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Joghurt-Retter und Genschere für den Menschen
DFG-Forschergruppe zum Einzeller-Immunsystem CRISPR-Cas verlängert

Universität Ulm

Auch „Bazillen“ können krank werden und sogar an einer Virusinfektion versterben. Wie sich Bakterien und weitere Einzeller („Archaeen“) gegen mörderische Viren wehren, untersuchen Wissenschaftler um die Ulmer Professorin Anita Marchfelder. Nun hat die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) die Förderung der Forschergruppe 1680 über mehr als 1,9 Millionen Euro um drei Jahre verlängert.

Im Zentrum ihrer Arbeit steht CRISPR-Cas, das lernfähige Abwehrsystem der Bakterien und Archaeen. Überleben diese Einzeller eine erste Virenattacke, bauen sie Teile der Virus-DNA in ihr eigenes Erbgut ein. Somit ist der Erreger zur „Fahndung“ ausgeschrieben und wird erkannt, sobald er sich der Zelle nähert. Cas-Proteine schreiten dann zum Gegenangriff und zerschneiden das Virus. Tatsächlich wird das Abwehrsystem mit Gedächtnis sogar an die nachfolgende Generation vererbt – Zellteilung macht es möglich. Von diesen außergewöhnlichen Fähigkeiten profitieren auch die Milchindustrie und Hersteller von Biokraftstoffen. Außerdem ist CRISPR-Cas Hoffnungsträger der Genetik: Das System lässt sich als „Genschere“ anwenden und könnte künftig eingesetzt werden, um krankmachende Abschnitte im Erbgut zu verändern.

Seit rund drei Jahren betreibt die von Anita Marchfelder koordinierte Gruppe „Unravelling the prokaryotic immune system“ Grundlagenforschung – aus der bereits wichtige Anwendungen hervorgegangen sind. Entdeckt wurde CRISPR-Cas  als Teil des Einzeller-Abwehrsystems in einem ganz praktischen Zusammenhang: Bei der Herstellung von Joghurt und Käse verwendet man Bakterien als Starterkulturen. Eine Virusinfektion kann also immensen Schaden anrichten und ganze Produktionsreihen vernichten. Auf der Suche nach einer „Impfung“ für diese Starterkulturen sind Forscher aus der Milchindustrie schließlich auf CRISPR-Cas gestoßen – auffällige Sequenzwiederholungen im Bakterien-Erbgut gaben den entscheidenden Hinweis. Wie das Abwehrsystem im Detail funktioniert und welche Unterschiede es zwischen verschiedenen Bakterien und Archaeen gibt, untersucht die DFG-Forschergruppe seit 2012. „In der ersten Förderphase haben wir mit molekularbiologischen, genetischen und biochemischen Methoden zahlreiche Subtypen von CRISPR-Cas analysiert. Immer mit dem Ziel, grundlegende Gemeinsamkeiten des Systems und typspezifische Merkmale aufzudecken“, erklärt Marchfelder, Wissenschaftlerin am Ulmer Institut für Molekulare Botanik.

Die Ulmer Koordinatorin hat vor allem ihre Kompetenz rund um Archaeen in die Forschergruppe eingebracht. Dabei handelt es sich um Einzeller (Prokaryoten), die jedoch etliche Eigenschaften mit Eukaryoten teilen – das sind Zellen mit Kern wie im menschlichen Körper. In der Domäne „Archaeen“ verfügt fast jeder Organismus über ein eigenes CRISPR-Cas-System.
Weiterhin gehören acht Teilgruppen mit den Schwerpunkten Mikrobiologie, Bioinformatik, Strukturbiologie und Massenspektrometrie sowie drei assoziierte Gruppen zur FOR 1680. Die Mitglieder aus ganz Deutschland und dem dänischen Kopenhagen tauschen sich bei halbjährlichen Treffen mit etwa 30 Teilnehmern aus. Als Höhepunkt der ersten Förderphase ist die Organisation der Tagung CRISPR 2014 anzusehen, die im vergangenen Mai 170 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nach Berlin lockte. Zudem war Anita Marchfelder Gastherausgeberin einer Ausgabe der Fachzeitschrift „RNA Biology“ zum Abwehrsystem der Einzeller.

Nach der Milchindustrie haben nun auch Genetiker CRISPR-Cas für sich entdeckt: Mit dem System lässt sich nämlich die Erbsubstanz gezielt verändern. In Zukunft könnte die Variante Cas9 als Schneidewerkzeug benutzt werden, um krankmachende Genabschnitte zielgerichtet aus der DNA zu entfernen – oder erwünschte Abschnitte einzufügen. Niederländischen Wissenschaftlern ist es so beispielsweise gelungen, eine mit Mukoviszidose assoziierte Mutation zu eliminieren. Das so genannte Genome Editing ist auch ein Projekt der zweiten Förderphase. Generell wird die Gruppe weiterhin Grundlagenforschung betreiben, den Anwendungsbezug aber immer im Hinterkopf behalten. „Bevor überhaupt an eine klinische Anwendung zu denken ist, müssen wir molekulare Mechanismen der Genomveränderung besser verstehen. Genome Editing soll effizienter werden und es gilt, ungewollte Erbgut-Veränderungen als Folge der Genschere zu vermeiden“, sagt Marchfelder über so genannte off-target-Mutationen. Auch aus diesem Grund sei die FOR 1680 um die Cas9-Mitentdeckerin Professorin Emanuelle Charpentier vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig erweitert worden. Und CRISPR-Cas kann noch mehr: Mit dem System lassen sich Gene unproblematisch an- und ausschalten. Außerdem ermöglicht es die rasche Etablierung von Mausmodellen für die Erforschung menschlicher Erkrankungen.

Weiterhin wollen sich die Wissenschaftler in der nun angelaufenen zweiten Phase mit der Herstellung von Biokraftstoffen beschäftigen. Das Problem: Cyanobakterien, die oft als Starterkultur dienen, ernähren sich von Seewasser. Da dieses Wasser oft stark mit Viren belastet ist, gilt es, die hilfreichen Bakterien mit dem CRISPR-Cas-System immun zu machen.
In bisher drei Jahren hat die Gruppe gezeigt: Von der Grundlagenforschung in die Praxis ist es oft nur ein kleiner Schritt – und weitere Anwendungsmöglichkeiten werden sicher folgen.

Verantwortlich: Annika Bingmann