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Neue Heisenberg-Professur für Molekulare Psychologie
Der Smartphone-Sucht im Genetiklabor auf der Spur

Universität Ulm

„Das Smartphone bringt uns den Kick im Alltag: Aktivieren wir das Gerät, wartet oft eine Belohnung auf uns – in Form einer netten Nachricht, eines Facebook-Kommentars oder Spiels“, weiß der neue Heisenberg-Professor für Molekulare Psychologie an der Universität Ulm, Christian Montag. „Ist das Gerät nicht verfügbar, zeigen einige Nutzer sogar Entzugserscheinungen wie bei anerkannten Suchtkrankheiten.“ Im Zuge des DFG-Projekts „Biologische Grundlagen von Internet- und Computerspielsucht“ untersucht der Psychologieprofessor, ob es genetische Varianten gibt, die exzessive Mediennutzung begünstigen – ähnlich wie bei Nikotin- oder Alkoholabhängigkeit. Auch abseits des neuen Forschungsfelds „Psychoinformatik“ hat Montag an der Uni Ulm große Pläne: Eine Datenbank soll dabei helfen, genetische Grundlagen von Depressionen aufzudecken. Weiterhin beschäftigt er sich etwa mit psychobiologischen Komponenten des Stotterns oder von Wirtschaftsentscheidungen („Neuroökonomik“). Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) finanziert seine Heisenberg-Professur für voraussichtlich fünf Jahre.

Alle zwölf Minuten aktivieren Studierende tagsüber ihr Smartphone. Dieser Durchschnittswert wurde mit der App „Menthal“ gemessen, die Christian Montag gemeinsam mit dem Bonner Informatiker Juniorprofessor Alexander Markowetz für Studienzwecke entwickelt hat. Das Smartphone unterbricht also ständig Berufs- und Privatleben – was den Nutzern nicht immer bewusst ist. „Würden wir junge Erwachsene zu ihrer Handynutzung befragen, bekämen wir sehr ungenaue und womöglich ,sozial erwünschte‘ Angaben. Deshalb verlassen wir uns – mit Einverständnis der bislang rund 50 000 Menthal-Anwender – auf das Smartphone als günstige und langfristige Datenquelle“, erklärt Professor Montag. Mit ihrer App erforschen die Wissenschaftler, wie viel Handygebrauch normal ist. Smartphone- oder Internetsucht definiert Montag unter anderem als ständige Nutzung und gedankliche Beschäftigung mit Online Inhalten, vor allem mit sozialen Netzwerken und Games. Daneben spielen Entzugserscheinungen und Toleranzentwicklung – der Nutzer muss seinen Medienkonsum also ständig steigern, um das gleiche Glücksgefühl zu erfahren – eine wichtige Rolle.

Smartphone-Daten in Forschung und Therapie

Das Mobiltelefon ist also potentielles Suchtmittel und psychologisches Messinstrument zugleich. Darüber hinaus könnte es aber auch bei der Psychotherapie eine wichtige Rolle spielen. Hier überprüft Montag, ob Patienten in depressiven Phasen ihr Handy-Nutzungsverhalten ändern, weniger mit anderen kommunizieren und – das GPS verrät es – öfter zu Hause bleiben. Dank solcher quantitativen Handydaten könnten Psychologen in Zukunft den Krankheitsverlauf verfolgen und zeitnah eingreifen. „Konzerne wie Google und Facebook sammeln unsere Daten zu kommerziellen Zwecken. Bei ausreichender Transparenz sehe ich kein Problem darin, solche Metadaten für die Forschung oder Therapie auszuwerten“, sagt der Psychologe. Mithilfe bildgebender Verfahren überprüfen die Wissenschaftler um Montag zudem, ob sich bei Personen mit exzessiver Internet- beziehungsweise Smartphonenutzung Veränderungen in suchtrelevanten Hirnarealen finden.

Der 37-Jährige möchte jedoch nicht nur auf seine Smartphone-Studien reduziert werden. Mit molekulargenetischen Methoden erforscht er zudem, wie Umwelteinflüsse bei Patienten mit entsprechender genetischer Disposition Depressionen auslösen („Epigenetik“). Andere Projekte zu primären, also angeborenen Emotionssystemen wie Furcht und Fürsorge oder zu „Sport und Alzheimer“ zeigen, wie breit Christian Montag  aufgestellt ist. Die Verbindung von Psychologie und Molekulargenetik zieht sich jedoch wie ein roter Faden durch seine Arbeit.

