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Vier Wissenschaftlerinnen, ein Ziel:
Bessere Frühdiagnostik sprachlicher Leistungen

Universität Ulm

Wie kann die Früherkennung von Sprachstörungen verbessert werden? Vor allem: Wie können die Grundlagen für Vorhersagen zur weiteren sprachlichen Entwicklung, die so genannten Prädiktoren also, noch aussagefähiger gestaltet werden? Mit diesen Fragestellungen, wichtig insbesondere für den Einsatz geeigneter Therapien, beschäftigt sich derzeit ein interdisziplinäres Forschungsprojekt der Universitätsklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde (HNO) Ulm und des Transferzentrums für Neurowissenschaften und Lernen (ZNL) der Universität Ulm.

Bei einem gut besuchten Symposium im voll besetzten Hörsaal Michelsberg haben die verantwortlichen Wissenschaftlerinnen dieser Tage die auf drei Jahre angelegte Längsschnittstudie vorgestellt und bei den rund 120 versammelten Ärzten, Therapeuten und Sonderpädagogen für eine Teilnahme geworben.

Mit einem weiteren Projekt sollen demnächst auch frühe sprachliche Leistungen mehrsprachiger Kinder erfasst werden. „Hier ist bislang noch völlig unklar, nach welchen Maßstäben deren frühe Sprachentwicklung zu beurteilen ist. Dabei werden mehrsprachig aufwachsende Kinder zunehmend relevanter“, sagt Dr. Steffi Sachse, Expertin für Sprachentwicklung und –förderung vom ZNL, maßgeblich beteiligt auch an der genannten Längsschnittstudie. Wie seitens der HNO-Klinik Professorin Sibylle Brosch, Leiterin der Sektion für Phoniatrie und Pädaudiologie, Dr. Elisabeth Smith und Nora Budde. Sprachentwicklungsstörungen zählen bekanntlich zu den häufigsten Entwicklungsstörungen mit gravierenden Folgen für die gesamte kindliche Entwicklung.

„Deshalb wollen wir mit einer verbesserten Früherkennung auch die Wirksamkeit von Frühinterventionen erhöhen“, macht Brosch deutlich und verweist in diesem Zusammenhang auf zahlreiche bewährte Fördermöglichkeiten. Wobei sich diese mitnichten nur auf die in ihrer Entwicklung gestörten Kinder konzentrierten. Bei Zweijährigen etwa wird Professorin Brosch zufolge auch ein sehr hilfreiches Elterntraining angeboten. Das beinhaltet neben einer logopädischen Sprachtherapie direkt mit dem Kind Gruppenarbeit an sieben Abenden mit mehreren Eltern.

Die Bedeutung aussagefähigerer Prädiktoren unterstreicht die Fachärztin nicht zuletzt mit Zahlen. Demnach sind immerhin 15 Prozent eines Jahrgangs so genannte späte Sprecher, im medizinischen Sprachgebrauch als Late Talker bezeichnet. Ein Drittel davon aber wird sich gleichwohl unauffällig entwickeln. Insofern sei eine im Alter von 24 Monaten, dem frühesten Zeitpunkt einer verlässlichen sprachlichen Diagnostik, festgestellte Sprachverzögerung nicht gleichbedeutend mit einer dauerhaften Sprachauffälligkeit, „vielmehr nur eine Risikodiagnose, da ein gewisser Anteil an Kindern Rückstände auch ohne Intervention aufholt“.

Nur: „Bisher existieren noch keine ausreichenden Belege für die Sinnhaftigkeit dieser frühen Diagnose“, weiß Dr. Steffi Sachse. Auch in dieser Beziehung soll die Längsschnittstudie Erkenntnisse liefern. Einbeziehen wollen die Wissenschaftlerinnen dabei rund 80 Kinder, die im Alter von zwei, drei und fünf Jahren untersucht werden. Auch auf begleitende Entwicklungsauffälligkeiten natürlich. „Zum Beispiel hatte anfangs ein Drittel der Kinder ein Hörproblem“, haben die Expertinnen inzwischen festgestellt. Und in die Beurteilung einbezogen werden überdies Intelligenz, soziodemographische Faktoren, das Sprachverständnis sowie der elterliche Bildungsstand und mögliche Störfaktoren, Aufmerksamkeit, Konzentration und Kooperation bei der Durchführung der Tests etwa.

Im Rahmen des Projekt auf den Prüfstand sollen freilich auch die bislang für die Frühdiagnostik eingesetzten Elternfragebögen. Wie aussagefähig sind sie? Sind sie in der Lage, den sprachlichen Entwicklungsstand mit drei Jahren abzubilden und die weitere Entwicklung vorherzusagen? Antworten darauf versprechen sich die beteiligten Forscherinnen ebenfalls von ihrer Studie.

Mit der sie jedenfalls viel Neuland betreten dürften. Noch sei es „für konkrete Aussagen zu früh“, meint Professorin Brosch. „Schließlich sind wir gerade mal mit den Zweijährigen durch und bei den Dreijährigen mit der Hälfte.“  Einige offene Fragen mehr indes sieht Sachse für die Folgestudie mit mehrsprachigen Kindern. So müsse hier bei der Früherkennung von Sprachentwicklungsstörungen eine Gruppe schon frühzeitig identifiziert werden: Die Kinder nämlich, die lediglich einen Förderbedarf bei Deutschkenntnissen haben.

Von Willi Baur