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Als Gastprofessor aus Amerika in Ulm:
Neue Wege zur Uni, neue Wege in der Physik

Universität Ulm

Eigentlich forscht und lehrt Professor Miles Blencowe am Dartmouth College, einer amerikanischen Universität, die wie Harvard zur elitären „Ivy League“ gehört. In letzter Zeit hat sich das Institut für Theoretische Physik zur zweiten Heimat des Wissenschaftlers entwickelt. In Ulm untersucht er gemeinsam mit Joachim Ankerhold, Professor am Institut für Theoretische Physik, die Eigenschaften mesoskopischer Systemen. Die Größenordnung dieser Systeme liegt zwischen dem mikroskopischen und dem mit bloßem Auge sichtbaren makroskopischen Bereich. „Mesoskopische Systeme haben interessante Eigenschaften: Teilweise folgen sie Regeln der Quantenmechanik, teils verhalten sie sich gemäß der klassischen Physik“, erklärt Blencowe. Bei ihren Untersuchungen zwischen Theorie und Experiment würden sie viel über den Grenzbereich der „physikalischen Welten“ lernen.  Anwendungsmöglichkeiten dieser mesoskopischen Systeme könnten sich auf dem Weg zum leistungsfähigen Quantencomputer ergeben oder bei der Entwicklung extrem sensitiver Detektoren, die einzelne Lichtteilchen oder winzige Moleküle aufspüren.

Kennengelernt haben sich der Professor aus Amerika mit englischen Wurzeln und der Ulmer Physiker bei einer Tagung. Schnell stellten sie gemeinsame Interessen fest und Joachim Ankerhold beantragte eine Gastprofessur bei der Carl-Zeiss-Stiftung. Allerdings ist Miles Blencowe durch seine derzeitige Tätigkeit als „Studiendekan“ des Fachbereichs Physik am Dartmouth College (Hanover, New Hampshire) so eingespannt, dass er den einjährigen Ulm-Aufenthalt keinesfalls an einem Stück ableisten kann. Im Sommer ist er zum zweiten Mal für einige Wochen in die Donaustadt gereist. Zeitweise unterstützt sein amerikanischer Kollege, der Experimentalphysiker Professor Alex Rimberg, die beiden Theoretiker.

Blencowe genießt den Austausch mit den Ulmer Wissenschaftlern und die Tatsache, frei von Verwaltungsaufgaben forschen und lehren zu dürfen. Die besten Ideen kommen dem 48-Jährigen auf dem Weg zur Arbeit: „Jeden Tag laufe ich von meiner Wohnung in Söflingen zur Universität und zurück. Dabei habe ich schon viele Abkürzungen entdeckt und so manchen guten Einfall gehabt“, sagt der Naturwissenschaftler. Nach den größten Unterschieden zwischen der hiesigen Universität und Dartmouth College gefragt, muss Blencowe kurz nachdenken: An seiner Heimatuniversität müssten auch angehende Naturwissenschaftler Seminare aus den Geisteswissenschaften belegen. Außerdem sei Dartmouth noch internationaler ausgerichtet. Über Ulms Nachwuchsphysiker äußert er sich positiv und erzählt eine Geschichte  vom Tafel putzen: „Dieser Moment, in dem Formeln und Gedankengänge einfach mit dem Schwamm weggewischt  werden, gibt den Studenten Zeit zum Durchatmen“, sagt Blencowe. Deshalb würde er die scheinbar altmodische Technik gerne in den USA einführen. Ein erster Schritt ist getan: Seine Studenten haben ihm beim ersten Ulm-Aufenthalt im Januar einen echten deutschen Tafelwischer geschenkt.

Der Amerikaner war bereits Gastprofessor in Japan und hat während seiner Deutschlandaufenthalte an verschiedenen Universitäten, etwa in Berlin und München, Vorträge gehalten. Für Erkundungen im Ulmer Umland blieb bisher wenig Zeit. Das soll sich in diesem Sommer ändern: Gemeinsam mit seiner Familie will er die Alpen kennenlernen und dabei sicher viele neue Wege finden: zu Fuß, auf dem Fahrrad und auch in Gedanken. Miles Blencowe freut sich bereits auf seinen nächsten Ulm-Aufenthalt und hofft dann einen Wissenschaftler kennenzulernen, der seiner Alma Mater, dem Londoner Imperial College, ebenfalls verbunden ist: Professor Martin Plenio. 

von Annika Bingmann