Auf Umwegen zur Heisenberg-Professur

Dabei war Montags Weg in die Wissenschaft alles andere als geradlinig. Nach einer Bankausbildung und einer Zeit als technischer Redaktionsassistent beim Privatfernsehen studierte er Psychologie in Gießen – begleitet von einem China-Aufenthalt als Deutschlehrer sowie unter anderem Praktika im Deutschen Bundestag und in einer Justizvollzugsanstalt. Auch eine Karriere als Musiker schien möglich: Mit seiner Band „The Wildflowers“ trat der damalige Student im Vorprogramm bekannter Gruppen auf, heimste für die Webpräsenz den „MTV und Yahoo Online Award“ sowie einen Plattenvertrag ein. Inzwischen erforscht Professor Montag die (therapeutische) Wirkung von Musik, seine „Bühne“ ist heute der Hörsaal. „Als Wissenschaftliche Hilfskraft habe ich mein Interesse für die Forschung und besonders die Molekulare Psychologie entdeckt, nach dem Studium in Bonn promoviert und mich habilitiert“, erinnert sich der vielseitige Professor. Nun gibt er seine Begeisterung an Studierende und die breite Öffentlichkeit weiter: Im vergangenen Jahr bereicherte er beispielsweise das Ausstellungsschiff „MS Wissenschaft“ mit zwei DFG-geförderten Exponaten zur Mobiltelefonnutzung und Internetsucht.

Für die Heisenberg-Professur hat der bekennende Kölner – ein signiertes BAP-Poster und ein Wimpel des 1. FC Köln schmücken sein Dienstzimmer – sogar das Rheinland verlassen: „An der Universität Ulm reizt mich das exzellente Forschungsumfeld mit naturwissenschaftlicher Ausrichtung. Zudem ermöglichen die Schwerpunkte Mensch und Technik sowie Mensch und Gesundheit in der Psychologie interessante Kooperationen“, so der Forscher.

Die Heisenberg-Professur bereitet „berufbare“ Nachwuchswissenschaftler auf eine wissenschaftliche Leitungsposition vor. Kandidaten müssen sich einer Begutachtung der DFG unterziehen und dann eine Hochschule finden, an der sie ein neues Forschungsgebiet etablieren können. Die Einrichtung muss auf der anderen Seite darstellen, inwiefern die Heisenberg-Professur eine strukturelle Erweiterung für sie darstellt.
Fallen Evaluationen der DFG und der aufnehmenden Hochschule in den kommenden fünf Jahren positiv aus – nach drei Jahren entscheidet die DFG, ob sie den Forscher für weitere zwei Jahre finanziert – wird die Stelle in eine unbefristete Professur umgewandelt. Christian Montag hat nach Anita Marchfelder (Institut für Molekulare Botanik) die zweite Heisenberg-Professur an der Uni Ulm erhalten.

 

 

Zum DFG-Projekt „Biologische Grundlagen von Internet- und Computerspielsucht“

Seit 2012 untersuchen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler um Professor Christian Montag im DFG-Projekt „Biologische Grundlagen von Internet- und Computerspielsucht“, warum Menschen das Internet nutzen, und ob es eine Internetsucht gibt.
Ist exzessiver Medienkonsum erblich bedingt? Mit Zwillingsstudien forschen Psychologen aus Saarbrücken (Prof. Dr. Frank Spinath, Dr. Elisabeth Hahn) gemeinsam mit Christian Montag  zur  Rolle von Genen und Umwelteinflüssen bei einer möglichen Internetsucht. Mit molekulargenetischen Methoden hat Montag bereits festgestellt, dass es eine Verbindung zwischen einer Genvariante, die zuvor mit Nikotinabhängigkeit assoziiert worden ist, und suchtartiger Mediennutzung gibt.
Im Magnetresonanztomographen (MRT) untersuchen Christian Montag und seine Kollegen zudem, ob Online-Computerspiele die Hirnstruktur und -funktion ihrer Nutzer verändern. Dabei haben sie das bekannte Spiel „World of Warcraft“ im Visier. Sind durch Handy-Metadaten Aussagen über den psychischen Zustand einer Person möglich? Ist eine weitere Forschungsfrage, die Montag mit seinen ehemaligen Bonner Kollegen beantworten möchte.

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Verantwortlich: Annika Bingmann