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Stochastik statt Hellseherei
Marcus Christiansen, Juniorprofessor für Versicherungsmathematik

Universität Ulm

Beitragssteigerungen der Krankenkassen lösen regelmäßig ein großes Medienecho aus. Denn oft fehlt in der Bevölkerung das Verständnis, wie Versicherungsverträge zustande kommen, wie sich Beiträge errechnen. Dr. Marcus Christiansen, seit Oktober Juniorprofessor an der Universität Ulm, ist Experte auf diesem Gebiet. Am Institut für Versicherungswissenschaften  forscht er unter anderem zu biometrischen Risiken in Lebens- und Krankenversicherungen. „Personenversicherungsverträge haben oft Laufzeiten über viele Jahrzehnte, daher müssen mögliche Risiken wie zum Beispiel Berufsunfähigkeit oder längere Krankheit weit in die Zukunft kalkuliert werden“, erklärt der 32-Jährige.

Dabei blicken Versicherungswissenschaftler keineswegs in die Kristallkugel. Bei der Entwicklung von entsprechenden Modellen wird unter anderem auf Daten des Statistischen Bundesamts zurückgegriffen. So haben Versicherer zum Beispiel »Sterbetafeln« für verschiedene Bevölkerungsgruppen berechnet, etwa differenziert nach Rauchern und Nichtrauchern.
In der Vergangenheit hat die Versicherungsbranche vor allem mit simplen Mittelwerten gearbeitet, Marcus Christiansen bevorzugt jedoch die Arbeit mit stochastischen Modellen, die auf Statistik und Wahrscheinlichkeitstheorie zurückgreifen. Gleichzeitig stellt er sich der Herausforderung, Modelle  aus der Vergangenheit den neuen Daten anzupassen.

Die Zahlenwelt hat Christiansen bereits als Schüler fasziniert. „ In meinem Gymnasium gab es einen Mathematiklehrer, der uns weit über den normalen Unterricht hinaus gefördert und Arbeitsgruppen angeboten hat“, erinnert sich der junge Wissenschaftler.
Es folgten ein Mathematikstudium an der Otto-von-Guericke-Universität in Magdeburg und die Promotion in Rostock. „Der Betreuer meiner Diplomarbeit hat mich auf die praktische Anwendbarkeit von Stochastik in der Versicherungswissenschaft aufmerksam gemacht. Diesem Themenkreis bin ich auch in meiner Dissertation zur verbundenen Analyse von finanziellen und biometrischen Risiken bei Lebensversicherungen treu geblieben“, so Christiansen.

Ein Aufenthalt als DFG-Stipendiat an der Université Catholique im belgischen Louvain-la-Neuve hat den Versicherungsmathematiker besonders geprägt.  Hier begann er sich mit dem europäischen Projekt Solvency II zu beschäftigen. Dahinter verbirgt sich eine grundlegende Reform des Versicherungsaufsichtsrechts in Europa, unter anderem bezogen auf das Eigenkapital von Versicherern und ihre Berichterstattungspflichten: »An der Reform arbeiten Praktiker, es braucht aber auch eine wissenschaftliche Fundierung«, betont Christiansen.

Nach einer Vertretungsprofessur am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) kam die Ausschreibung der Ulmer Universität wie gerufen. „Besonders das eng mit der Universität kooperierende Institut für Finanz- und Aktuarwissenschaften ist mit dem Thema Solvency II vertraut, denn die Unternehmensberater sind auch im Versicherungswesen aktiv. Außerdem hat mich die starke Verzahnung von Mathematik und Wirtschaftswissenschaften gereizt“, betont der Juniorprofessor.

In Zukunft könne er sich sogar eine interdisziplinäre Zusammenarbeit mit Medizinern und Biologen vorstellen, denn „bei der Einschätzung von Berufsunfähigkeitsrisiken und Sterblichkeitsraten müssen wir Mathematiker über die Grenzen unseres Fachs hinaus denken.“ In der Lehre ist dem Versicherungswissenschaftler der Praxisbezug besonders wichtig. In diesem Wintersemester will er mit Studierenden gängige Modelle der Versicherungswirtschaft herleiten und hinterfragen. Zwar hat Christiansens Karriere bisher ausschließlich an Universitäten stattgefunden, den Kontakt zu Praktikern hat er jedoch immer gesucht.

Neben der Forschung zu Krankenversicherungen und Solvency II lebt sich das selbst ernannte Nordlicht gerade in der Donaustadt ein. Eine Stadt- und Münsterführung hat er bereits absolviert, seine Frau, eine Chemikerin, ist momentan in Ulm auf Arbeitssuche. In seiner Freizeit will das Ehepaar zum Beispiel Tennis spielen und Ski fahren, außerdem ist Christiansen ein passionierter Musiker, dessen Repertoire von Klassik bis zur Rockmusik reicht. In seine akademische Zukunft blickt der Juniorprofessor positiv und erwartungsfroh: „Ulm ist der zurzeit bestmögliche Platz für meine Forschungen.“

Von Annika Bingmann

Foto: Eberhardt/kiz