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Neue Hoffnung auf antiviralen Eintrittshemmer
Negativ geladenes Polymer wirkt gegen eine Vielzahl an Viren

Universität Ulm

Eine große Anzahl an Viren macht Mensch und Tier das Leben schwer. Während im Kampf gegen unterschiedliche Bakterien breit wirksame Medikamente eingesetzt werden, gibt es analog zu den Breitbandantibiotika bislang keine Substanzen, die gegen eine Vielzahl von Viren aktiv sind. Einem internationalen Forschungsteam ist es nun gelungen, das Polymer Polystyrolsulfonat (PSS) chemisch so zu optimieren, dass es für die antivirale Prophylaxe und die Behandlung von Virusinfektionen effektiv eingesetzt werden könnte – und zwar sowohl gegen SARS-CoV-2 und HIV-1, als auch gegen Zika-, Herpes- und Erkältungsviren. Die von den Universitäten Ulm und Aarhus geleitete Studie wurde im renommierten Fachjournal Advanced Science veröffentlicht.

Viren hindert man am besten an der Vermehrung und Ausbreitung, indem man ihnen den Zutritt zur Zelle verwehrt. Doch wirksame Eintrittshemmer, die unterschiedliche Viren-Familien und -arten in Schach halten, lassen noch immer auf sich warten. Kein solcher Wirkstoff ist bislang klinisch verfügbar. Hoffnung verspricht nun ein Forschungsprojekt des Uniklinikums Ulm und der Aarhus Universität in Dänemark. „Wir haben ein negativ geladenes Polymer entwickelt, das den Eintritt von Viren in die Zellen verhindern kann. Wir vermuten, dass sich das Polymer um virale Hüllproteine wickelt und durch seine Ladung die Interaktion mit den Rezeptorproteinen der Zelle stört“, erklärt der Erstautor der Studie Rüdiger Groß, Doktorand am Institut für Molekulare Virologie des Universitätsklinikums Ulm und Erstautor der in Advanced Science veröffentlichten Studie.

Dass Polystyrolsulfonat (PSS) – so die chemische Bezeichnung dieses Polymers – ein effektiver antiviraler Eintrittshemmer ist, konnten die Ulmer Forschenden bereits in früheren Untersuchungen zeigen. „Jetzt haben wir unterschiedliche chemische Optimierungsstrategien untersucht und evaluiert, inwiefern sie die Breitenwirksamkeit des Polymers verbessern“, sagt Professor Jan Münch, Co-Leiter des Ulmer Instituts für Molekulare Virologie. Der Ulmer Forscher hat die Studie gemeinsam mit seinem dänischen Kollegen Professor Alexander N. Zelikin von der Universität Aarhus koordiniert. Der Wissenschaftler vom Department of Chemistry und dem Interdisciplinary Nanoscience Centre war mit seinem Team im Projekt für die synthetische Chemie verantwortlich. „Mit längeren Polymer-Ketten und der Kopplung an Gold-Nanopartikel ist es uns gelungen, die Wirksamkeit gegen die meisten Viren weiter zu erhöhen“, so Zelikin.

Bei nasaler Anwendung ist der Wirkstoff gut verträglich

Mit Zellkultur-Experimenten konnten die Forscherinnen und Forscher zeigen, dass das chemisch optimierte PSS antiviral wirksam gegen SARS-CoV-2 ist; und das gilt auch für die Omikron-Variante. Nachgewiesen wurden außerdem hemmende Effekte gegen HIV-1, Herpes Simplex Virus-1, gegen das Zika-Virus und das respiratorische Synzytial-Virus RSV sowie gegen die Erkältungscoronaviren OC43 und NL63. An Mäusen haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dann die Verträglichkeit des Wirkstoffs getestet. Dabei kam heraus, dass PSS sehr gut vertragen wird, wenn es intranasal verabreicht wird – beispielsweise über ein Nasenspray. Mit entsprechenden Mausmodellen konnte zudem demonstriert werden, dass die Behandlung mit PSS eine Infektion mit SARS-CoV-2 und RSV abschwächen.

„Mit unserer Studie konnten wir nachweisen, dass chemisch optimierte Polymere auf der Grundlage von Polystyrolsulfonat vielversprechende Kandidaten sind für die Entwicklung breit wirksamer antiviraler Eintrittshemmer“, so die Forschenden. Das Team arbeitet derzeit daran, die lokale Anwendung von PSS – etwa als Spray oder Nebulisator – zur Behandlung oder Prävention von respiratorischen Viruserkrankungen in weiteren Modellen zu untersuchen. Gefördert wurde das Forschungsprojekt vom European Research Council (ERC) über das Programm Fight-nCoV. Beteiligt waren an der Studie neben den Universitäten Ulm und Aarhus Forschungseinrichtungen aus Leipzig, sowie aus Brasilien, Schweden und Frankreich.


Publikationsnachweis:
Rüdiger Groß, Lívia Mesquita Dias Loiola, Leila Issmail, Nadja Uhlig, Valentina Eberlein, Carina Conzelmann, Lia Raluca Olari, Lena Rauch, Jan Lawrenz, Tatjana Weil, Janis A Müller, Mateus Borba Cardoso, Andrea Gilg, Olivia Larsson, Urban Höglund, Sandra Axberg Pålsson, Anna Selch Tvilum, Kaja Borup Løvschall, Maria M. Kristensen, Anna-Lena Spetz, Fortune Hontonnou, Marie Galloux, Thomas Grunwald, Alexander N. Zelikin & Jan Münch, Macromolecular viral entry inhibitors as broad-spectrum first-line antivirals with activity against SARS-CoV-2, in Advanced Science, 11 May 2022,
doi: 10.1002/advs.202201378

Text und Medienkontakt: Andrea Weber-Tuckermann

Rüdiger Groß in einem S3* Labor
Der Ulmer Doktorand Rüdiger Groß in einem S3* Labor, in dem zu Viren geforscht wird, die nicht über die Luft übertragbar sind (Foto: Elvira Eberhardt / Uni Ulm)
 Prof. Jan Münch und Prof. Alexander N. Zelikin
v.l.: Prof. Jan Münch und Prof. Alexander N. Zelikin haben die Studie gemeinsam koordiniert (Fotos: Uni Ulm / Aarhus University)
Strukturformen und Kopplungsmodell von PSS
Strukturformel von PSS (links) und Schema der Koppelung an Gold-Nanopartikel (rechts) (Abbildung: Alexander N. Zelikin / Aarhus University)
EM-Aufnahmen von VSV-Pseuoviren
Elektronenmikroskopische Aufnahmen (Dr. Clarissa Read / Uni Ulm) von Vesikulären Stomatitis Viren (VSV), typisch für diese ist der Patronen-förmige Aufbau. Links im Bild sind die unbehandelten VSV-Pseudoviren zu sehen und rechts im Bild die mit dem chemisch optimierten Polymer Polystyrolsulfonat behandelten Viren. Als schwarze Punkte zu erkennen sind die Gold-Nanopartikel, die mit dem Polymer kombiniert wurden.