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Gegensätze können sich gut riechen
Grillenweibchen wählen Partner aufgrund ihres aktuellen Eigengeruchs

Universität Ulm

Auf den ersten Blick scheint eine Grille der anderen zu gleichen. Deshalb haben die Insekten zuverlässige Mechanismen entwickelt, um Verwandte zu erkennen und so Inzucht zu vermeiden. Wie sie dabei vorgehen, war bisher nicht klar. Jetzt  hat eine Gruppe um die Ulmer Biologinnen Dr. Sandra Steiger und Alexandra Capodeanu-Nägler gezeigt, dass Grillenweibchen ihren Eigengeruch ständig mit dem Duft potentieller Partner abgleichen.
Aus früheren Studien ist nämlich bekannt, dass weibliche Insekten Männchen, die besonders verschieden riechen, und mit denen sie noch nicht kopuliert haben, bevorzugen. In ihrem Fachbeitrag im renommierten Journal „Current Biology“ weisen die Wissenschaftler also erstmals nach, dass nicht nur der Körpergeruch des paarungsbereiten Männchens, sondern auch der Duft des wählenden Weibchens bedeutend ist.

Wollen Menschen ihr Aussehen überprüfen, genügt ein Blick in den Spiegel. Aber woher kennen Grillen ihren Phänotyp („sichtbare Ausprägung des Erbguts“) und wie können sie erfassen, ob ihnen ein möglicher Partner ähnelt? Vermutungen reichen von einem Vergleich des Artgenossen mit Merkmalen der Mutter bis zu einer Gegenüberstellung mit dem eigenen Phänotyp – wobei fraglich ist, ob sich die Insekten auf eine einmal abgespeicherte „Schablone“ verlassen, oder ihr Selbstbild stets erneuern. Womöglich spielt die visuelle Wahrnehmung bei der Partnerwahl ohnehin eine untergeordnete Rolle und die Grillen verlassen sich auf ihren Hör- oder Geruchssinn. „Es gibt starke Hinweise darauf, dass chemosensorische Selbstreferenzmechanismen existieren, die Insektenweibchen also ihren ureigenen Geruch nutzen, um genetisch passende Männchen zu finden“, erklärt Dr. Sandra Steiger, Habilitandin am Ulmer Institut für experimentelle Ökologie.

Zum Hintergrund: Bei vielen Insekten verströmt die äußerste Hautschicht einen individuellen Geruch, der auf genetische Eigenschaften, Alter und Familienzugehörigkeit schließen lässt. Diese „Signatur“ übertragen Grillen bei der Kopulation auf das Männchen. Mit ihrem Riechorgan können sie also nicht nur enge Verwandte, sondern auch frühere Partner identifizieren und gegebenenfalls meiden.

Experiment mit Inzuchtlinien

Welche Rolle der aktuelle weibliche Eigengeruch von Kurzflügelgrillen bei der Partnerwahl spielt, wollten die Forscher im Experiment überprüfen. Dazu hat die damalige Masterstudentin  Alexandra Capodeanu-Nägler Untersuchungen mit seltenen Inzuchtlinien durchgeführt. Die Besonderheit: Innerhalb einer Linie sind die Geruchsprofile der Grillen sehr ähnlich, demgegenüber variieren die Linien untereinander recht stark. „Wir haben die Signatur der Linie B gewonnen und auf den Körper von Weibchen aus der Linie C aufgetragen, ihren Eigengeruch also manipuliert. Im Vergleich mit einer Kontrollgruppe wollten wir so herausfinden, ob sich die Grillen bei der Partnerwahl auf ihren aktuellen oder auf einen einmal im Gedächtnis abgespeicherten Geruch verlassen“, erklärt Capodeanu-Nägler.
In einem zweiten Schritt hat sie weiblichen Grillen aus beiden Inzuchtlinien zwei Männchen zugeführt. Mit einem Kandidaten hatten sich die Weibchen der Linie C bereits gepaart. Das zweite Männchen war den Insekten unbekannt, hatte aber bereits mit einer Vertreterin der Linie B kopuliert – deren Signatur den C-Weibchen ja aufgetragen worden war. Und tatsächlich erkannten die Grillen (Linie C)  ihren ehemaligen Partner nicht wieder, es kam erneut zur Kopulation. Demgegenüber wurde das Männchen mit der B-Signatur verschmäht.

Offenbar versichern sich die Insekten also ständig ihres Geruchs und richten ihr Verhalten dementsprechend aus – was auch die Kontrollgruppe bestätigte“, so die Biologinnen. Eine frühe Prägung durch Verwandte oder gar ein abgespeichertes, starres Selbstbild scheiden als Erklärung für die Selbstreferenz bei der Partnerwahl aus.

Das Experiment, das stundenlange Beobachtungen bei Infrarotlicht und hohen Temperaturen nötig machte, zeigt zusammenfassend: Grillen nutzen die chemosensorische Selbstreferenz bei der Partnerwahl und überprüfen stets ihren Eigengeruch. Dabei handelt es sich womöglich um einen weit verbreiteten Mechanismus, durch den Insekten genetisch kompatible Partner finden. Der Vorteil: Für die chemosensorische Selbstreferenz  braucht es keine Lern- und Gedächtnisleistungen.

Bei welchen Tieren die Liebe ebenfalls durchs Riechorgan geht, müssen weitere Experimente zeigen.

Dr. Sandra Steiger und ihre Doktorandin Alexandra Capodeanu-Nägler wurden von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) unterstützt. Die Versuche mit den seltenen Inzuchtlinien sind von Alexandra Capodeanu-Nägler an der britischen University of Exeter durchgeführt worden.

 

Alexandra Capodeanu-Nägler, James Rapkin, Scott K. Sakaluk, John Hunt, Sandra Steiger: Self-recognition in crickets via on-line processing. Current Biology. DOI: http://dx.doi.org/10.1016/j.cub.2014.10.050

 

Verantwortlich: Annika Bingmann