News

Tierversuche ersetzen, reduzieren und verbessern
Universität Ulm am landesweiten 3R-Netzwerk beteiligt

Ulm University

Auf der Suche nach hochwirksamen Krebstherapien oder neuen Behandlungen für Unfallopfer kann auf Tierexperimente noch nicht verzichtet werden. Neben der Forschung zu alternativen, tierfreien Methoden wollen Forschende der Universität Ulm notwendige Tierexperimente so wenig belastend wie möglich gestalten. Für ein neues Projekt zu Refinementmaßnahmen, also verbesserten Rahmenbedingungen bei Tierversuchen, und für Schulungen erhält die Universität Ulm über 300 000 Euro vom Landesministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst (MWK). Das dreijährige Ulmer Vorhaben ist Teil eines  baden-württembergischen 3R-Netzwerks: Durch Richtlinien und gezielte Weiterbildungsmaßnahmen sollen Bedingungen bei notwendigen Experimenten im Tiermodell optimiert und vereinheitlicht werden. Insgesamt stellt das MWK rund 3,8 Millionen Euro für Projekte innerhalb des Netzwerks bereit.
 
„Ich freue mich, dass die Universität Ulm ihre langjährige Erfahrung in diesem Bereich in das neue 3R-Netzwerk einbringt und mit dazu beiträgt, den Tierschutz in Forschung und Lehre landesweit voranzubringen. Das Netzwerk bringt alle Standorte der biomedizinischen Forschung in Baden-Württemberg zusammen, bündelt die breit vorhandene Expertise und zielt dabei neben einer kontinuierlichen Auseinandersetzung mit dem Thema Tierschutz auch auf die Verbesserung der Forschungsqualität insgesamt ab“, so Wissenschaftsministerin Theresia Bauer.

Die häufigste Todesursache bei jüngeren Menschen unter 45 Jahren sind schwere körperliche Verletzungen – oftmals ausgelöst durch Unfälle. Über alle Altersgruppen hinweg sterben die meisten Patientinnen und Patienten an Herz-Kreislauferkrankungen und Krebs. An der Universität Ulm wird auf höchstem Niveau zu Traumata und ihren Folgen sowie zu neuen Krebstherapien oder altersassoziierten Krankheiten geforscht. Dabei sind nach wie vor Tierversuche nötig, denn komplexe Wechselwirkungen können oft nur im lebenden Organismus nachvollzogen werden. Auch die jetzt zugelassenen Corona-Impfstoffe wurden zunächst im Tiermodell erprobt.
An der Universität Ulm kommen meist Mäuse zum Einsatz, die ähnliche Krankheitszustände wie Unfallopfer, Krebskranke oder etwa Menschen mit neurodegenerativen Erkrankungen aufweisen. „So lange es keine gleichwertigen, tierfreien Alternativen zu solchen Experimenten gibt, müssen wir Wege finden, um die Belastung der Tiere auf ein Minimum zu reduzieren“, sagt Professor Jan Tuckermann, Leiter der Tierforschungskommission der Universität Ulm. Genau dieses Ziel verfolgt das neue Projekt „Etablierung und Verbesserung von Refinementmaßnahmen für Tiere“, das Teil des baden-württembergischen 3R-Netzwerks ist. 3R steht für „Replacement, Reduction und Refinement“ – also Ersatz, Verringerung und Verbesserung von Tierexperimenten.

Belastungen dokumentieren und möglichst vermeiden

An der Universität Ulm wird die Belastung der Tiere schon jetzt kontinuierlich mit „Score sheets“ überwacht und festgehalten. Im Zuge des neuen Projekts sollen solche Refinementmaßnahmen standardisiert und landesweit eingesetzt werden. Weitere Mittel zur Verbesserung der experimentellen Rahmenbedingungen reichen von zusätzlichen Verstecken und Nestbaumaterialien bis zur berührungsfreien Medikamentengabe. „Wenn Tiere eingefangen werden, um sie zu untersuchen oder um ihnen Wirkstoffe wie Schmerzmittel zu verabreichen, bedeutet das Stress für sie. Es gilt also Wege zu finden, Medikamente über Gele oder das Trinkwasser zu geben“, erklärt die Leiterin des Tierforschungszentrums, Dr. Inken Beck. Ziel seien daten- und erfahrungsbasierte Anleitungen, die auch anderen Gruppen im Land zur Verfügung stehen.

Im Vorfeld des neuen Projekts haben die Ulmer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Untersuchungen aus der Traumaforschung begleitet und Belastungs-Parameter identifiziert. Demnach lässt sich Stress über den Cortisolwert in den Ausscheidungen der Tiere messen. Stoffwechsel-Parameter werden über den Energieverbrauch erfasst. Bei der Einschätzung des Zustands der Tiere helfen künftig so genannte Phenotyping-Käfige, die einige Messungen automatisiert und somit stressfrei durchführen.
Im baden-württembergischen 3R-Netzwerk werden die Ulmer Forschenden ihr Wissen zum Refinement in Schulungen und Leitfäden weitergeben. Besonders wichtig ist ihnen der flächendeckende Einsatz einheitlicher Score sheets, mit denen Verhalten und Gesundheitszustand der Tiere dokumentiert werden.

5R-Kurse sollen das Qualitätsmanagement verbessern

Darüber hinaus bieten Dozierende um Dr. Sibylle Ott, Tierärztin an der Uni Ulm, anerkannte 5R-Kurse zur Qualitätsverbesserung von Tierexperimenten an – die beiden zusätzlichen „Rs“ stehen für Genauigkeit und Reproduzierbarkeit (Rigour and Reproducibility) von Versuchen. Die mit 16 000 Euro geförderten Weiterbildungen richten sich an Forschende, Tierschutzbeauftragte, Behördenvertreter oder fortgeschrittene Studierende. Teilnehmende sollen in die Lage versetzt werden, Belastungen im Tierversuch zu erkennen und zu reduzieren. Insgesamt trägt ein funktionierendes Qualitätsmanagement dazu bei, dass die Versuche wiederholbar und Ergebnisse schneller auf den Menschen übertragbar werden.

Alle Aktivitäten zur Verbesserung von Tierversuchen laufen parallel zur Entwicklung tierfreier Alternativen. An der Universität Ulm wird beispielsweise intensiv an einem menschlichen Vollblutmodell zur Simulation von Gerinnungs- und Abwehrvorgängen gearbeitet. Weiterhin entwickeln Forschende „Minidärme“, „Minigehirne“ oder künstliche, zellbasierte Lungenbläschen, um Tierversuche ersetzen zu können. In einigen Fällen helfen Computersimulationen dabei, Vorgänge im menschlichen Körper zu verstehen. Trotz dieser Alternativen werden Forschende in absehbarer Zeit nicht auf Tierversuche verzichten können. Umso wichtiger sind die in Ulm beforschten Refinement-Maßnahmen und das Engagement im landesweiten 3R-Netzwerk.

Grundsätze zur Tierforschung an der Universität Ulm

 

Text und Medienkontakt: Annika Bingmann

Maus im Tierforschungszentrum
Maus im Tierforschungszentrum der Universität Ulm (Foto: Eberhardt/Uni Ulm)