Dauerstress stört die Frakturheilung
Überreaktionen des Immunsystems behindern Knochenneubildung

Ulm University

Wenn Knochen brechen, dauert es schon im Normalfall Wochen, bis diese wieder verheilt sind. Ein Forscherteam der Universität Ulm hat nun gemeinsam mit Fachkollegen aus Kalifornien herausgefunden, dass chronischer psychosozialer Stress die Knochenheilung massiv behindert. In der aktuellen Studie konnten sie zudem zeigen, dass sich diese stressbedingten Knochenheilungsstörungen mit Hilfe des Betablockers Propranolol beheben lassen. Dieser blockiert die Kommunikation von Stresshormonen des sympathischen Nervensystems mit verschiedenen Immunzellen und verhindert damit eine stressvermittelte Überreaktion des Immunsystems.

Menschen, die Extremsituationen erlebt haben - ob im Krieg, auf der Flucht sowie als Missbrauchs-, Gewalt- oder Verkehrsunfallopfer - leiden häufig unter einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS). Die Folgen einer solchen extremen Stresserfahrung machen sich nicht nur psychisch, sondern auch physisch bemerkbar. So sind Menschen mit PTBS deutlich häufiger von chronisch-entzündlichen Erkrankungen betroffen und haben zudem ein viel höheres Frakturrisiko. "Wir haben uns deshalb gefragt, ob sich ein solches Stresssyndrom auch negativ auf die Frakturheilung auswirkt", erklärt Professor Stefan Reber, Leiter der Sektion für Molekulare Psychosomatik an der Ulmer Universitätsklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie. Gemeinsam mit dem Institut für Unfallchirurgische Forschung und Biomechanik der Universität Ulm haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nun erforscht, ob und wie sich chronischer psychosozialer Stress auf Knochenheilungsprozesse auswirkt. Dabei haben sie einen zentralen molekularen Mechanismus aufgedeckt, der die Wirkung von chronischem Stress auf das Immunsystem und die Regeneration von Knochengewebe vermittelt. Über die Blockade dieses Signalwegs ließ sich die Frakturheilungsstörung schließlich sogar medikamentös aufheben.

Überschießende Immunreaktionen an der Bruchstelle behindern Knochenneubildung

"Bricht sich jemand das Bein, treten kurz danach an der Bruchstelle lokale Immunreaktionen auf. Der Körper sondiert sozusagen die Lage und beseitigt schadhaftes Gewebe. Mit der Zeit überwachsen Knochenzellen den bruchbedingten Spalt und der Bruch heilt ab", erklärt Professorin Anita Ignatius die normalen Heilungsprozesse. Die Direktorin des Instituts für Unfallchirurgische Forschung und Biomechanik gehört zum Sprecherkreis des Ulmer Trauma-Sonderforschungsbereichs, in dem die molekularen Wechselwirkungen von physischen und psychischen Traumata beforscht werden. Bei langanhaltendem Stress kommt es jedoch zu Störungen dieser akuten immunologischen Prozesse und zu einem Überschießen der Entzündungsreaktion. So entwickeln sich einerseits im Knochenmark vermehrt Immunzellen wie Neutrophile Granulozyten, die an der Bruchstelle in die dort entstandenen Hämatome einwandern. Andererseits ist die Umwandlung von Knorpel zu Knochen und damit die Knochenneubildung gestört, wie sich in der Ulmer Studie zeigte. Die Biegesteifigkeit der Knochen nimmt messbar ab, und das neu gebildete Knochengewebe an der Bruchstelle wird nicht mehr so hart.

Der Betablocker Propranolol lindert die Stresswirkung und fördert die Heilung

Ein weiterer Befund der in der renommierten Fachzeitschrift PNAS jüngst publizierten Untersuchung: Die überschießende Immunreaktion und die Störung der Geweberegeneration wird über einen molekularen Signalweg vermittelt, an dem bestimmte Rezeptoren beteiligt sind, die auf Adrenalin reagieren (ß-Adrenozeptoren). Es besteht also eine Verbindung zum sogenannten sympathischen Nervensystem. Dies ist ein Teil des vegetativen Nervensystems, über das der Körper auf Stress und Gefahren reagiert. "Dieser Adrenalin-vermittelte Signalweg konnte durch die Gabe von Propranolol unterbrochen werden. Damit normalisierten sich nicht nur die Immunreaktionen, sondern auch die Knochenheilung verlief wieder ungestört", fasst Dr. Melanie Haffner-Luntzer das Ergebnis der Studie zusammen. Die Molekularmedizinerin vom Institut für Unfallchirurgische Forschung und Biomechanik teilt sich mit Sandra Förtsch aus der Arbeitsgruppe von Professor Reber die Erstautorenschaft für die Studie. Zum Einsatz kam in diesem Projekt ein Mausmodell für chronischen psychosozialen Stress. Hierfür wurden männliche Mäuse 19 Tage lang gemeinsam in einem Käfig gehalten. Die von Unterordnung und Dominanzverhalten geprägten sozialen Interaktionen bedeuten für die Männchen ein hohes Maß an Stress. Dieses sogenannte "chronic subordinate colony housing" (CSC) Modell gilt auch als präklinisch validiertes Mausmodell für Posttraumatische Belastungsstörungen (PTSD).

 Bessere Therapien für Menschen mit Posttraumatischen Belastungsstörungen

"Die grundlegenden Erkenntnisse aus dieser neuen Studie bringen nicht nur Licht in das komplexe Wechselspiel zwischen Nervensystem, Immunsystem und Geweberegenation. Sie werden sicherlich auch dabei helfen, Knochenbrüchen bei Menschen mit Posttraumatischen Belastungsstörungen wirkungsvoller zu behandeln", sind sich die Forscherinnen und Forscher einig. Dies können schwerverletzte Verkehrsunfallopfer sein oder Soldaten aus Kriegseinsätzen.

 Gefördert wurde das Forschungsvorhaben, an dem auch Wissenschaftler der University of California beteiligt waren, unter anderem im Rahmen des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Sonderforschungsbereichs SFB 1149 "Gefahrenantwort, Störfaktoren und regeneratives Potential nach akutem Trauma", der 2018 verlängert wurde.

Text und Medienkontakt: Andrea Weber-Tuckermann

 

Röntgenaufnahmen einer Unterarmfraktur
Röntgenaufnahme einer Unterarmfraktur (Aufnahme: Uniklinikum Ulm)
ewebeschnitte ohne (links) und mit Stressauswirkung
Normalerweise bilden sich im neu gebildeten Gewebe an der Bruchstelle neue Blutgefäße aus. Diese sind auf dem histologischen Schnitt (links) mit schwarzen Pfeilen gekennzeichnet. Bei chronischem psycho-sozialen Stress ist die Gefäßneubildung an der Bruchstelle dagegen gestört, wie die rechte Aufnahme zeigt. (Abbildung: Dr. Melanie Haffner-Luntzer)
Prof. Stefan Reber (links) und Prof. Anita Ignatius
v.l.: Prof. Stefan Reber (Foto: Uniklinik Ulm) und Prof. Anita Ignatius (Foto: Elvira Eberhardt / Uni Ulm)
Dr. Melanie Haffner-Luntzer (links) und Sandra Förtsch
Die beiden Erstautorinnen der Studie v.l.: Dr. Melanie Haffner-Luntzer und Sandra Förtsch (Fotos: privat)