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UFW-Fachtagung mit Prof. Ann-Kristin Achleitner
Corporate Governance Kodex: Papiertiger oder Unternehmens-Knigge?

Universität Ulm

Siemens, Deutsche Bank und zuletzt Volkswagen: In Zusammenhang mit Skandalen dieser Unternehmen hat es der Corporate Governance Kodex immer wieder in die Schlagzeilen geschafft. Am Freitag stand der Kodex, in dem Grundsätze und Empfehlungen guter Unternehmensführung zusammengefasst sind, im Mittelpunkt der Fachtagung des Ulmer Forums für Wirtschaftswissenschaften (UFW). Den Organisatoren um die UFW-Vorstandsvorsitzende Professorin Brigitte Zürn war es wieder einmal gelungen, hochkarätige Referenten aus Wissenschaft und Wirtschaft zu gewinnen – allen voran Professorin Ann-Kristin Achleitner, Inhaberin des Lehrstuhls für Entrepreneurial Finance an der TU München. Die promovierte Ökonomin und Juristin ist Mitglied der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex sowie verschiedener Aufsichtsräte (unter anderem Linde AG, Metro AG, Suez GDF).

Achleitner fragte in ihrem Keynote-Vortrag: „Brauchen Unternehmen eine Kommission und einen Kodex zur Corporate Governance?“ Zunächst definierte die Professorin das Konzept „Corporate Governance“, das die Rahmenordnung der Leitung und Überwachung von Unternehmen umfasst. Die Notwendigkeit, einen entsprechenden Kodex zu erstellen, wurde in den 90-er Jahren offenbar, als sich die Bundesrepublik ausländischen Investoren öffnete: „Diese Investoren sahen außer dem Aktiengesetz keine klaren Regelungen, deutsche Unternehmen waren für sie eine ,Blackbox‘“, verdeutlichte die Ökonomin. So sei 2001 eine Regierungskommission nach angelsächsischem Vorbild eingesetzt worden, die ein Jahr später den Deutschen Corporate Governance Kodex vorgelegt habe. Kern sei in Deutschland das Aktiengesetz, ergänzt durch Verhaltensrichtlinien. Die enthaltenen Regeln und Empfehlungen sind keineswegs starr, sondern werden jährlich von der Kommission im Dialog mit Politik, Unternehmen und Öffentlichkeit überprüft und gegebenenfalls ergänzt. Zudem erörterte die Ökonomin das Prinzip „Comply or Explain“ („Einhalten oder Erklären“): Corporate Governance-Regeln sollen befolgt werden, doch begründete Abweichungen sind erlaubt, sofern sie der guten Unternehmensführung dienen.

Insgesamt stellt Professorin Achleitner dem Kodex ein gutes Zeugnis aus: Der Grundanspruch, ausländischen Investoren deutsche Unternehmensführung nahe zu bringen, sei erfüllt und 97 Prozent der DAX-Unternehmen hielten sich an diese Empfehlungen. Sie ging aber auch auf Kritik am Kodex und an der Kommission ein, der sie seit 2012 angehört. Dabei fielen auch Schlagworte wie „Frauenquote“ und „Vorstandsgehälter“. Die Ökonomin räumte zudem ein, dass das Regelwerk auf DAX-Unternehmen ausgelegt sei und Mittelständler in seiner Fülle womöglich überfordere. Seit 2004 gebe es aber einen eigenen Governance-Kodex für Familienunternehmen.

Paneldiskussion mit Experten aus Wirtschaft und Wissenschaft

An der anschließenden Paneldiskussion, moderiert vom FAZ-Wirtschaftsredakteur Georg Giersberg, nahmen neben Achleitner weitere Experten aus den Rechts- und Wirtschaftswissenschaften sowie Unternehmensvertreter teil. Auf die Frage, warum es auch noch 13 Jahre nach Veröffentlichung des Corporate Governance Kodex zu Enthüllungen wie jüngst bei Volkswagen komme, waren sich die Juristen Professor Jens Poll und Professor Jens-Hinrich Binder (Universität Tübingen) relativ einig: An aktuellen Skandalen seien nicht die Regeln schuld, sondern ihre mangelnde Einhaltung. Corporate Governance-Richtlinien müssten im Unternehmen verankert und gelebt werden. Dr. Claudia Nagel, Geschäftsführerin der Nagel & Company GmbH, sieht in dem Kodex ein Regelwerk, das opportunistisches Verhalten eindämmen soll. „Doch Regeln haben Grenzen. Der Rest ist Anstand und die Auswahl der richtigen Personen“, ergänzte Professorin Annette Köhler, Inhaberin des Lehrstuhls für Rechnungswesen, Wirtschaftsprüfung und Controlling an der Universität Duisburg-Essen. Aus Sicht eines Familienunternehmens beteiligte sich zudem Bernhard Simon, Hauptgesellschafter und CEO der Dachser SE, an der regen Diskussion.

Rund 120 Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Vertreter aus dem Banken- und Versicherungswesen und von Unternehmen sowie Studierende hatten sich zur Fachtagung angemeldet. In seinem Grußwort erinnerte der stellvertretende UFW-Vorsitzende, Dr. Roland Wiese, an frühere, ebenfalls hochkarätig besetzte Veranstaltungen mit Finanzminister Dr. Wolfgang Schäuble, dem ehemaligen bayerischen Ministerpräsidenten Dr. Edmund Stoiber oder etwa Walter Kardinal Kasper. Weitere Ansprachen kamen vom Universitätspräsidenten Professor Michael Weber und von Professor Kai-Uwe Marten, Leiter des Instituts für Rechnungswesen und Wirtschaftsprüfung. Marten, dessen Institut sich regelmäßig an der Organisation der Fachtagung beteiligt, hatte eingangs gesagt: „Mit der UFW-Tagung versuchen wir, Unternehmensvertreter aus der Region anzusprechen und aktuelle Themen für Studierende anzubieten.“ Dieses Ziel haben die Wirtschaftswissenschaftler in jedem Fall übertroffen.

Text und Medienkontakt: Annika Bingmann

 

Bildunterschrift (Foto: Eberhardt/Uni Ulm): Protagonisten der UFW-Fachtagung (v.l.): Prof. Kai-Uwe Marten, Universitätspräsident Prof. Michael Weber, Prof. Jens-Hinrich Binder, Prof. Ann-Kristin Achleitner, Moderator Georg Giersberg (FAZ), Dr. Claudia Nagel (Nagel & Company GmbH), Bernhard Simon (Dachser SE), Prof. Annette Köhler und Prof. Jens Poll