News

Werkstatt im Dienste der Wissenschaft
Neuer Bandscheiben-Belastungssimulator nimmt seinen Dienst auf

Universität Ulm

An der Uni Ulm arbeiten Wissenschaft und Werkstatt Hand in Hand. Wie erfolgreich diese Zusammenarbeit ist, zeigt der neue Bandscheiben-Belastungssimulator, der jetzt am Institut für Unfallchirurgische Forschung und Biomechanik (UFB) seinen Dienst aufgenommen hat. Das massive Gerät aus poliertem Stahl und Aluminium ist eine Spezialanfertigung der WWF.

Es kommt also aus der hauseigenen Wissenschaftlichen Werkstatt Feinwerktechnik. "Mit dieser Apparatur wollen wir den Ursachen eines Bandscheibenvorfalls auf den Grund gehen. Einzelne Bewegungssegmente aus der unteren Wirbelsäule können mechanisch so belastet werden, wie dies bei verschiedensten Dreh-, Beuge- und Hebebewegungen geschieht", erläutert Professor Hans-Joachim Wilke, der stellvertretende Institutsdirektor und Leiter des Forschungsbereichs Wirbelsäule im Institut. Die Wissenschaftler verwenden dafür biologische Bandscheibenpräparate, beispielsweise vom Schaf, die in Aufbau und Struktur der des Menschen gleichen. Aber auch humane Präparate selbst kommen zum Einsatz. 

Insgesamt hat es fast vier Jahre gebraucht, bis aus den ersten Zeichnungen und Konstruktionsentwürfen, nach zahlreichen Optimierungen der ersten Prototypen das fertige Gerät in Betrieb genommen werden konnte. Gefördert wurde die mehrjährige Entwicklung des Gerätes von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). "Die rein elektrisch betriebene Maschine kann über sechs getrennt regelbare Achsen unterschiedlichste Dreh- und Schwenkbewegungen ausführen und dabei zusätzlich verschiedenste Kompressionsbelastungen und Scherbeanspruchungen auf die Bandscheibe aufbringen", erläutert Nikolaus Berger-Roscher, Doktorand von Professor Wilke.

Gegen den Trend leistet sich die Uni eine hauseigene Werkstatt

  "Wir sind sehr froh, dass wir im Haus eine so hervorragend ausgestattete Wissenschaftliche Werkstatt haben. Dort wird phänomenale Arbeitet geleistet", lobt Berger-Roscher, und Wilke ergänzt: "Die Universität Ulm kann stolz sein, dass sie gegen den allgemeinen Trend eine hauseigene Werkstätte hat, wo selbst solche komplexe Apparaturen konstruiert und gebaut werden können." Und die Ulmer Biomechanik-Experten können dies in der Tat beurteilen. Beide sind studierte Maschinenbauer, spezialisiert auf Medizintechnik. Die ersten Zeichnungen und Konstruktionsentwürfe stammen von ihnen. Überhaupt sind Arbeitsgruppe und Institut sehr interdisziplinär. "Hier arbeiten Ingenieure, Mediziner und Naturwissenschaftler Hand in Hand, darunter Maschinenbauer, Informatiker, Tiermediziner und Molekularbiologen", zählt Wilke auf.

 Das erleichtert natürlich die Arbeit an der Schnittstelle zwischen Medizin und Mechanik und ist sicher eine gute Voraussetzung für die enge fachliche Zusammenarbeit mit der Werkstatt. "Der persönliche Kontakt im Haus macht es möglich, auftretende Probleme schnellstmöglich zu lösen. Mit externen Dienstleistern wäre das sicher viel schwieriger", meint Berger-Roscher. Die Wissenschaftliche Werkstatt Feinwerktechnik profitiert dabei insbesondere davon, dass sie als Ausbildungsbetrieb der Universität ihre eigenen Fachkräfte heranzieht.

