Die psychische Situation von Geflüchteten

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Gewalt, Krieg und die Angst, nicht zu überleben – Geflüchtete haben oft Schreckliches erlebt. Rund 40 Prozent leiden unter psychischen Folgen. Ihre Betreuung muss sich besonderen Herausforderungen stellen.

Es sind Bilder und Erlebnisse, die oft lange nachwirken: Gewalt- oder Kriegserfahrungen, Misshandlungen, Terror, Hunger oder die mitunter lebensbedrohlichen Umstände bei der Überquerung des Meeres. Schätzungen gehen davon aus, dass 80 Prozent der Geflüchteten vor oder während ihrer Flucht traumatisierenden Erfahrungen ausgesetzt waren. Rund 40 Prozent der Migrantinnen und Migranten tragen Studien zufolge psychische Probleme davon. Zumeist äußern sich diese in posttraumatischen Stresssymptomen. Nicht selten haben sie  auch einen Einfluss darauf, ob die Integration gelingt.

Besonders psychisch belastet sind Frauen und Minderjährige. Zumeist kommen sie aus männlich dominierten Gesellschaftssystemen, in denen die Abwesenheit einer männlichen Begleitung ein zusätzliches Risiko bedeutet. Ihre Schutzlosigkeit macht die Frauen und Kinder häufiger zu Opfern von Gewalt und Willkür. Aber auch erwachsene Männer tragen teils schwer an den Erlebnissen, die ihnen vor oder während der Flucht widerfahren sind: Diskriminierung, Verfolgung, Vertreibung, Inhaftierung, Folter oder der Verlust von Familienangehörigen. Viele Migrantinnen und Migranten sind auf dieser gefährlichen Passage außerdem sexuellem Missbrauch ausgeliefert.

 

So verwundert es kaum, dass die posttraumatische Belastungsstörung PTSB das am häufigsten bei Geflüchteten diagnostizierte seelische Leiden ist. Verglichen mit westlichen Bürgern haben Migrantinnen und Migrantinnen ein mehr als zehnfach höheres Risiko, an PTSB zu erkranken.

Mit der Ankunft in einem westlichen Land verflüchtigen sich die Probleme keineswegs – im Gegenteil. Der schwierige Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen, die oft unwürdige Wohnsituation in Flüchtlingsunterkünften oder Camps und die kulturellen sowie sprachlichen Barrieren manövrieren Geflüchtete häufig in eine soziale Isoliertheit. Abgeschnitten von ihrer Herkunftsfamilie und -kultur, ohne die bisherige Gemeinschaft und ohne Arbeit erleben sich Migrantinnen und Migranten als unwillkommen und stigmatisiert. Forschungen zufolge entwickeln viele von ihnen zusätzliche Ängste und Depressionen, bereits vorhandene psychische Probleme können sich verschlimmern.

Gerade hier klaffen Unterschiede zwischen der öffentlichen Wahrnehmung und dem tatsächlichen Zustand der Geflüchteten. Therapeutische Angebote, wenn sie denn überhaupt vorhanden sind, fokussieren vorwiegend auf die erlittenen Traumata. Die aktuelle Situation der Geflüchteten, ihre Probleme der Integration, ihre finanzielle Unsicherheit oder die Angst vor Abschiebung bleiben dabei oft außen vor. Doch gerade diese Umstände erleben die Betroffenen nicht selten als belastender als die Erfahrungen vor oder während der Flucht. Erschwerend wirkt dabei der Verlust des sozialen Netzwerks von Familie, Freunden und anderen Gruppen.

Hilfsangebote müssten darauf fokussieren, diese Ressourcen nach Möglichkeit wieder zu schaffen und zu stärken. Auch sollten sie die kulturellen Unterschiede stärker berücksichtigen. Die größte Herausforderung bei der Behandlung von psychisch erkrankten Migrantinnen und Migranten liegt in der geforderten Kompetenz und Empathie, die oft sehr anderen Wert- und Glaubensvorstellungen zu begreifen.