Erstes Bose-Einstein-Kondensat im All erzeugt
Forschung mit ultrakalten Atomen in der Schwerelosigkeit

Deutschen Wissenschaftlern ist es zum ersten Mal gelungen, ein sogenanntes Bose-Einstein-Kondensat (BEK) im Weltall zu erschaffen. Anfang des Jahres hob die Forschungsrakete MAIUS-1 mit der Apparatur ab. Theoretisch betreut und unterstützt wurde das Projekt unter der Federführung der Leibniz Universität Hannover auch von Wissenschaftlern vom Institut für Quantenphysik der Universität Ulm.

Unter dem Namen MAIUS (Materiewellen-Interferometrie unter Schwerelosigkeit) startete das Experiment vom Raumfahrtzentrum Esrange bei Kiruna in Nordschweden seine 243 Kilometer hohe Reise ins All. An Bord: Eine extrem kleine Anlage, die es ermöglichte, BEK zu erzeugen und für Interferometrie-Experimente zu nutzen.

Die MAIUS-Rakete (Quelle: DLR/Leibniz Universität Hannover)

Allein die Konstruktion und Verkleinerung der Apparatur war eine der großen Herausforderungen des MAIUS-Projekts – normalerweise füllt eine solche Anlage einen ganzen Laborraum. Möglich wurde das unter anderem durch neu entwickelte Atomchips, die BEK auf kleinstem Raum in weniger als zwei Sekunden erzeugen können.

Atome in der „Falle“

Bei MAIUS-1 verwendeten die Forscher Rubidium-Atome, abgekühlt auf nahezu -273 Grad Celsius, den absoluten Nullpunkt. Dazu werden die Teilchen durch Laserstrahlen abgebremst und in einer magnetischen „Atom-Falle“ gehalten. Die kältesten und damit unbeweglichsten Teilchen bilden dann zusammen ein makroskopisches Quantenobjekt, ein BEK. In diesem Zustand offenbaren Atome und Moleküle ein geheimnisvolles Doppelleben: einerseits verhalten sie sich wie Teilchen, andererseits wie eine Materialwelle.

Der 3 mal 3 Zentimeter große Atomchip der MAIUS-Apparatur zu Kühlung von Atomen (Quelle: MAIUS-Projektteam/J. Matthias)

Die Welleneigenschaften von Materie können mittels eines Verfahrens, das Interferometrie genannt wird, nachgewiesen und ausgenutzt werden. Durch langanhaltende Schwerelosigkeit, wie etwa während des freien Falls einer Forschungsrakete oder an Bord eines Satelliten, soll dieses Messverfahren besonders aussagekräftig gemacht werden. Dies erlaubt es den Wissenschaftlern, experimentelles Neuland zu betreten und über weitere Anwendungsmöglichkeiten für BEK nachzudenken. Zum Beispiel könnten BEK als Quantensensoren in Satelliten für präzisere Geodäsie, das heißt die Vermessung der Erdoberfläche, sorgen oder eine satellitenunabhängige Alternative zur GPS-Navigation darstellen. Besonders spannend ist für die Forscher aber auch die Möglichkeit, mittels Quantenmaterie das Einstein‘sche Äquivalenzprinzip von schwerer und träger Masse zu überprüfen - einem Eckpfeiler des derzeitigen physikalischen Weltbilds.

Experimente verstehen

Diese Gedanken beschäftigen auch Professor Wolfgang Schleich, Dr. Albert Roura und ihr Team am Institut für Quantenphysik der Universität Ulm bei der theoretischen Betreuung von MAIUS. Sie versuchen, die Experimente mit entsprechenden Modellen zu reproduzieren. Denn nur ein umfassendes Verständnis erlaubt Aussagen mit der nötigen Präzision. Zusammen mit ihren Projektpartnern analysieren und interpretieren die Wissenschaftler dazu aktuell die Ergebnisse und bereiten sie für eine Veröffentlichung auf. Diese Erkenntnisse fließen dabei als Verbesserungen und Ideen auch direkt in die nächsten MAIUS-Experimente ein, die bereits 2018 und 2019 starten sollen.

Das langfristige Ziel ist es, die Natur auf diesem Weg nach Antworten zu fragen, die mit bisherigen Experimenten so nicht gestellt werden konnten.

Wolfgang Zeller, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Quantenphysik.

Die Forschungsrakete mit MAIUS-1 an Bord startet (Quelle: SSC)

Deutscher Forschungsverbund hinter MAIUS-1

Das Projekt MAIUS-1 steht unter der wissenschaftlichen Leitung der Leibniz Universität Hannover im Verbund mit der Humboldt-Universität und dem Ferdinand-Braun-Institut in Berlin, dem Zentrum für angewandte Raumfahrttechnologie und Mikrogravitation der Universität Bremen, der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, der Universität Hamburg, der Universität Ulm und der Technischen Universität Darmstadt. Dem Forschungsverbund gehörten auch die Institute für Raumfahrtsysteme des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Bremen, für Raumflugbetrieb und Astronautentraining - hier die Mobile Raketenbasis MORABA - in Oberpfaffenhofen sowie die DLR-Einrichtung für Simulations- und Softwaretechnik in Braunschweig an. Koordiniert und unterstützt wird das Projekt vom DLR Raumfahrtmanagement mit Mitteln des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi).

Bose-Einstein-Kondensat (BEK)

    Bereits 1924 beschrieb Albert Einstein auf Grundlage einer Arbeit von Satyendranath Bose den besonderen Zustand von Atomen und Molekülen bei tiefsten Temperaturen in der Theorie. Ihnen zu Ehren trägt das BEK ihre beiden Namen.

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