Wie Alexander Vogel zum Beispiel: Der 1983 geborene Techniker für Maschinenbau, hat vor seinem Abschluss an der Ulmer Robert-Bosch-Schule in der Wissenschaftlichen Werkstatt der Uni eine Lehre als Feinwerkmechaniker gemacht und leitet jetzt die Konstruktion in der Feinwerktechnik. Bis zu 60 Projekte wickelt er als Konstrukteur pro Jahr für seine Auftraggeber ab. Vom Institutsleiter bis zum Studenten, vom Postdoc bis zum Techniker - seine Dienste sind viel gefragt. Dabei geht es meist um Apparatebau für größere Forschungsprojekte, aber auch um technische Unterstützung bei Abschlussarbeiten. Seit Sommer letzten Jahres arbeitet Vogel an der Konstruktion und Optimierung des sogenannten dynamischen Bandscheiben-Belastungssimulators, um ihm die Kinderkrankheiten auszutreiben. Gebaut wurde die massive Apparatur schließlich vom hauseigenen Metallbau unter der fachlichen Anleitung von Wolfgang Rapp.

Mit simulierten Belastungen dem Bandscheibenvorfall auf der Spur 

Berger-Roscher untersucht nun in seinem Promotionsprojekt mit Hilfe dieses Gerätes das Schädigungsverhalten der Bandscheibe. Mit Hilfe des Bandscheiben-Belastungssimulators soll geklärt werden, wie sich bestimmte Belastungen auf die Gewebestruktur der Bandscheibe auswirken. Dabei werden Gewebeschäden durch simulierte Belastungssituationen gezielt herbeigeführt. Diese künstlichen Bandscheibenverletzungen werden dann mit einem hochauflösenden Ultrahochfeld-Kernspinresonanztomograph und der fachlichen Expertise von Professor Volker Rasche aus der Core-Facility Kleintier-Bildgebung der medizinischen Fakultät analysiert.

Auf der Grundlage dieser Aufnahmen werden schließlich 3D-Rekonstruktionen der verletzten Bandscheibe erstellt, um Art und Verlauf der Verletzung besser beurteilen zu können. Komplexe mathematische Modelle helfen zusätzlich, theoretisch aus der Struktur und Beschaffenheit der Bandscheibe abgeleitete mögliche Schwachstellen am Computer zu modellieren, um die genaue Entstehungsgeschichte besser erklären zu können. Die Leistungen und Expertisen des Ulmer Forschungsbereichs Wirbelsäule sind übrigens weltweit gefragt - ob es dabei um Grundlagen, chirurgische Verfahren, Operationstechniken oder Wirbelsäulenimplantate geht.

Bereichsleiter Professor Hans-Joachim Wilke, der an der Universität Ulm promoviert und habilitiert hat, weiß genau, dass auch die Arbeit der Wissenschaftlichen Werkstatt hieran einen nicht unbeträchtlichen Anteil hat. Fast so etwas wie berühmt ist mittlerweile der sogenannte Wirbelsäulensimulator, der ebenfalls aus Uni-eigener Fertigung stammt. An diesem 20 Jahre alten Gerät forschten auch schon renommierte Gast-Wissenschaftler aus dem Ausland.

Hintergrund: Wie entstehen Bandscheibenvorfälle?

Im Feld kursieren zwei Hypothesen zur Entstehung von Bandscheibenvorfällen. Bei der einen vermuten die Wissenschaftler Strukturdefekte und Schwachstellen im sogenannten Faserring. Dieses Gewebe aus mehreren kollagenen Lamellenschichten, die fest miteinander verbunden sind und eine alternierende Faserausrichtung besitzen, umgibt den weicheren Gallertkern im Innern, gibt ihm Form und Halt. Beim Bandscheibenvorfall, so die Faserring-Hypothese, durchdringt das gallertartige Gewebe aus dem Inneren an den Schwachstellen - wie eine Laufmasche - Faserring nach Fasserring, bis die letzte Schicht aufreißt und das Gewebe auf den Rückennerv drückt. Die Ulmer Wirbelsäulenforscher glauben aber, dass die Gewebedefekte auch im Übergangsbereich zwischen Bandscheibe und Wirbelkörper auftreten können und haben sogar schon erste Indizien für diese so genannte Deckplattentheorie gefunden. So wird in der Drei-D-Rekonstruktion (im Bild) der schlauchförmige Verlauf einer Bandscheibenverletzung im oberen Grenzbereich der Bandscheibe sichtbar, wo diese an den Wirbelkörper stößt.

Fotos: Elvira Eberhardt (KIZ); Wissenschaftliche Aufnahmen Berger-Roscher/Wilke/Rasche

Verantwortlich: Andrea Weber-Tuckermann