschen tritt eine Verkürzung der Telomere im Rahmen der Alterung in fast allen Geweben auf. Darüber hinaus kommt es infolge chronischer Erkrankungen zu einer beschleunigten Verkürzung der Telomere.

Abb.3: Ein Verständnis der molekularen Ursachen der Alterung adulter Stammzellen könnte dazu genutzt werden Therapie zu entwickeln, welche die Stammzellfunktion im Alter verbessern. Hierdurch könnte der Organerhalt verbessert werden und das Risiko der
Abb.3: Ein Verständnis der molekularen Ursachen der Alterung adulter Stammzellen könnte dazu genutzt werden Therapie zu entwickeln, welche die Stammzellfunktion im Alter verbessern. Hierdurch könnte der Organerhalt verbessert werden und das Risiko der malignen Entartung gealterter Stammzellen minimiert werden.

Unsere Arbeiten zeigen, dass Telomerverkürzungen auch in vivo Seneszenz oder Apoptose auslösen und dadurch die Anzahl der regenerationsfähigen Organzellen minimiert wird. Insbesondere wird durch Telomerverkürzung die Funktion und der Erhalt von körpereigenen Stammzellen begrenzt. Diese Begrenzung der Stammzellfunktion wird durch zellintrinsische Kontrollpunkte aber auch durch Veränderungen im Stammzellenvironment bedingt. In jüngsten Arbeiten hat unsere Forschungsgruppe einen neuen Mechanismus aufgedeckt, der zur Induktion von Zelltod oder Seneszenz in Antwort auf Telomerverkürzung führt. Ein besonders wichtiges Ergebnis dieser Arbeiten war, dass eine Hemmung der durch Telomerdysfunktion induzierten Kontrollpunkte die Funktionsfähigkeit von adulten Stammzellen verbessern konnte, ohne das Krebsrisiko zu erhöhen. Da eine Verkürzung der Telomere im Rahmen der Alterung im Menschen in fast allen Organen auftritt und mit der Progression von chronischen Erkrankungen korreliert, könnten diese Ergebnisse zur Entwicklung neuer Therapieansätze in der regenerativen Medizin führen.
Dem Forschungsgebiet der Stammzellalterung wird aufgrund der vor uns liegenden Veränderungen der Altersstruktur in Zukunft eine größere Beachtung. Die Universität Ulm plant deswegen diesen Forschungsschwerpunkt zu einem zentralen Forschungsschwerpunkt der Universität auszubauen und diesen durch gezielte zukünftige Berufungen zu verstärken.

Infobox: Stammzellen

  • Embryonale Stammzellen: ES-Zellen entstehen in der frühen Embryonalentwicklung. ES Zellen sind pluripotent, was heißt, dass sie sich in multiple Zell- und Gewebstypen differenzieren können. In der Forschung verwendete ES-Zellen werden aus frühen Embryonen gewonnen. Die Nutzung menschlicher ES Zellen wird kontrovers diskutiert. Diese Zellen werden aus im Überschuss entstehenden Embryonen gewonnen, die im Rahmen der in vitro Fertilisation entstehen und die ansonsten vernichtet werden würden.
  • Induzierte pluripotente Stammzellen: IPS-Zellen sind ebenfalls pluripotent. Diese Pluripotenz entspricht aber nicht der von ES-Zellen, woraus sich therapeutische Einschränkungen ergeben könnten. IPS-Zellen werden aus differenzierten Zellen hergestellt, z. B., aus Fibroblasten einer Hautbiopsie. Hierzu werden genetische Faktoren in die Zelle eingebracht, welche zur Reprogrammierung der differenzierten Zellen in eine undifferenzierte Stammzelle führen. Neben der gestörten Pluripotenz ist insbesondere das Risiko der malignen Entartung ein Hauptproblem, das dem therapeutischen Nutzen von IPS-Zellen derzeit entgegensteht.
  • Adulte Stammzellen: Körpereigene AS-Zellen kommen im Menschen in fast allen Geweben vor (Blut, Muskel, Gehirn, Darm, Leber, etc.). AS-Zellen haben im Vergleich zu ES-Zellen oder IPS-Zellen eine eingeschränkte Potenz, können sich aber in verschiedene Zelltypen im jeweiligen Organ entwickeln. AS-Zellen tragen wesentlich zum Organerhalt und zur Regeneration von Organen im Laufe der Lebensspanne bei. Im Alter und im Endstadium chronischer Erkrankungen kommt es zu einem Nachlassen der AS-Zellfunktion, was zur Verminderung des Organerhalts beiträgt.

Kontakt

  • Prof. Dr. med. Karl Lenhard Rudolph
  • Institut für Molekulare Medizin und
    Max-Planck-Forschungsgruppe Stammzellalterung
  • Albert-Einstein-Allee 11
  • 89081 Ulm
  • Telefon: +49 (0)731/50-36100
  • Telefax: +49 (0)731/50-36102